Wie lässt sich ein bestehendes Geschäftsmodell durch ein neues, digitales ergänzen? Das Handwerksunternehmen Drücker aus Rietberg hat sich der Herausforderung gestellt. Nun bestehen beide Modelle nebeneinander und profitieren voneinander.
Birgit Kostner hat in ihrer beruflichen Tätigkeit schon eine Menge alte Gebäude gesehen. Viele waren in keinem guten Zustand. Marode und verfallen fristeten sie ihr Dasein. „Es bedurfte oftmals einer sehr guten Vorstellungskraft, wie sich so ein altes Schätzchen wieder herrichten lässt. Ganz zu schweigen von der Herausforderung, wie man interessierte Käufer findet, die den Mut haben, hier zu investieren und dem Gebäude eine Zukunft zu geben?“, diese Frage beschäftigte nicht nur die BIM-Managerin und Leiterin digitale 3D-Aufmaße, sondern das gesamte Team der Fachwerkstatt Drücker. Das Rietberger Handwerksunternehmen hat sich in der gewerkeübergreifenden, klassischen Fachwerkrestaurierung einen Namen gemacht. Mit einer mehr als 25jährigen Erfahrung versteht das gut 40 Mitarbeiter starke Team sein Handwerk. Die Offenheit für neue Technologien und die Motivation, sich auch neuen Themen zu öffnen, brachte die Handwerkspezialisten vor gut vier Jahren auf eine geniale Idee.
„Wir können potentielle Interessenten für alte Gebäude nur begeistern, wenn wir sie visualisieren und den „schiefen“ Kotten mit seinen „schrägen“ Wänden „schön“ zeichnen. Das funktioniert nur, wenn das gesamte Gebäude vermessen und in einem 3D-Modell präsentiert wird“, beschreibt Kostner die Idee.
Von vornherein war klar, dass hier nicht mit Zollstock, Papier und Bleistift das Aufmaß erstellt wird. Effizient und kostengünstig sollte es sein und da kam nur das digitale 3D-Aufmaß in Frage. „Diese Technologie schafft in der Gebäudevermessung gegenüber dem traditionellen Handaufmaß erhebliche Vorteile, da sie vielfältiger nutzbar ist und bessere Auswertungsmöglichkeiten schafft“, zeigt sich Kostner von der größeren Planungssicherheit begeistert.
Der Weg dorthin war nicht ohne Hürden. „Selbstverständlich hat nicht alles von Anfang an funktioniert. Wir haben uns langsam herangetastet und sind teilweise von einem Stein zum nächsten gestolpert“, verrät Birgit Kostner. Die Entscheidung für ein Aufmaß-Werkzeug fiel nicht leicht. Tests verschiedener Geräte führten letztendlich zu einem guten Ergebnis: Das Team entschied sich für einen 360 Grad Laserscanner, weil dieser nicht nur die gesamte Umgebung, sondern auch komplexe Gebäude detailliert erfasst. Zusätzlich kommen bei Bedarf Drohnen zum Einsatz, wenn es darum geht, hohe Gebäude von außen für das 3D-Modell zu erfassen.
Das Procedere ist unspektakulär: Der Laserscanner tastet die Oberflächengeometrie eines Gebäudes berührungslos ab. Mehrere Millionen 3D-Messpunkte bilden die Räume, die Fassade oder die Umgebung mit größter Genauigkeit ab. Alle Details des Gebäudes werden in Form einer Punktwolke festgehalten. Eine spezielle Software errechnet die Maße der Immobilie. Nachdem diese Daten in ein 3D-Modell umgesetzt worden sind, können an jeder beliebigen Stelle Schnitte gelegt und Maße genommen werden. Weiterer Pluspunkt – die 3D-Modelle lassen sich mit Informationen von Building Information Modeling (BIM) hinterlegen.
Das neue Geschäftsmodell befeuert das bisherige
Diese neuen Leistungen haben auch das bisherige Geschäftsmodell positiv beeinflusst. „Oft werden wir nach der Durchführung der digitalen Vermessung eines Gebäudes von Architekten damit beauftragt, zusätzlich die komplette Restaurierung der Immobilie zu übernehmen und knüpfen damit an unsere traditionelle Tätigkeit an“, beschreibt Kostner den attraktiven Mehrwert.
Es gibt deutlich mehr Anfragen
Die „digitalen“ Möglichkeiten haben zudem noch einen weiteren Nutzen für die Rietberger, deren zusätzliches Know-how sich mittlerweile auch in der Industrie herumgesprochen hat. „Immer häufiger kommen Industriebetriebe auf uns zu, die sich mithilfe des digitalen Aufmaßes eine bessere Planungssicherheit verschaffen möchten, wenn es zum Beispiel um den Aufbau einer Maschine in der Halle geht“, beschreibt Kostner. Die digitalen Daten sind ebenfalls eine wertvolle Hilfe, wenn Auswertungen für das Facility-Management erstellt oder Baumaßnahmen geplant werden. „Hier haben sich für uns komplett neue Geschäftsfelder und damit neue Zielgruppen eröffnet. Das sind Aufträge, die wir vorher niemals erhalten hätten“, freut sich Birgit Kostner über die Neuausrichtung, die zudem auch noch zu zwei Preisen geführt hat. Mit dem digitalen Geschäftsmodell überzeugten sie nicht nur beim Wettbewerb „NRW-Wirtschaft im Wandel“, sondern auch beim Zukunftspreis Handwerk OWL.
Probleme, alle Kollegen für die neue Technologie zu begeistern, hat es nicht gegeben. „Jeder hat sich mit eingebracht und hineingefuchst. Schließlich hatten wir ein festes Ziel im Blick“, schaut die BIM-Managerin zurück.
Nicht zu unterschätzen sei die Technologie auch vor dem Hintergrund, dass viele Unternehmen mit immer weniger Fachkräften ihre Aufträge erledigen müssten. Da das digitale Aufmaß schnell zu präzisen Ergebnissen führe, könnten auch die Ressourcen der Handwerker geschont werden.
„Für uns war klar, dass wir mit unserem digitalen Geschäftsmodell nicht gleich auf enormes Interesse stoßen. Das Unwissen vieler Unternehmen ist groß, oftmals gibt es nur eine geringe Bereitschaft, sich mit neuen und unbekannten Technologien auseinanderzusetzen. Unsere Nachbarländer wie die Niederlande, die Schweiz und Großbritannien sind da schon weiter. Wir haben jedoch zu jedem Zeitpunkt für unsere Idee gebrannt und waren sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Der Wunsch, mit unserem neuen Geschäftsmodell vorne mitzuspielen und hier eines der ersten Unternehmen zu sein, hat uns motiviert“, berichtet Kostner von ihren Erfahrungen. Die Geduld hat sich mittlerweile ausgezahlt, seit Mitte letzten Jahres sind die Anfragen nicht nur erfreulich gestiegen. Vielmehr hat sich auch in der Außenwirkung etwas verändert. So zeigen Fachkräfte verstärkt Interesse an dem Unternehmen, wünschen sich Teil des Teams zu sein. Personalmangel kennen die Rietberger bisher nicht.
Weitere Informationen: www.3d-aufmasse.de