Serie: Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft
Der Sondermaschinenbauer SEEPEX ist Technologieführer im Markt für Exzenterschneckenpumpen. Im Rahmen einer mehrjährigen Forschungs- und Entwicklungskooperation zwischen SEEPEX und dem Lehrstuhl für Regelungstechnik und Systemtheorie an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) wurde ein neues Verfahren zur Förderstrommessung entwickelt. Ziel war es, schnell Rückschlüsse auf Betriebs- und Verschleißzustände zu ermitteln und rechtzeitige Wartungen einzuleiten. Dr. Johannes Schulz, Head of Verification & Testing bei SEEPEX, und Jens Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Regelungstechnik und Systemtheorie, über die erfolgreiche Kooperation.
m&w: Herr Dr. Schulz, Ihr Unternehmen ist Spezialist für Förderlösungen und Marktführer für Exzenterschneckenpumpen. Wie hat sich Ihr Geschäftsmodell in den letzten Jahren verändert?
Dr. Johannes Schulz: Neben der Produktion und dem Vertrieb von Neupumpen ist der After-Sales-Bereich ein wichtiges Geschäftsfeld für SEEPEX. Ziel ist es dabei, für unsere Kunden die Lebenszykluskosten beim Betrieb und bei der Wartung der Pumpen zu minimieren. Vor gut sieben Jahren haben wir unseren Weg der digitalen Transformation begonnen und haben dabei mittlerweile ein digitales Kundenportal aufgebaut, in dem wir neue digitale Dienstleistungen anbieten. Die klassische Exzenter- schneckenpumpe wird hier zu einem intelligenten und digitalen Produkt. Mit Hilfe unseres herstellerspezifischen Know-Hows analysieren wir Pumpendaten in der Cloud und befähigen unsere Kunden, den Pumpenbetrieb z.B. bezüglich Energieverbrauch zu optimieren und auch mögliche Schäden frühzeitig zu erkennen.
m&w: Welche Aufgabe und Funktion haben Exzenterschneckenpumpen und wer setzt sie ein?
Dr. Johannes Schulz: Unsere Exzenterschneckenpumpen kommen in zahlreichen Branchen zum Einsatz. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Umwelttechnik. Beispielsweise nutzen Klärwerke unsere Pumpen, um in der Abwasseraufbereitung Schlämme zu befördern. Mit anderen Pumpentypen ist hier eine Beförderung dieser dickflüssigen Medien oft nicht möglich. Auch die Lebensmittel- und chemische Industrie verwendet unsere Produkte. Im Grunde genommen sind sie immer dann im Einsatz, wenn Medien gefördert werden, die viele Feststoffe enthalten oder die viskos- bis hochviskos sind oder über einen hohen Trockenstoffgehalt verfügen.
m&w: In Ihrem Forschungsprojekt „Intelligente Fördertechnik als Schlüsseltechnologie für die digitale Transformation der Prozessindustrie“ ging es darum, intelligente Technologien für die Fördertechnik in der Prozessindustrie zu entwickeln. Dabei haben Sie auch die Förderstromschätzung betrachtet. Warum ist es so wichtig, den Förderstrom zu bestimmen?
Dr. Johannes Schulz: Der Förderstrom ist eine charakteristische Größe für Exzenterschneckenpumpen und beschreibt, wieviel Medium (zum Beispiel Schlamm) pro Minute transportiert werden kann, wenn die Pumpe bei einer bestimmten Drehzahl läuft. Bei fortschreitenden Verschleiß der Pumpe nimmt er über die Zeit ab. Seine Messung ermöglicht also Rückschlüsse auf den Betriebs- und Verschleißzustand der Pumpe und letztlich auch auf die Frage, wie effizient die Pumpe betrieben wird. Sensoren zur Durchflussmessung können die Aufgabe zwar übernehmen. Sie sind allerdings sehr kostenintensiv und auch nicht für alle Fördermedien geeignet.
m&w: Wie sah der Projektablauf aus?
Jens Müller: Das Forschungsprojekt fokussierte auf zwei Themen: die digitale Fördertechnik auf der einen und den Wandel in der Pumpenindustrie vom klassischen Maschinenbauer zum Anbieter digitaler Lösungen auf der anderen Seite. Mit Blick auf die Exzenterschneckenpumpe als Förderkomponente war es unser Ziel, innovative, mathematisch-informatische Modelle zu schaffen und in Software abzubilden, die während des Pumpenbetriebs laufen und in Echtzeit ausgewertet werden können.
