Die digitale Transformation eröffnet für Unternehmen große Potenziale. So lassen sich nicht nur neue Wertschöpfungsketten erschließen, sondern auch zukunftsweisende Geschäftsmodelle. Damit steigen die Chancen, mit den eigenen Produkten bekannte Märkte neu zu bedienen, aber auch in komplett neue Märkte vorzustoßen.
Die Spülmaschine im Büro ist wieder einmal bis auf den letzten Platz mit schmutzigem Geschirr gefüllt. Jetzt nur noch eine Taste drücken und der Spülvorgang des hochmodernen und neuesten Modells beginnt. Diesen „Luxus“ gönnt sich das Unternehmen, weil es keine Investitionskosten gab und nur für die Nutzung der Maschine gezahlt wird. Steht sie still, dann klingelt es auch nicht in der Kasse in Gütersloh. Pay-per-use heißt dieses digitale Geschäftsmodell, dass der Hausgerätehersteller Miele entwickelt hat. Ein Bezahlmodell, dass nicht nur den Kundennutzen adressiert, sondern auch für das Unternehmen einen neuen Wert schafft. Teil dieses zukunftsweisenden Geschäftsmodells ist eine weitere Option: Dank modernster Technologie ist es möglich, einen automatischen Bestellprozess anzustoßen und bei Bedarf einfach einen neuen Geschirrspüler zu ordern. Der Weg in den Handel und die Suche nach dem gewünschten Modell entfällt.
Welche Ideen die Digitalisierung freisetzen kann, zeigen nicht nur die Gütersloher, sondern auch der Industrienähmaschinenhersteller Dürkopp Adler. Das Bielefelder Traditionsunternehmen hat in der aktuellen Corona-Pandemie ein Remote-System entwickelt hat, um eine höhere Verfügbarkeit seiner Servicemitarbeiter sicherzustellen.
Beispiele wie diese gehören zu den Leuchttürmen der digitalen Transformation. Diese Nordsterne funkeln längst immer wieder am Himmel über OWL. Sie zeigen, wie Unternehmen in der Region mit Ideen und Mut zur Veränderung neue Chancen nutzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken. Denn die Welt, in der wir leben, befindet sich in einem permanenten Dauerwandlungsprozess mit offenem Ende. Die Digitalisierung und die mit ihr daherkommenden neuen Technologien sind Treiber dieses Prozesses und können ein nicht unerhebliches Bedrohungsszenario für den Mittelstand darstellen.
„Wenn es jedoch gelingt, diese Gefährdung in Chancen umzuwandeln, dann eröffnen sich beeindruckende Potenziale. Unternehmen sind gefordert, eine klare Strategie zu entwickeln“, beschreibt Andreas Klein vom Digital Transformation Office (DTO), eine beim Fraunhofer Institut für Entwurfstechnik Mechatronik IEM in Paderborn angesiedelte Institution, die sich als Plattform für den Mittelstand und die Industrie sieht und eine Brücke schlägt zwischen Praxis und Forschung.
Gemeinsam erarbeitet man hier mit Partnern und Unternehmen aus der Region Lösungen für die digitale Zukunft. Breche man die digitale Transformation nur auf die Erarbeitung einer Strategie herunter, dann sei das nichts Neues. Schließlich gehöre die Entwicklung von Strategien zu einem wesentlichen Bestandteil unternehmerischer Tätigkeit. „Grundlegend anders ist jetzt jedoch die Tatsache, dass wir nun in eine neue Art von Vielfalt und in eine neue inhaltliche Tiefe gehen“, verweist Andreas Klein im Rahmen der von der OstWestfalenLippe GmbH und owl maschinenbau initiierten Industrial Pioneer Days auf einen wesentlichen Unterschied. Nur durch einen radikalen Perspektivwechsel könnten neue Lösungen und zukunftsweisende Geschäftsmodelle entstehen.
Die Digitalisierung ist ein starker Veränderungstreiber
Einen veränderten Blick empfiehlt auch Dr.-Ing. Arno Kühn, Abteilungsleiter Fraunhofer IEM. Für den Experten digitale Transformation ist die Digitalisierung ein starker Veränderungstreiber, gefolgt von der Corona-Pandemie und der Nachhaltigkeit.
