„Der digitale Zwilling des realen Bauwerks steht im Fokus der neuen Denk- und Arbeitsweise“

Digitales Planen, Bauen und Betreiben funktioniert mit Hilfe eines digitalen, virtuellen und intelligenten Bauwerksmodells (Foto Urheber: alphasprint 123rf.com)

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Henriette Strotmann, Fachbereich Bauingenieurwesen an der Fachhochschule Münster, über die Chancen der Digitalisierung für die Bauindustrie und das neue BIM-Labor an der FH.

Frau Dr. Strothmann, ein wesentlicher Baustein für die Digitalisierung der Bauindustrie ist das Building Information Modeling (BIM). Was steckt dahinter?

Prof. Dr.-Ing. Henriette Strotmann, Baubetrieb/Baumanagement im Fachbereich Bauingenieurwesen: „BIM ist nicht als Gegensatz oder Teil der Digitalisierung der Baubranche, sondern als deren wesentliche Grundlage zu verstehen.“ Foto: FH Münster

Henriette Strotmann: Betriebsintern geht es bei der Digitalisierung oftmals erst einmal um die Frage, welche Soft- und Hardware Unternehmen benötigen. Für die gesamte Baubranche versteht man unter Digitalisierung aber den gesamten Entstehungs- und Lebensprozess von Bauwerken, das digitale Planen, Bauen und Betreiben. Die Umsetzung dieses Gesamtziels beeinflusst dann auch die digitale Ausrichtung und Entwicklung der Unternehmen der Baubranche. In erster Linie muss also digitales Planen, Bauen und Betreiben umgesetzt und übrigens damit auch an den Hochschulen gelehrt werden.

Der Stufenplan „Digitales Planen und Bauen“, welcher sich mit der Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken beschäftigt, präzisiert hierzu, dass „die Zukunft des Planens, Bauens und Betreibens wesentlich durch den digitalen Wandel bestimmt wird. Die Erstellung digitaler, virtueller Bauwerksmodelle, die anschließend auf der Baustelle realisiert werden und dann als Grundlage für die Betriebsphase dienen, wird in einigen Jahren den Baualltag bestimmen und auch für den Verkehrsinfrastrukturbereich maßgeblich sein.“

Der Stufenplan wurde im Auftrag des BMVI von der „planen-bauen 4.0 Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH“ (planen-bauen 4.0) entwickelt und legt Meilensteine für die Umsetzung von digitalem Planen und Bauen durch die Nutzung der Methode BIM (Building Information Modeling) im Infrastruktursektor fest.  Die Erstellung und Nutzung digitaler, virtueller und intelligenter Bauwerksmodelle beschreibt die Grundidee der Methode BIM und stellt den digitalen Zwilling des realen Bauwerks in den Fokus der neuen Denk- und Arbeitsweise.
Damit gehört zu diesem Thema aber nicht nur die reine Modellierung, sondern die vorangehende Erfassung des Ist-Zustands und damit die Integration von GIS und BIM sowie die Nutzung neuer digitaler Mittel wie Drohnen, Virtual Reality und Augmented Realitiy.

Somit ist BIM nicht als Gegensatz oder Teil der Digitalisierung der Baubranche, sondern als deren wesentliche Grundlage zu verstehen. Digitales Planen, Bauen und Betreiben funktioniert mit Hilfe eines digitalen, virtuellen und intelligenten Bauwerksmodells bzw. mit BIM in Kombination mit GIS und neuen digitalen Mitteln.

An einem Bauwerk – nehmen wir mal eine Gewerbeimmobilie, arbeiten viele verschiedene Spezialisten unterschiedlicher Branchen. Was ist das Besondere bzw. das Schwierige an dieser Konstellation für das Bauen nach der BIM-Methode?

Henriette Strotmann: Die Tatsache, dass Planen, Bauen und Betreiben immer ein Zusammenspiel vieler Beteiligter ist, erfordert heute schon -mit klassischer Methode- viel Kommunikation und Abstimmung. Dies erfolgt aber oft gar nicht, nicht ausreichend oder zum falschen Zeitpunkt. Die Einführung modellbasierter Planungs- und Bauprozesse macht Kommunikation zwischen allen Beteiligten einerseits zu einem frühen Zeitpunkt erforderlich, andererseits wird diese Kommunikation aber durch das Modell und die Nutzung von sinnvoller Software so unterstützt, dass alle Beteiligten frühzeitig Aufgaben, Probleme und Meilensteine abstimmen können bzw. müssen. Dies wird nicht alle Probleme lösen können, es wird bei einzelnen Projekten dennoch zum Beispiel zu Bauverzögerungen oder Planungsänderungen kommen. Anzahl und Ausmaß der Probleme lassen sich durch die Nutzung von BIM aber deutlich reduzieren. Dies wird auch das Image der Branche noch einmal deutlich verbessern. Deshalb verstehe ich BIM als eine große Chance für die Baubranche.

