Die Bedeutung des Maschinenbaus als Wachstumsmotor ist seit Jahrzehnten groß. Gilt das auch für die Zukunft? Wo liegen die Stärken der Branche und wo ist der Handlungsbedarf am größten? Im Interview spricht Thomas Ulrich, Partner bei der Unity AG, über die aktuellen Herausforderungen des Anlagen- und Maschinenbaus.
m&w: Wenn Sie heute auf den Maschinenbau blicken, welche „Note“ würden Sie ihm geben im Hinblick auf seine Innovationsstärke?
Thomas Ulrich: Pauschal eine Note für die Innovationsstärke zu vergeben, wird dem Maschinenbau mit seinen verschiedenen Disziplinen nicht gerecht. Deshalb ist es sinnvoll, eine differenzierte Sicht nach Technologien vorzunehmen. Blicken wir auf die Entwicklung und den Bau von mechanischen Maschinen, würde ich neun von zehn Punkten geben. Auch wenn wir auf die Entwicklung und Integration von Elektrik, Sensorik und den Schaltschrankbau sehen sind wir gut aufgestellt.
Die Domäne Elektronik wird von vielen Maschinenbauern gut beherrscht, ihre Stärke in dieser Technologie ist auch auf Kooperationen zurückzuführen. Jedoch sehen wir ebenso Unternehmen, die in diesem Umfeld sehr gefordert oder teilweise auch überfordert sind.
Sehr gut aufgestellt ist die Branche im Bereich SPS-Software und bei der Echtzeitsteuerung von Maschinen. Da die Maschinenbauer mit ihrer Kompetenz die Fertigungsprozesse ihrer Kunden verstehen, sind sie in der Lage gute Steuerungsprogramme zu entwickeln. Anspruchsvoller ist die Umsetzung von Maschinenverkettungen innerhalb einer Fabrik und die Einbindung von Maschinen weiterer Hersteller. Wird zudem der Datentransport zu Bauteilen/Bearbeitungsobjekten inklusive der dem jeweiligen Teil zugeordneten Daten betrachtet, sind SPS und Leittechnik miteinander zu verbinden. Diese Situation stellt Maschinenbauer vor besondere Herausforderungen und wird von Unternehmen unterschiedlich gut gemeistert.
Eher noch am Anfang sehe ich die Branche bei der Bereitstellung von Softwareprodukten oder digitalen Mehrwertdiensten inklusive entsprechender Backendsysteme sowie den Service und Vertrieb von Softwarelösungen. Hier sind Maschinenbauer gezwungen zu handeln. Erweiterte oder sogar neue Geschäftsmodelle sind gefordert um dauerhaft erfolgreich zu bleiben. Leider ist davon auszugehen, dass verschiedene digitale Mehrwertdienste in naher Zukunft eine Basiskompetenz sein werden.
m&w: Die Herausforderungen der Branche sind groß: Immer mehr Tech-Unternehmen dominieren das Geschäft, der internationale Wettbewerb ist nicht zu unterschätzen. Welche Anstrengungen muss die Branche unternehmen, um auch künftig ihre Rolle als Wachstumsmotor zu behalten?
Thomas Ulrich: Wie schon gesagt, wir müssen davon ausgehen, dass verschiedene maschinennahe digitale Lösungen zu einer Basiskompetenz werden bzw. zum Teil auch heute schon sind. Denn die Erwartungshaltung an die Nutzbarkeit der Maschinensoftware und maschinennaher Software ist sehr hoch. Zunehmend besteht nur eine geringe Bereitschaft, für diese Leistungen auch zu zahlen. Manche Maschinenbauer sprechen in diesem Zusammenhang sogar von der „I-Phoneisierung ihrer Maschinen“. Das ist eine anspruchsvolle Situation.