Während des Betriebs der Exzenterschneckenpumpe haben wir also parallel ein rechnergestütztes Modell der Pumpe betrieben. Dieses digitale Modell lässt sich mit Prozessdaten, die ohnehin anfallen, optimieren. So erhält man Informationen, die sich aus der klassischen Pumpe nur schwer extrahieren lassen. Ein Beispiel dafür ist der zuvor genannte Förderstrom. Bisher lässt sich diese Prozessgröße zwar messen, jedoch nur durch den Einsatz teurer Sensoren. Mit der Konsequenz, dass in vielen Prozessen keine Messdaten erhoben werden. Mit unserem Modell ist es nun gelungen, eine Aussage der Prozessgröße zu erhalten – das war bislang nur sehr eingeschränkt möglich.
Dr. Johannes Schulz: Unsere Motivation war von der Idee geleitet, mit kostengünstiger Hardware Sensordaten in Echtzeit auf der Feldebene aufzunehmen, vorauszuwerten und weiterzuleiten. All die so gesammelten Informationen sollten über eine Anbindung an unser Cloudsystem zur weiteren Analyse übermittelt werden. Gleichzeitig ging es darum, die Analyseergebnisse auch in den Systemen des Kunden sichtbar machen zu können. Zusammengenommen bekommen die Anwender damit die Möglichkeit, auf Verschleißzustände der Pumpe zu reagieren, vorausschauend Ersatzteile zu beschaffen und entsprechend Serviceeinsätze zu planen.
Spezielle Herausforderungen gab es auf allen technologischen Schichten von der Pumpe und der Elektronik im Feld, über den sicheren Datentransfer an die Cloud und der dortigen Analyse bis hin zur Kundeninteraktion. An der Pumpe musste eine Infrastruktur geschaffen werden, damit die Schätzalgorithmen überhaupt ihre Arbeit aufnehmen konnten. Das volle Potenzial auszuschöpfen gelingt aber nur, wenn dann auch eine sichere Konnektivität besteht – eine über Maßnahmen der IT-Security abgesicherte Verbindung der Pumpe nach außen. Dazu braucht es ein System, dass die Daten empfangen, aufnehmen, abspeichern, visualisieren und weiterverarbeiten sowie übergeordnet mit anderen Daten kombinieren und mit anderen Systemen teilen kann.
m&w: Wo genau liegen die Vorteile für den Anwender?
Dr. Johannes Schulz: Die nun zum Patent angemeldete Förderstromschätzung ist eine kostengünstige und flexible Alternative zu herkömmlichen Installationen. Der Durchfluss an der Pumpe wird nämlich ohne zusätzliche Sensorik bestimmt und erlaubt es, den aktuellen Verschleißzustand der Pumpe zu ermitteln. Wird das Absinken der Förderleistung der Pumpe rechtzeitig erkannt, können Prozessstillstände vermieden und Wartungsarbeiten optimal eingeplant werden. Es kann damit eine Echtzeit-Schadensdetektion im laufenden Betrieb gewährleistet und die Prozesssicherheit erhöht werden.
Jens Müller: Es gibt über unsere Technologie deutlich mehr Möglichkeiten, den Prozess zu charakterisieren und zu verbessern sowie Verschleiß zu identifizieren – und zwar ohne die deutlich höheren Kosten für Sensorik in Kauf nehmen zu müssen. Denn diese können oftmals die Investitionen für eine Pumpe überschreiten. Deshalb ist die Bereitschaft, zusätzliche Sensorik zu installieren, aktuell häufig gering.
m&w: Wie lange kooperieren Sie schon zusammen und wie ist der Kontakt entstanden?
Dr. Johannes Schulz: Auslöser für das Forschungsprojekt war im Grunde genommen der Start unserer digitalen Reise bei SEEPEX. Uns war schon früh klar, dass wir uns als Technologieführer der Digitalisierung stellen und neue digitale Interaktionsformen mit unseren Kunden aufbauen müssen. Es gibt genug Beispiele, in denen neue digitale Geschäftsmodelle ganze Industrien verändert haben. Und wir wollten diese Veränderungen mitgestalten und nicht nur als Beobachter beiwohnen. Dies hat den Grundstein zur Entwicklung der digitalen Kundenplattform gelegt.
Und hierbei waren und sind uns Kooperationen zu Hochschulen wichtig, um Expertenwissen in unsere agilen Entwicklungsprojekte einzubeziehen. Der Kontakt kam dann über unsere ohnehin guten Verbindungen zu verschiedensten Lehrstühlen an der Ruhr-Universität zustande.
Jens Müller: Bereits vor dem Start des Projekts in 2017 hat es gemeinsame Aktivitäten, die die Modellierung von hydraulischen Maschinen zum Ziel hatten, gegeben. Diese Forschungsarbeiten waren eine gute Basis, um die Herausforderungen des neuen Projektes hier anzudocken.
m&w: Wie entstehen innovative Produkte und Technologien und welche Rolle spielen Ihre Mitarbeiter?
