Jedes Unternehmen muss neue Produkte und Services entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Angesichts zunehmender Digitalisierung werden die Karten jedoch neu gemischt. Wie sich Innovationsinitiativen erfolgreich umsetzen lassen, erklärt Mario Martini, Gründer und Geschäftsführer des Münsteraner Corporate Venture Builders lab25.
Herr Martini, Digitale Innovationen zu schaffen ist für viele Unternehmen eine große Herausforderung. Wie lässt sich das Innovationspotenzial überhaupt feststellen?
Mario Martini: Innovation ist für den deutschen Mittelstand keineswegs ein Fremdwort, sondern im Normalfall fester Bestandteil der Unternehmensgeschichte. Veränderungen hat es schließlich schon immer gegeben. Auch wenn die Spielregeln im digitalen Zeitalter ganz andere sind. Das Potenzial von Unternehmen, insbesondere des Mittelstands, schätze ich grundsätzlich hoch ein, da dieser nicht nur von festen Kundenbeziehungen, sondern auch vom Zugang zu Märkten, tiefem Domänenwissen und finanziellen Ressourcen profitiert. Ein weiterer Vorteil ist in jedem Fall auch die höhere Manövrierfähigkeit und Flexibilität von Mittelständlern im Vergleich zu Großkonzernen.
Spannend ist aber nicht nur die Frage nach dem Potenzial, sondern der „Innovation Readiness“ – oder anders ausgedrückt: Wie bereit ist ein Unternehmen, Potenziale erfolgreich in konkrete Innovationen zu wandeln? Essentiell sind eine klare strategische Ausrichtung sowie eine unmittelbare und kompromisslose Unterstützung durch die Geschäftsführung. Gleichzeitig spielen die Rahmenbedingungen für die Teams, die sich mit Innovation beschäftigen, eine entscheidende Rolle sowie der Bezug zum Kerngeschäft. Schlussendlich sind Erfahrung, spezifische Fähigkeiten, Technologie-Know-how und Methoden ein unbedingtes Fundament erfolgreicher Innovationsinitiativen.
Haben Unternehmen realistische und konkrete Vorstellungen darüber, wie digitale Innovationen aussehen können?
Mario Martini: Hier lassen sich sehr deutliche Unterschiede feststellen. Da gibt es Mittelständler, die tendenziell eher zurückhaltend agieren und sich nur mäßig intensiv mit digitalen Innovationen, insbesondere angrenzend oder abseits ihres Kerngeschäfts beschäftigen. Zwar ist es durchaus verständlich, die Aktivitäten ausschließlich auf das Kerngeschäft zu fokussieren, da sich hier schneller Ergebnisse erzielen lassen. Leider wird so das durchaus höhere Potenzial, das Innovationen um das bestehende Geschäftsmodell herum ermöglichen, oftmals nicht genutzt. Das können zum Beispiel ergänzende Produkte oder Services für bestehende Kunden sein, die konsequent aus der Kundenperspektive gedacht wurden, oder auch Services für Partnerunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Riskant wird es zudem, wenn die bisherige abwartende Haltung aufgrund von Veränderungen im Markt, in Aktionismus umschlägt, das Management unüberlegt zum Besuch ins Silicon Valley aufbricht, eilig Hackathons veranstaltet oder gar die Gründung von unternehmenseigenen Innovation Hubs oder Startup Acceleratoren überhastet initiiert werden. Solche Initiativen sind ohne eine klare und übergreifende Innovationsstrategie oftmals nicht erfolgversprechend, das zeigen Beispiele aus der Praxis.
Wir sehen aber auch Unternehmen, die eine klare Vorstellung haben, wo sie hin wollen und mit welchem konkreten Portfolio an Maßnahmen und Vorgehensweisen sie den Weg beschreiten möchten. Sie machen entsprechend große Fortschritte und schaffen es, Innovationen in einem explorativen Setup insgesamt schnell auf die Straße zu bringen. Die meisten von ihnen haben erkannt, dass es zumindest im ersten Schritt nicht nur um weitere Umsätze und Businesspläne für neue Geschäftsfelder gehen kann. Strukturiertes Lernen und das Generieren von Erkenntnissen sind der Schlüssel zum Erfolg.
Wie lassen sich Ideen „generieren“ und welche Rolle spielt dabei „digitales Wissen“?