Die Unternehmen sind gefordert, den Schutz und die Ausweitung ihres Stammgeschäfts weiter voranzutreiben. Um seine Position als Marktführer beizubehalten, ist der Maschinenbau auf gute Erträge angewiesen. Deshalb bleibt der Export enorm wichtig. Zum einem verleiht er zusätzliche Kraft, um im Wettbewerb weiter vorne bleiben zu können, zum zweiten sichert er das Stammgeschäft vor aufkommenden Wettbewerb.
Wie brisant die Lage für einzelne Maschinenbauer sein kann, zeigt beispielsweise ein Blick auf die Produktion von Windkraftanlagen. Viele große Hersteller von Windkraftanlagen sind in China. Die nicht hinreichende Geschwindigkeit des Ausbaus von Windkraft in Deutschland hat nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Zukunftschancen reduziert. Jetzt erleben wir erste Lieferungen von Windkraftanlagen aus China nach Europa. Es ist zu befürchten, dass eine ähnliche Entwicklung auch bei den millionenteuren Konverterstationen droht.
m&w: Welche Herausforderungen müssen kurzfristig von den Unternehmen bewältigt werden?
Thomas Ulrich: Um auf Wachstumskurs zu bleiben, sind Kooperationen im vorwettbewerblichen Bereich hilfreich und wichtig. Mit dem Netzwerk owl maschinenbau und dem Spitzencluster it´s owl sind wir in der Region gut aufgestellt. Von ihren Angeboten und Projekten können die Maschinenbauer profitieren. Hier bekommen sie Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Herausforderungen und Zugang zu einem breit aufgestellten Netzwerk. Und das ist auch notwendig, denn das Aufgabenspektrum ist groß. So sind der Ausbau von Elektronik und Softwarekompetenz zwingend geboten. Unerlässlich ist auch die Digitalisierung bestehender und zusätzlicher Mehrwertdienste. Unternehmen kommen nicht umhin, intelligente Plattformen zu nutzen oder bereitzustellen – um beispielsweise mit dem „Internet der Dinge“ Maschinen und Geräte miteinander zu vernetzen. Insbesondere die Bereitstellung von Plattformen ist eine enorme Herausforderung, die einen großen Krafteinsatz verlangt und von den zahlreichen Mittelständlern in der Region nicht allein zu stemmen ist. Über Kooperationen kann man hier gemeinsam erfolgreich sein.
m&w: Vieles ist im Umbruch: Die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung fordert die Unternehmen. Gleichzeitig bietet sie auch enorme Chancen. Wo sehen Sie diese?
Thomas Ulrich: Die Nutzung von Technologiesprüngen zur Senkung der Herstellungskosten bei den Produkten sehe ich als eine große Chance. Maschinen sind Investitionsgüter mit einem Lebenszyklus von zehn bis 15 Jahren. Oftmals sind sie noch länger im Einsatz. Unternehmen haben die Chance, ihre Lösungen effizienter zu produzieren und damit Einsparpotenziale zu nutzen. Es gilt von technologischen Entwicklungen zu profitieren. Dazu gehören Technologiesprünge von der Mechanik zur Elektrik, von der Elektrik zur Elektronik und von der Elektronik zur Software.
Chancen sehe ich auch in der Entwicklung von Mehrwertdiensten sowie datenbasierten Geschäftsmodellen. Das führt zur Nutzung von Plattformen, wie zum Beispiel Gaia-X. Entscheidend bleibt jedoch, dass Unternehmen die Kontrolle über ihre Kunden- und Produktinformationen behalten und diese nicht an große amerikanische Plattformunternehmen „verschenken“.
m&w: Welche Technologien/Trends werden den Maschinenbau kurz- und langfristig prägen?