Dr. Schulz: Innovationen und Innovationsmanagement sind feste Bestandteile unserer Unternehmenskultur. Eine eigene Abteilung hat die Aufgabe, Markttrends und –bedarfe zu identifizieren, Innovationsstrategien zu erarbeiten und auch die Produktneu- und weiterentwicklung zu begleiten. Ihre Tätigkeit erfolgt dabei Hand in Hand mit dem Produktmanagement. Wir beobachten sehr genau den Markt und unsere Kunden, um herauszufinden, wie bestehende Produkte weiterentwickelt werden können und welche neuen Technologien und Innovationen unseren Kunden helfen können, erfolgreich zu sein. Hierbei haben Innovationen wie die Förderstromschätzung einen wichtigen Stellenwert, weil sie die Grundlage bilden, ein wichtiges Problem für die Anwender zu lösen. Digitale Technologien haben hierbei einen großen Stellenwert, müssen allerdings auch nah an den Kundenbedürfnissen entwickelt werden. Daher geben gemeinsame Workshops mit Leitkunden und die Einbindung deren Feedbacks in frühen agilen Prototypphasen (Minimal Viable Poducts (MVP)) wichtige Impulse.
m&w: Wie beurteilen Sie im Rückblick die gemeinsame Kooperation und wo sehen Sie einen Mehrwert in einer interdisziplinären Zusammenarbeit?
Jens Müller: Der direkte Austausch zwischen uns und den SEEPEX-Mitarbeitern aus den verschiedenen Abteilungen war sehr fruchtbar und hat uns in der Modellentwicklung und -validierung sehr geholfen. Es ist ein großer Pluspunkt, in wissenschaftlichen Arbeiten Experten einzubeziehen, die das Produkt und deren Anwendung sehr gut kennen. Sie können sofort Feedback geben. Ich bin überzeugt, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit für alle Beteiligten einen großen Mehrwert schafft.
Dr. Johannes Schulz: Im Mittelpunkt unseres Forschungsprojektes stand die gemeinschaftliche Zusammenarbeit zwischen Universität, Industrie und Anwendern – also eine zielgerichtete Kombination aus wissenschaftlicher Grundlagenforschung, industrieller Forschung und experimenteller Vorentwicklung, an deren Ende eine Testinstallation stand, die unsere Ergebnisse verifizierte. Letztendlich wollten wir die Sicherheit haben, dass sich unsere zu Beginn des Projekts formulierte Idee auch in der Praxis umsetzen lässt. Nun gilt es, das Produkt weiterzuentwickeln und in Serienreife zu bringen.
Ein mittelständisches Unternehmen ist häufig nicht in der Lage, die in so einer Forschung und Vorentwicklung anfallenden Aufgabe allein zu stemmen, deshalb ist die Kooperation mit Hochschulen und anderen Partnern eine große Unterstützung. In unserem Beispiel verfügten wir im Hinblick auf Regelungstechnik und Modellierung nicht über das notwendige Know-how und die entsprechenden Ressourcen. Gerade auch die hochkomplexen Anforderungen der IT-Sicherheit können in der Vorentwicklung digitaler Innovation von mittelständischen Unternehmen alleine häufig ebenfalls nur sehr eingeschränkt adressiert werden. Hier hat uns konkret der Lehrstuhl für IT-Security der Hochschule Hamm Lippstadt sehr unterstützt.
Ich kann nur empfehlen, mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen und ähnlichen Partnern interdisziplinär zusammenzuarbeiten und gemeinsam an künftigen Lösungen zu arbeiten.
m&w: Was empfehlen Sie Unternehmern im Hinblick auf eine mögliche Kooperation mit einer Hochschule?
Dr. Johannes Schulz: Aus meiner Erfahrung ist eine Kooperation mit wissenschaftlichen Partnern ein Erfolgsmodell. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Expertise und Professionalität, die uns entgegengebracht wird. Neben dem fachlichen Know-how bringen die Wissenschaftler auch wertvolle Erfahrungen aus vorherigen Projekten mit und geben über das Projekt hinaus wichtige kreative Impulse, um Probleme anzugehen und die richtigen Fragen zu stellen. Unternehmen sollten offen auf Hochschulen zugehen und keine Berührungsängste zeigen, auch falls sie bisher wenig Berührungspunkte mit der wissenschaftlichen Welt hatten.
Das Interview ist Teil unserer neuen Serie, in der wir in Kooperation mit der PROvendis GmbH über die erfolgreiche Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft berichten.