Mario Martini: Ideen lassen sich relativ einfach generieren. Im Übrigen mangelt es den meisten Unternehmen auch gar nicht daran. Und ob eine Idee unter der Dusche entsteht oder Ergebnis eines strukturierten Kreativprozesses ist, spielt in der Regel eine untergeordnete Rolle. Denn zunächst einmal ist eine Idee ein Impuls, der einen Schaffensprozess in Gang setzt. Häufig entstehen aus anfänglichen Ideen weitere Anknüpfungspunkte, die letztendlich in eine völlig andere Richtung führen können.
Die entscheidende Frage ist also nicht die nach der Qualität einer Idee. Vielmehr interessiert, welches Potential dieser initiale Zündfunke besitzt. Ein sehr wichtiger Aspekt innerhalb dieses Prozesses ist ein ergebnisoffener Rahmen und das Team, das diesen Funken nutzen soll, um die Innovationsmaschinerie in Gang zu setzen.
Um Innovationen umzusetzen, ist es erforderlich das gesamte Unternehmen „umzukrempeln“?
Mario Martini: Auf keinen Fall, wir raten sogar dringend davon ab. Innovation ist Veränderung, die teilweise auch radikal sein kann. Das bedeutet jedoch nicht, von heute auf morgen sämtliche Strukturen aufzubrechen oder Bewährtes zwangsläufig und ggf. unnötig in den Papierkorb zu befördern. Gerade die Erfahrungen und vorhandenen Assets eines Unternehmens bieten die Möglichkeit eines „Unfair Advantage”, also eines Vorteils gegenüber Wettbewerbern, die eben nicht auf diesem Fundament aufbauen können. Unter geeigneten Rahmenbedingungen kann eine solche Stärke ein massiver Pluspunkt auf dem Weg zu einer erfolgreichen Innovation sein.
Die Erfahrung zeigt, dass es sinnvoller ist, Innovationen in den Unternehmenskontext einzuordnen und sich auf diese Weise bewusst zu machen, in welchem Teil des Spielfelds man sich bewegt. Wir nutzen verschiedene Modelle, um eine Strategie mit Innovationsinitiativen in Einklang zu bringen. So lassen sich Innovationsvorhaben beispielsweise nach ihrer Nähe zum Kerngeschäft einordnen. Hierbei stellen sich Fragen wie: Handelt es sich bei dem dahinterliegenden Geschäftsmodell um das bestehende, ein angrenzendes oder ein komplett neues, gar disruptives Geschäftsmodell. Sind Fähigkeiten oder Domänenwissen im Innovationsteam notwendig, die über die im Unternehmen bestehenden hinausgehen?
Innovationsteams brauchen vor allem dann stark ausgeprägte Freiheiten, je weiter sie vom Kerngeschäft entfernt neue Potentiale entdecken und entwickeln sollen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass erfolgsversprechende Initiativen im Keim erstickt werden. Das ist insbesondere dann zu befürchten, wenn diese disruptiven Charakters sind. Dabei sind es oftmals gerade Ideen, die kurz- bis mittelfristig vom Kerngeschäft ablenken oder in Konkurrenz zu vorhandenen Produkten stehen, die das größte wirtschaftliche Potenzial für die Zukunft beinhalten. Wo wir wieder bei der Notwendigkeit einer klaren Innovationsstrategie wären.
Ein Beispiel aus der Praxis: Wie kann so ein Prozess von der Ideenfindung bis hin zur Umsetzung aussehen? Welche Schwierigkeiten gibt es? Welche Bedeutung haben die Mitarbeiter im Unternehmen?
Mario Martini: Der Prozess von der Ideenfindung bis zur Umsetzung ist oftmals sehr komplex und birgt verschiedene Herausforderungen. Zunächst einmal wäre da die initiale Bewertung und Priorisierung einer Vielzahl von potentiell erfolgversprechenden Ideen. Daneben besteht die größte Schwierigkeit in einer schnellstmöglichen, marktnahen und nutzerorientierten Validierung der am höchsten priorisierten Idee und diese gleichzeitig sukzessive zum Leben zu erwecken.