Thomas Ulrich: Die Technologien Elektronik, Software und künstliche Intelligenz werden langfristig wichtige Säulen im Anlagen- und Maschinenbau sein und mit darüber entscheiden, ob die Branche auch in Zukunft wettbewerbsstark bleibt. Die Integration dieser Technologien fordert neue Verfahren zur Produktentstehung: die Methoden des Systems Engineering haben sich hier bewährt. Gerade mit Blick auf Künstliche Intelligenz Systeme sind wir in der Region gut aufgestellt. Mit dem Fraunhofer Institut IEM in Paderborn verfügen wir über exzellentes Know-how und die entsprechende Expertise. In Gesprächen erlebe ich immer wieder, dass Unternehmen mit sehr großem Respekt der KI begegnen. Das ist nicht notwendig. Viele Lösungen und Technologien sind verfügbar. Die Herausforderung liegt vielmehr im Trainieren der jeweiligen Lösung mit Daten.
m&w: Die Bedeutung des Maschinenbaus für die Region: Kann man sagen, starke Branche, starke Region?
Thomas Ulrich: Absolut. Die Bedeutung des Anlagen- und Maschinenbaus ist nicht zu unterschätzen. Viele dieser Unternehmen sind mittelständisch und eigentümergeführt. Hier wird mit Freunden zusammengearbeitet. Für den weiteren Erfolg ist ein erreichbares Netzwerk von Technologie- und Softwarepartnern zwingend.
Mein Eindruck ist, dass wir in der Region zahlreiche Softwareunternehmen haben und damit im Vergleich zu anderen Regionen sehr gut aufgestellt sind. Das mag an unserer Nixdorf-Historie liegen. Inwieweit diese Unternehmen im Maschinenbaunetzwerk integriert sind, kann ich nicht beurteilen.
m&w: Ausblick in die Zukunft: Wo sehen Sie Verbesserungspotential bei den Standortbedingungen?
Thomas Ulrich: Der Anlagen- und Maschinenbau in der Region steht technologisch zumeist gut da. Im Hinblick auf die Produkttechnologien habe ich den Eindruck, dass die Unternehmen hier sehr viel weiter als andernorts sind. In unserer Region sind (Welt-) Marktführer aktiv: mit erstklassigem Know-how und besonderer Stärke in ihrer Nische. Bedarf sehe ich in der Entwicklungsmethodik. Positiv ist, dass die Unternehmen für diesen Bereich im Spitzencluster it´s owl und den Partnerunternehmen wertvolle Unterstützung finden. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Verbesserungspotenzial gibt. Lassen Sie mich dieses an zwei Themen verdeutlichen. Die Rekrutierung von qualifiziertem Personal ist eine besonders wichtige Aufgabe. Noch immer verzichten wir auf einen Großteil unseres Potenzials, weil Frauen weniger berufliche Möglichkeiten haben und die familiären Rahmenbedingungen nicht passen. Das ist sehr bedauerlich, zumal Frauen die besseren Bildungsabschlüsse haben.
Noch immer gelingt es uns nicht, die Entwicklung von Kindern von den Fähigkeiten zu entkoppeln. Leider entscheidet die Herkunft auch heute noch über die berufliche Zukunft und es scheint gesetzt zu sein, dass zumeist die Kinder von Akademikern studieren.
Und es ist schade, dass wir die Vielfalt von Kindern nicht gut genug fördern. Das Ergebnis sehen wir tagtäglich: Die Anzahl der Menschen, die ohne qualifizierten Abschluss die Schule verlassen, ist viel zu hoch. In 2021 waren es laut Bertelsmann Stiftung gut 47.000 Jugendliche. Um möglichst viele Kinder möglichst früh zu entwickeln, müssen frühkindliche Bildung und differenziertes Lernen an Schulen ausgebaut werden. Außerdem ist es zwingend notwendig, politisch Führung wahrzunehmen und Verantwortung für beste Lösungen zu zeigen. Es ist wenig hilfreich, der Angst vor Veränderung zu folgen: anders ist die Voraussetzung für besser, besser ist zwingend, um im weltweiten Wettbewerb weiter zu gewinnen. Von Technologieführerschaft profitieren wir alle. Wir wissen doch: Bildung schafft Innovation, Innovation schafft Arbeitsplätze, Arbeitsplätze schaffen Wohlstand – und das gelingt nur mit den Technologien und Lösungen von morgen.