Welche Probleme ergeben sich hauptsächlich in der praktischen Umsetzung?

Henriette Strotmann: Alle Beteiligten wissen, dass es Veränderungen geben wird, alle gehen damit aber unterschiedlich um. Die einen wollen abwarten, andere starten mit Pilotprojekten. Es werden Standards entwickelt, die aber noch nicht konkret genug sind, um die Prozesse schon funktionierend für alle darzustellen. Darüber hinaus arbeiten alle Beteiligten mit unterschiedlicher Software und eine Zusammenarbeit ist zwar theoretisch möglich, praktisch oft aber noch sehr schwierig. So fordern derzeit die Auftraggeber sehr unterschiedliche Standards und die Auftragnehmer haben das Problem, allen Anforderungen gleichzeitig genügen zu müssen.
Darüber hinaus haben weder die öffentlichen Auftraggeber noch die privaten am Bau beteiligten Projektentwickler, Fachplaner, Bauunternehmen, Zulieferer, Handwerker ausreichend geschultes Personal, welches nun modellbasierte Prozesse einführen und umsetzen kann. Hier sind die Hochschulen gefordert, diese Lücke zu schließen.

Wie ist die Idee bzw. das Vorhaben entstanden, ein BIM-Labor in Münster einzurichten?

Henriette Strotmann: Wie oben bereits erwähnt, benötigt die Baubranche junge Absolventen, die die neue Methodik BIM beherrscht. Die bauspezifische Kompetenzausbildung für digitales Planen, Bauen und Betreiben unter dem Stichwort BIM umfasst alle Leistungsphasen und Lebensphasen eines Bauwerks und erfordert sowohl Grundlagenwissen für alle Beteiligten und spezifische Kompetenzen für die unterschiedlichen Disziplinen. Eine solche disziplinenübergreifende Lehre und Forschung unter Verwendung aller neuen Möglichkeiten wie zum Beispiel VR- und AR-Technologie, Bauwerksaufnahme durch Laserscan und Drohne sowie 3-D-Druck soll mit dem BIM-Labor umgesetzt werden. Deshalb habe ich gemeinsam mit meiner Mitarbeiterin Leonie Temme im Herbst 2018 einen Antrag bei der DFG für ein solches BIM-Labor gestellt, welcher bewilligt wurde. Darüber hinaus wurde uns über FH-Basis noch eine sehr leistungsstarke Drohne zur Verfügung gestellt.

Was möchten Sie mit dem BIM-Labor erforschen bzw. nach welchen Problemlösungen suchen Sie konkret?

Henriette Strotmann: Uns als Baubetriebler interessiert insbesondere, wie BIM in der Ausführungsphase zum Beispiel für die Qualitätssicherung genutzt werden kann. Disziplinübergreifend möchten wir, auch aus Sicht des Baumanagements, die Möglichkeiten der interdisziplinären Zusammenarbeit untersuchen und in Projekten umsetzen. Hier geht es einerseits um die Veränderung von Prozessen, andererseits aber auch um die technischen Möglichkeiten verschiedener Softwaretools und ihrer Schnittstellen. Meine Kollegen nutzen das BIM-Labor aber auch bereits für konkrete Fragestellungen zum Beispiel aus den Bereichen der Wasserwirtschaft und dem Grundbau.

Ein Blick in die Praxis: Das Planen und Bauen nach der BIM-Methode verlangt von allen Beteiligten auch eine Menge an technischer Ausrüstung, Informations- und Datenaustausch – Kompetenz sowie natürlich spezielles Know-how. Wie sieht es mit den Aus- und Weiterbildungsangeboten aus?

Henriette Strotmann: Wir bieten bereits viele Module im Rahmen unserer Studiengänge an, die die Studierenden mit dem notwendigen Grundlagen- und Fachwissen ausstatten. Durch die großen Veränderungen müssen wir unser Angebot natürlich stetig ausbauen bzw. anpassen, was uns sehr gut gelingt. Weiterhin bin ich Beraterin für eine BIM-Akademie gemeinsam mit dem Unternehmen Formitas. Dort werden firmeninterne wie auch unternehmensübergreifende Schulungsangebote für alle Zielgruppen zu den verschiedensten Themen rund um BIM und Digitalisierung angeboten.

Ein Blick in die Zukunft: Wann wird das Planen und Bauen nach der BIM-Methode das bislang noch „traditionelle Bauen“ abgelöst haben?

Henriette Strotmann: Gebaut wird auch weiterhin durch Menschen auf der Baustelle. Das „traditionelle Bauen“ wird also nie gänzlich abgelöst. Die Digitalisierung und die BIM-Methode können die Prozesse aber unterstützen und teilweile auch zum Beispiel durch Systembau standardisieren. Dies wird stetig voranschreiten und immer stärker genutzt werden.

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