Der Energie- und Ressourcenaufwand für die Herstellung, Sanierung und den Rückbau von Gebäuden ist immens hoch. Eine echte zirkuläre Wertschöpfung, bei der Teile alter Gebäude nach ihrem Recycling erneut als hochwertiger Wertstoff in der Bauwirtschaft oder in anderen Wirtschaftsbereichen eingesetzt werden können, ist weitgehend noch keine Realität. Annette von Hagel und Rolf Brunkhorst, Vorstandsmitglieder der re!source gemeinnützige Stiftung e.V., fordern deutlich mehr Aktivität bei der Ressourcenwende.
m&w: Warum besitzt gerade die Bauwirtschaft eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, eine nachhaltige Nutzung von Roh- und Wertstoffen durch eine zirkuläre Wertschöpfung zu verbessern?
Rolf Brunkhorst: Über 50 Prozent des gesamten Abfallaufkommens stammen in Deutschland aus dem Bausektor. Etwa 40 Prozent aller CO2-Emissionen entstehen direkt oder indirekt im Betrieb oder bei der Herstellung von Gebäuden und der Baumaterialien. Das sind Zahlen, die zeigen, welche Priorität den Immobilien zukommen muss, um dem Thema zirkuläre Wertschöpfung die erforderliche Bedeutung beizumessen.
Annette von Hagel: Dabei ist die Baubranche wie keine andere prädestiniert dafür, einen wesentlichen Beitrag zur zirkulären Wertschöpfung zu leisten. Weil sie den besten Zugriff auf die gesamten Prozesse von der Planung bis zum Betrieb und Rückbau eines Gebäudes und auf die zum Einsatz kommenden Materialien hat. Der Blick auf den gesamten Materialprozess ist möglich, beginnend bei der Entstehung, über den Abbau und Transport, über die Verarbeitung bis hin zum Einsatz. Und selbstverständlich gehören auch die Rückführung und Wiederverwendung bzw. die Wiederverwertung in den Fokus. Das alles ließe sich perfekt dokumentieren, um später beim Rückbau oder bei der Sanierung auf all die notwendigen Informationen zurückgreifen zu können.
m&w: Und warum wird das nicht umgesetzt, wo genau liegt das Problem?
Annette von Hagel: Problematisch ist, dass die Branche im Vergleich zu vielen anderen in der Digitalisierung weit abgeschlagen zurückliegt. Es gibt nur wenige Unternehmen, die hier vorne mitspielen. In der Regel mangelt es an funktionierenden digitalen Strukturen. Dazu kommt noch ein gravierender Nachteil – die einzelnen Leistungsabschnitte greifen nicht ineinander. Mit der Konsequenz, dass es keine aussagekräftige Dokumentation gibt und somit auch unzureichende Kenntnisse darüber vorliegen, welche Materialien wann und wo im Gebäude verbaut wurden.
Rolf Brunkhorst: Die besondere Bedeutung der Bau- und der Immobilienwirtschaft muss man zusammenbetrachten. Es ist die Immobilienwirtschaft und damit der Bauherr, der Investor und der Liegenschaftsverwalter, die es in der Hand haben und sich für ein Umdenken einsetzen können. Wenn sie vorgeben, dass eine Umsetzung nach der digitalen Planungsmethode BIM und eine genaue Dokumentation aller verwendeten Materialien erforderlich ist, dann wird sich der Architekt und die ausführende Bauwirtschaft daran orientieren müssen, weil diese Bedingungen dann an den Auftrag gebunden sind.
m&w: Das klingt ernüchternd. Warum geht die Ressourcenwende in der Bauwirtschaft so langsam voran? Liegt es an mangelnden Kenntnissen, spielen eher finanzielle Gründe eine Rolle und oder fehlt es an innovativen Lösungen aus Forschung und Wissenschaft?
Rolf Brunkhorst: Wir sind heute in der guten Situation, dass es eine Reihe von Instrumenten gibt, mit denen Vorhaben der zirkulären Bauwirtschaft umgesetzt werden können. Und es bedarf gar nicht so großer Innovationen, um mit der Umsetzung zu beginnen und Zeichen zu setzen. Doch die vorhandenen Möglichkeiten allein helfen wenig, wenn es wirtschaftlich nicht interessant ist. Wir brauchen mehr konkrete Rahmenbedingungen, damit es vorangeht.
Eine der wesentlichen Aufgaben von re!source ist es, Wissen und Erkenntnisse zu erarbeiten und allgemein zugänglich zu machen. Dazu zählen neben Politik, Ministerien, Öffentliche Hand, Wirtschaftsunternehmen, Wissenschaft insbesondere auch Architekten, Ingenieure und Bauunternehmen, damit sie eine verlässliche Grundlage zur Umsetzung haben.
Darüber hinaus engagieren wir uns auch in der Forschung und Lehre. Beton beispielsweise wird noch viel zu wenig recycelt, die Quote liegt im niedrigen Prozentbereich. Dabei könnten gerade hier enorme Kosten gespart werden, schließlich wird es immer teurer, Abbruchmaterial zu transportieren und zu deponieren.
Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme, Vorstandsmitglied der re!source Stiftung und Vorstandssprecherin des Instituts für Infrastruktur, Wasser, Ressourcen und Umwelt der Fachhochschule Münster (IWARU) beschäftigt sich mit den Baumaterialien und deren Recycelbarkeit. Mit jährlich ca. 200 Millionen Tonnen mineralische Bauschuttabfällen in Deutschland ist dies ein Hebel für die Klimaziele. Ein anderes Forschungsprojekt sucht nach Lösungen, wie Wärmeverbundsysteme wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden können. Des Weiteren verknüpft Sabine Flamme ihre Forschung mit der Digitalisierung.
In der Wirtschaft sind bereits einige Forschungsergebnisse zum Einsatz gekommen. Gründungsmitglied Prof. Annette Hillebrandt und Vorstandsmitglied Dr. Anja Rosen von der Bergischen Universität Wuppertal haben den umfassenden Recycling-Atlas im Detail-Verlag herausgegeben, ein Muss für die Architektenschaft.
Annette von Hagel: Erfreulicherweise lässt sich vereinzelt ein Trend in der Immobilienwirtschaft erkennen, die vorhandenen Kriterien zur Gebäudebewertung um Nachhaltigkeitsaspekte zu erweitern. Ich gehe davon aus, dass sich der Finanz- und Kapitalmarkt künftig an diesen Themen orientieren wird und sein Investment hiervon abhängig macht.
Das könnte dann so aussehen, dass Gebäude, die einer zu hohen CO2-Bilanz im Lebenszyklus aufweisen, schlechtere Finanzierungsbedingungen angeboten bekommen. Es ist davon auszugehen, dass diese Themen auch in den Ausschreibungen Eingang finden. Auch der kleine oder mittelständische Bauunternehmer wird sich an diesen Vorgaben orientieren müssen, sich mit Ressourcenschonung, Nachhaltigkeit und Energieeffizienz beschäftigen, einzig und allein, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
m&w: Jährlich fallen Millionen Tonnen Bauschutt und Baustellenabfälle an. Ist es technisch überhaupt möglich, diese Stoffe einem Recyclingprozess zuzuführen zumal ja auch ein hohes Qualitätsniveau erforderlich ist?
Rolf Brunkhorst: Selbstverständlich gibt es leicht und schwer zu recycelnde Materialien. Metall lässt sich zum Beispiel ohne Qualitätsverlust wieder in den Kreislaufprozess zurückführen. Fenster mit Aluminium-Rahmen sind zu einhundert Prozent recycelbar, das Glas wird in der Behälter- und Isolierindustrie genutzt. Die Kunststofffenster-Branche nimmt alte Fenster freiwillig wieder zurück, führt diese dem Recyclingprozess zu und verwendet das Material für neue Rahmen. Andere Materialien sind aus heutiger Sicht noch problematisch zu recyceln. Gerade bei mineralischen Materialien sind intensive Entwicklungsarbeiten zu erkennen. Wirtschaftlich tragbare Prozesse deuten sich heute bereits an. Hier wären in der Tat klare politische Rahmenbedingungen und Unterstützungen zielführend.
m&w: Wie groß ist der Nachfragemarkt für Recyclingbaustoffe? Müsste nicht bereits in den Ausschreibungen mehr Nachdruck auf die Verwendung wiederverwertbarer Materialien gelegt werden?
Annette von Hagel: Absolut. Doch die öffentliche Hand, die hier als Vorbild vorangehen könnte, sieht da Hindernisse. Sie will durchaus Recyclingbaustoffe einsetzen, sieht allerdings bei der Qualität und der Zertifikate noch Handlungsbedarf.
Dabei wäre es relativ einfach. Sie müsste die Anforderung eindeutig definieren und die Ausschreibungs- und Planungsunterlagen entsprechend überarbeiten. In der Privatwirtschaft ist das einfacher, nachhaltige Vorgaben zu formulieren und einzufordern.
m&w: Sind die gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Verwendung und des Einsatzes von Recyclingbaustoffen ausreichend?
Rolf Brunkhorst: Wie so oft in Deutschland sind die gesetzlichen Vorgaben viel zu komplex und kompliziert. Hier müsste dringend entschlackt und prozessual gedacht werden, um die Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung umzusetzen. Außerdem wäre eine höhere Geschwindigkeit wünschenswert. Seit Anfang des Jahres gibt es eine neue Mantelverordnung für Ersatzbaustoffe, die den Umgang mit Recyclingprodukten regelt. Problematisch ist jedoch, dass die Fertigstellung 15 lange Jahre gedauert hat und die Verordnung heute nach neusten Erkenntnissen wieder angepasst werden müsste. Zurzeit besteht das Risiko, dass mehr Materialien auf die Deponie verbracht werden müssen als vor der Verordnung. Es müssen endlich kluge Lösungen her, um von der Deponierung wegzukommen, weil diese Art der Entsorgung unbezahlbar wird und die Umwelt stark belastet.