Ich kann nur empfehlen, einen strukturierten, mehrstufigen Prozess mit klar definierten Oberzielen und Phasenübergängen zu initiieren. Zielführend für den erfolgreichen Verlauf einer Ideenvalidierung ist die Entwicklung einer möglichst haptischen Produktvision, wie zum Beispiel die Erstellung eines Prototypen. Weitere wichtige Impulse liefern das Identifizieren, Definieren und schrittweise Verfeinern künftiger Nutzergruppen. Aber auch die Bewertung von Marktpotenzialen und möglichen Alleinstellungsmerkmalen sowie eine zugehörige Strategie und Positionierung sind hilfreiche Maßnahmen auf dem Weg zum Ziel. Wird während des Prozesses deutlich, dass sich die im Vorfeld aufgestellten kritischen Hypothesen nicht bewahrheiten und mit dem neuen Produkt keine echte Problemlösung erzielt werden kann, ist es ratsam, die Arbeit zu beenden und die Idee zu verwerfen. Dieser Schritt fällt vielen Unternehmen natürlich nicht leicht, insbesondere dann, wenn bereits sehr viel Energie und Zeit in ein Projekt geflossen sind.
Die Rolle der Mitarbeiter während des gesamten Prozesses ist nicht zu unterschätzen. Einige Mitarbeiter verfügen über tiefes Domänenwissen, aber auch über stark ausgeprägte Netzwerke innerhalb des Unternehmens sowie zu bestehenden Kundengruppen. Diese Mitarbeiter haben das Potential, als Brückenköpfe die Verbindung bzw. Rückkopplung zwischen Innovationsteams und Kerngeschäft sicherzustellen und Synergien zu ermöglichen.
Was sind die Vorteile, wenn ein Unternehmen in diesem Zusammenhang eine eigene Einheit außerhalb des Unternehmens „gründet“, und damit losgelöst vom tradierten Geschäftsmodell „experimentiert“?
Mario Martini: Gerade für die Themen abseits des Kerngeschäfts sind gewisse Freiheiten und Unabhängigkeiten des Teams eine notwendige Bedingung für Erfolg. Neben dem Aufbau einer externen Innovationseinheit besteht auch die Möglichkeit, mit Dienstleistern zu kooperieren oder in Startups zu investieren bzw. diese zu erwerben.
Unternehmen, die eine eigene Innovationseinheit aufbauen möchten, sollten bedenken, dass dieses ein komplexes Vorhaben ist. Dies gilt für die Ausrichtung (Inkubator, Accelerator, Company Builder etc.) als auch für die konkrete Umsetzung. Es besteht immer die Gefahr, dass, getrieben durch die Routinen der Mutterorganisation, eine solche Unit nur als Leuchtturm fungiert ohne wirklich nachhaltig Wert zu stiften. Letztlich kommt es auch auf die Unternehmensgröße an, ob der Aufbau einer eigenständigen Einheit lohnenswert ist oder ob man erst einmal ein schlankeres Startszenario wählt. Das kann zum Beispiel der Start einzelner Innovationsinitiativen sein, die auf einer klaren Strategie basieren. Die hier gewonnenen Erfahrungen sind eine gute Basis für die weitere Schärfung des Konzepts und der Gesamtausrichtung.
Langfristig sehen wir das Unternehmen der Zukunft ohnehin eher als ein Netzwerk vieler unabhängig agierender und überschaubar großer Einheiten, die ohnehin schlagkräftiger sind und schneller handeln können.
Schlussendlich darf man nicht vergessen, die Treiber der Veränderung sind immer das Umfeld, der Markt und die Kundenbedürfnisse. Nachhaltig erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, mit von außen initiierten Umbrüchen umzugehen. Sie haben verstanden, dass in einer komplexer werdenden Welt strukturiertes Ausprobieren gepaart mit ständigem Lernen wichtige Instrumente sind. Eine digitale Transformation ist kein einmaliges Ereignis. Vielmehr geht es um Adaptionsfähigkeit und Flexibilität. Diese beiden Kriterien müssen fest in der DNA eines jeden zukunftsfähigen Unternehmens verankert sein.
Vielleicht liegt gerade hier auch die größte Chance für den Mittelstand. Indem es ihm gelingt, sich nicht nur mittels einer externen Einheit von tradierten Geschäftsmodellen zu entkoppeln, sondern sich insgesamt von tradierten Ansätzen der Unternehmensführung zu emanzipieren.
Weitere Informationen: lab25.de