„Mehr Gemeinschaft durch offene Konversation“
Prof. Dr. Matthias Trier, Experte für Wirtschaftsinformatik an der Universität Paderborn, über die Auswirkungen der Digitalisierung auf soziale Diskurse und wie Unternehmen davon profitieren können.
m&w: Herr Professor Trier, Sie beschäftigen sich in Forschung und Lehre mit innovativen Technologien und digitalen sozialen Verhaltensweisen im Kontext von Social Media und digitaler Kooperation. Welche digitalen Interaktionsmöglichkeiten gibt es hier bzw. sind für die Zielgruppe der Unternehmen besonders interessant?
Dr. Matthias Trier: Digitale Interaktionsmöglichkeiten sind in Unternehmen bereits lange im Einsatz, insbesondere natürlich E-Mail. Inzwischen versuchen jedoch immer mehr Organisationen der geringen Transparenz und Effizienz von E-Mails bei kooperativer Arbeit entgegenzuwirken und räumlich entfernte Mitarbeiter besser zusammenzuführen. Diese Unternehmen testen digitale Interaktionsformen aus dem Bereich Enterprise Social Media (ESM), welche den Aufbau abteilungsübergreifender sozialer Netzwerke und thematischer Gruppen trotz physischer Entfernung fördern, das Einbringen von Erfahrungen in geschäftliche Problemfelder unterstützen oder einfach den bedarfsgetriebenen Zugriff auf Experten bzw. Informationsquellen ermöglichen. Beispiele für zunehmend verbreitete Kommunikationskanäle sind „Teams“ und „Yammer“ im Rahmen von „MS Office 365“ oder aber die channel-basierte Interaktionslösung „Slack“. Oft wird hierbei auch das Intranet zu einem „Social Intranet“ erweitert, welches verschiedene beziehungsorientierte und informationsorientierte ESM-Aspekte einbindet. Diese Weiterentwicklung der internen Kommunikation ist relevant, da sich ein gut funktionierender Wissensaustausch zwischen Mitarbeitern zu einer marktrelevanten Herausforderung von Organisationen entwickelt.
m&w: Welchen Einfluss haben digitale Interaktionsmöglichkeiten auf das Kundenverhalten bzw. auf die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander?
Dr. Matthias Trier: Interaktionen mit Kunden sind von transparenter sozialer Vernetzung und Konversation geprägt. Kunden bekommen Erfahrungen anderer Kunden mit und erhalten so aus vielen Quellen ihre Informationen über das Unternehmen. Dieses kann nicht mehr aus der Mitte heraus unilateral nach außen senden, sondern muss sich langwierig in einer interagierenden Kundengruppe legitimieren. Die Interaktion hat sich von der Verkaufsinformation in Richtung informeller Konversation und Storytelling entwickelt und manches Unternehmen fragt sich beispielsweise, ob man Humor einsetzen soll, obwohl man Kompetenz signalisieren will.
Auch im unternehmensinternen Bereich wird die Interaktion zwischen Mitarbeitern durch ESM sichtbarer: nicht mehr nur direkte Adressaten erhalten eine Nachricht, sondern auch weitere zugelassene Themeninteressierte verfolgen die Information. Die Interaktion erfolgt meist bequem asynchron, aber trotzdem schnell und ortsunabhängig. Die thematische Vernetzung führt oft schneller zur gesuchten Lösung. Bekanntmachungen an eine interessierte Zielgruppe sind effektiver. Einfache Reaktionen wie Likes stellen relevante Information heraus. Insgesamt kann so die Belegschaft schneller mit größeren dynamischen Informationsmengen umgehen. Umfragen ergaben, dass durch die „offene Konversation“ Mitarbeiter sich besser als Gemeinschaft wahrnahmen und sich mehr halfen.
m&w: Netzwerkanalysen bilden den Kern Ihrer Forschungsarbeit. Wie muss man sich das konkret vorstellen? Können Sie ein Beispiel aus der Praxis benennen?
Dr.-Ing. Matthias Trier: Interaktion von Mitarbeitern und Kunden über digitale Medien hinterlässt viele Daten. Unternehmen nutzen Social Media Listening, um zu lernen, wie über ein Unternehmen oder Produkt gesprochen wird – negativ oder positiv. Aber digitale Interaktionen erzeugen auch immer eine Netzstruktur mit eigener Dynamik: Personen kommentieren oder „liken“ andere, abonnieren gleiche Themen oder antworten auf Fragen. Aus diesen vielen Interdependenzen lassen sich – unter Beachtung von Datenschutzvorgaben – Netzwerkstrukturen großer Gruppen ableiten und umfassend analysieren. Dabei geht es nicht darum, Personen zu identifizieren, sondern eher soziale Netzwerkprozesse zu verstehen. Kommen neue Akteure gut in das Netzwerk? Gibt es unsichtbare Matchmaker? Gibt es thematische Cluster? Gibt es Fluktuation im Zentrum des Netzwerks oder Engpässe durch überlastete zentrale Akteure? In einem Beispiel haben wir durch eine Netzwerkanalyse von thematischen Onlinegruppen in Enterprise Social Media mit der eigenen Analysesoftware Commetrix erkannt, dass sich selbständig abteilungsübergreifende Gruppen bilden in einem nicht erwarteten Ausmaß. Zusätzliche Befragungen ergaben, dass ein Gleichgewicht zwischen Thementreibern und Informationsbeschaffern existierte. Andere Netzwerkanalysen fokussieren die Messung der „gesunden“ strukturellen Entwicklung von Communities oder ob sich allein durch Teilnahme der Mitarbeiter an vielen Meetings ohne externe Eingriffe ein geschlossenes Gesamtnetzwerk zwischen Themenexperten entwickelt.
m&w: Was müssen Unternehmen beachten, um von den neuen digitalen Interaktionsmöglichkeiten zu profitieren?
Dr. Matthias Trier: Obwohl die technische Implementation von Social Media Plattformen meist keine große Herausforderung darstellt, erfolgt eine erfolgreiche Einführung solcher Onlineumgebungen für den Wissenstransfer nicht von allein. Studien zeigen zum Beispiel auf, dass Mitarbeiter die Relevanz ihrer Beiträge für den unternehmensweiten Kollegenkreis nicht gut einschätzen können. Wir haben auch verschiedene „Unsicherheitsfaktoren“ identifiziert bezüglich der Verhaltensweise anderer Teilnehmer oder der vermuteten Plattformnutzung. Unsicherheiten über typische Normen und Arbeitspraktiken entstehen oft durch geografisch verteilte Mitarbeitergruppen mit großer Diversität. Das erschwert die Koordination der Arbeitsergebnisse. Befragungen zeigten, dass sich die Mitarbeiter bei Unsicherheiten oft wieder auf bekanntere Umgebungen wie E-Mail zurückziehen. Insgesamt stellt die Einführung einer Social Media Plattform zur Wissensteilung daher eine umfassende Managementherausforderung dar. Es müssen ein klarer Zweck, effektive plattformspezifische Praktiken und ein sinnhaftes Eingreifen der Managementebene entwickelt werden, ohne gleichzeitig zu viele Vorgaben zu machen.