Annette von Hagel: Es ist unvorstellbar, dass Unternehmen in Deutschland bestimmte Produkte und Materialien wie zum Beispiel Rigips nicht recyceln dürfen und gezwungen sind, dies dann im Ausland durchzuführen. Hier sind praktikable Rahmenbedingung unerlässlich.
Eine weitere Hürde stellt das Landesrecht dar. Die 16 Landesbauordnungen sind ein großes Hindernis, erschwerend kommt hinzu, dass die Kommunen selbst noch ihre eigenen Regeln haben. Hier muss entschieden entbürokratisiert werden. Problematisch ist zudem, dass es bisher keinerlei Verbindung zwischen Baurecht und Abfallrecht gibt.
m&w: Welche Rolle spielt die Digitalisierung bzw. das Bauen nach der BIM-Methode, um ökonomisch und ökologisch sinnvoll zu bauen?
Annette von Hagel: Eine ganz Entscheidende. Ohne Digitalisierung ist es unmöglich, alle Prozesse genau abzubilden und die Massen und Stückzahl nach Baumaterialien und -produkten zu berechnen. Auch müssen alle recycling- und rückbaurelevanten Informationen enthalten sein, um am Ende der Nutzungsphase oder anlässlich von Umbau- oder Sanierungsmaßnahmen einen hochwertigen Recyclingprozess durchzuführen. Denn auch während des Betriebs eines Gebäudes finden Bautätigkeiten statt, Materialien werden entfernt und neue verbaut. Mit Hilfe des 3-D-Modells und der entsprechenden Software lässt sich durch Experten beispielsweise simulieren, welche Auswirkungen eine Umbaumaßnahme auf den Brandschutz oder die Funktionsfähigkeit hat. Dazu braucht man den Gebäudebetrieb nicht stören.
Rolf Brunkhorst: Hersteller von Baumaterialien und Bauprodukten sind industriell organisiert und seit vielen Jahren digitalisiert. Die digitalen Daten und Informationen bleiben viel zu oft bei der Gebäudeplanung und -erstellung ungenutzt.
Dies alles spricht dafür, dass digitale Strukturen in absehbarer Zukunft massiv zum Einsatz gelangen werden. Schon allein vor dem Hintergrund, um die großen Herausforderungen zu lösen. Wie soll wirtschaftliches Bauen funktionieren, wie die Sanierungswelle bewältigt werden ohne eine digitale Unterstützung? Der Druck wächst und verlangt ein Umdenken. Und das ganz allein schon aus wirtschaftlichen Aspekten.
m&w: Ein Blick in die Praxis zeigt, dass nachhaltiges Planen und Bauen machbar ist. Der Landkreis Viersen setzt bei einigen seiner kommunalen Bauvorhaben auf die Prinzipien der zirkulären Wertschöpfung. Könnte Viersen nicht Vorbild für andere Kommunen sein?
Annette von Hagel: Der Landkreis Viersen ist in der Tat Vorreiter und strahlt mit seinem Engagement weit in andere Kommunen hinein. Wir haben den Landkreis damals beraten und ihm für die Umsetzung des Vorhabens drei Grundprinzipien an die Hand gegeben. Alle Schritte vom Planen über das Bauen bis hin zum Betreiben der Immobilie müssen ineinandergreifen und dürfen nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Außerdem sind die wesentlichen Beteiligten aus dem Betrieb in die Planung einzubeziehen, um ihre Erkenntnisse einzubringen. Wichtige Fragestellungen sind, wie wird das Gebäude betrieben, welche Materialien sind notwendig, um es instand zu halten und zu reinigen u.v.m., so sind die Logistik und die Verkehrsflüsse für die Anlieferung der Waren ebenfalls aus der Betriebssicht zu betrachten.
Unerlässlich ist zudem die Existenz eines digitalen Zwillings des Gebäudes und eine durchgängige Dokumentation, die darlegt, was gebaut wurde, welche Materialien zum Einsatz gekommen sind und wie sie verarbeitet wurden.
Leider gibt es Beispiele, die zeigen, dass bei der Verarbeitung der Werkstoffe nicht nachhaltig gehandelt wird. Das Aneinanderkleben ist ein großes Problem, weil man am Ende dann einen Haufen Abfall hat und die Materialien nicht voneinander getrennt und somit recycelt werden können. Das Bauvorhaben muss in jeder Phase stringent begleitet und kontrolliert werden…
m&w: Was ist Ihre persönliche Motivation, sich in der Stiftung zu engagieren?
Annette von Hagel / Rolf Brunkhorst: Wir wissen, dass ein langer Atem notwendig ist, um Menschen zum Umdenken zu bewegen. Wenn wir jedoch nur einen Teil unserer Ziele erreichen, ist das schon ein Gewinn. Dass die zirkuläre Wertschöpfung in der Bauindustrie möglich ist, zeigt u.a. das Beispiel Viersen. Wir können den Kritikern also beweisen, dass es funktioniert. Letztendlich kommt die Motivation aus der Idee und aus der Tatsache, dass etwas getan werden muss, um die Ressourcenwende in der Bau- und Immobilienwirtschaft zum Erfolg zu führen.
Beitragsbild: Urheber liuzishan – 123RF