„Im Grunde genommen befinden sich die Unternehmen mit ihren Produkten und Geschäftsmodellen in einem dauerhaften Transformationsprozess, den es unternehmensindividuell zu bewältigen gilt.“
Und damit müssten sich Betriebe immer wieder auf Veränderungen, auf neue Herausforderungen und Chancen, die sich auf den Märkten ergeben, einstellen. Mit zahlreichen Angeboten und Initiativen versuchen Kühn und seine Kollegen, kleinen und mittelständischen Unternehmen bei der Bewältigung der digitalen Transformation unter die Arme zu greifen. Wer die Chancen nutze, könne neue Wertschöpfungsketten schaffen und zukunftsweisende Geschäftsmodelle generieren.
Das klingt nach hoher Dynamik. Um diese in ihrem ganzen Ausmaß zu begreifen, reicht ein Blick zurück. Vor zehn Jahren gab es bereits erste Diskussionen zum Thema Industrie 4.0, wenn auch die Bezeichnung noch nicht existierte. Drei Jahre später wiesen Kenner darauf hin, dass man an die Digitalisierung denken müsse. Sie werde die Welt verändern, so die Prognose. „Das hatte einen kleinen Beigeschmack nach dem Motto `da kommt etwas mal schauen, ob es uns überhaupt betrifft´. Es ist gerade einmal fünf Jahre her, da wurden Unternehmen aufgefordert, sich stärker über Pilotprojekte zu engagieren und zu lernen, was Digitalisierung nun tatsächlich bedeuten kann“, beschreibt Maschinenbauingenieur Klein.
Vor drei Jahren tauchte dann das Thema Industrie 4.0 in der Breite auf, damals noch stark auf den Produktionsansatz fokussiert. Die innere Leistungserstellung stand im Vordergrund und erstmals diskutierte man über digitale Geschäftsmodelle.
Andreas Klein: „Heute wissen wir, dass ein ganzheitlicher Ansatz zu gestalten ist und das funktioniert nur mit einer klaren Strategie. Mit Insellösungen und einzelnen Projekten kommen wir nicht weiter.“
Der Weg zu einer zukunftsweisenden Strategie für den digitalen Transformationsprozess will genau geplant sein. Initiierung, Commitment, Standortbestimmung, das sogenannte Roadmapping und die Umsetzung sind als ein Gemeinschaftswerk aller Beteiligten zu sehen. Es reicht nicht mehr aus, wenn ein Verantwortlicher seine Vorstellungen kommuniziert und aufzeigt, wo es langgeht. Es braucht die Zustimmung aller Führungskräfte und die aktive Einbeziehung aller Mitarbeiter. „Zusätzlich sind eine gewisse Systematik und Methodenunterstützung notwendig, damit man den Überblick behält und sich nicht verliert“, sagt Christian Kürpick vom Paderborner DTO. Die volle Innovationskraft könne nur durch das komplette Team entwickelt und genutzt werden. Außerdem fuße so ein Konzept auf einer hohen Akzeptanzbasis und erleichtere damit die Umsetzung. Der Digitalisierungsexperte weist jedoch auch darauf hin, dass jeder Transformationsprozess eine individuelle Angelegenheit ist. Einen allgemeingültigen Weg gibt es nicht, wohl aber wiederkehrende Muster im Sinne von Strategiephasen, die sich für den einzelnen Fall ableiten lassen.
So wie kein Weg an der Entwicklung einer Strategie vorbeiführe, genauso wenig könne ein Unternehmen die Digitalisierung ignorieren: „Sie ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument zur Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Wenn wir das Potenzial der Digitalisierung nicht nutzen, dann können wir auch die Chancen der Nachhaltigkeit, ein weiterer wichtiger Veränderungstreiber, nicht nutzbringend einsetzen. Und wir brauchen die Potenziale der Digitalisierung auch als Kompensation für den nicht nachwachsenden Rohstoff – Nachwuchs und Talente“, sagt Andreas Klein.