Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Kann sie sich auch positiv auf die Geschlechterverhältnisse am Arbeitsmarkt und in den Unternehmen auswirken? Dr. Edelgard Kutzner, Wissenschaftlerin an der Sozialforschungsstelle der TU Dortmund, über ein aktuelles Hype-Thema.
Frau Kutzner, kann die Digitalisierung die Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bzw. in den Unternehmen reduzieren?
Edelgard Kutzner: Die Digitalisierungsprozesse in den Unternehmen sind sehr vielfältig und offen, schaffen damit aber auch Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten. Diese Chancen gilt es zu nutzen. Das gelingt jedoch nur, wenn alle Beteiligten, Männer und Frauen, in diesen Prozess einbezogen werden. Leider beobachtet man in vielen Unternehmen eine andere Herangehensweise: Da wird eine neue Technik eingeführt, die alte Arbeitsorganisation und Arbeitsteilung, die nach Frauen und Männern differenziert, jedoch beibehalten. Hier wird völlig außer Acht gelassen, dass eine neue Technik andere Belastungsformen schafft und andere Qualifikationsanforderungen verlangt. An diesem Punkt stellt sich die Frage, haben nicht Männer und Frauen die gleichen Kompetenzen. Das gilt auch für die Arbeitsbewertung: Wäre es nicht angebracht, eine Höherbewertung der Frauenarbeit vorzunehmen und damit eine Aufhebung der Gehaltsdifferenz?
Ich bin der Überzeugung, dass der Betrieb ein wichtiger Ort ist, um Einfluss auf die durch die Digitalisierung zu erwartenden Veränderungen zu nehmen. Hier müssen Gleichstellungsbeauftragte, Personal- und Betriebsräte und natürlich auch die Unternehmensleitungen aktiv werden. Welche Arbeitsplätze werden digitalisiert, wer ist betroffen? Warum erfolgt diese Maßnahme? Nur so kann es gelingen, eine Verbesserung für Frauen zu erreichen. Das ist eine Aufgabe für alle Beteiligten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Edelgard Kutzner: In der Tat gibt es Beispiele, die zeigen, dass Frauen durch die Digitalisierung profitiert haben. In einem Betrieb waren einige Frauen für die Erledigung einfacher Handarbeiten zuständig. Als diese automatisiert wurden, verloren sie nicht ihren Arbeitsplatz, sondern waren nun für die Qualitätskontrollen zuständig, die der Digitalisierungsprozess mit sich brachte. Durch die Übernahme neuer EDV-Arbeiten wurden sie zwei Lohngruppen höher eingestuft, weil ihre neue Arbeitsbewertung nicht mehr zum bisherigen Tätigkeitsmodell und der Bezahlung passte.
Gibt es Berufsfelder, die Frauen besondere Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen?
Edelgard Kutzner: Informatikerinnen und Informatiker haben zurzeit die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, weil ihr Know-how auch zukünftig stark nachgefragt werden wird. Deshalb ist es sehr wichtig, noch mehr Frauen für die MINT-Berufe zu begeistern. Entscheidend ist jedoch, dass in Ausbildung und Studium eine Geschlechtersensibilität eingeflochten wird. Nur so lässt sich verhindern, dass die Geschlechterstereotype in die Software- und Technikgestaltung einfließen. Beispiel Produktentwicklung: Ein männlicher Entwickler hat vor einigen Jahren ein lilafarbenes Handy entwickelt, weil dieser dachte, Frauen mögen diese Farbe. Das Gerät hat sich nie verkauft. Wenn also nur Männer in der Entwicklung tätig sind und nicht gendersensibel ausgebildet wurden, besteht die Gefahr, dass nur ihre Sichtweise in Produkten und Anwendungen Berücksichtigung findet. Wobei Frauen selbstverständlich nicht per se einen anderen Blick auf die Dinge haben. Sie einzubeziehen ist nicht nur eine Frage von Chancengleichheit, Vielfalt der Personen in Entwicklungsteams bedeutet immer auch die Berücksichtigung unterschiedlicher Sichtweisen und Erfahrungen.
Kann mobiles Arbeiten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern?
Edelgard Kutzner: Sie könnte die Vereinbarkeit erleichtern, sie tut es in der Regel nicht, weil es nach wie vor als selbstverständlich angesehen wird, dass Frauen die Haus- und Pflegearbeit erledigen.
Männer sind nach wie vor die Hauptverdiener. Da besteht oftmals sogar gegenseitige Akzeptanz. Frauen kümmern sich um die Kinder, pflegen Angehörige und übernehmen die Hausarbeit. Das sind keine guten Bedingungen für mobiles Arbeiten zu Hause. Es gibt ältere Studien zur Teleheimarbeit, die gezeigt haben, dass sich hier überhaupt keine Verbesserung hinsichtlich der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergeben hat, weil sich die Frauen noch mehr verausgabt haben.
Selbstverständlich ist es positiv, wenn Frauen die Möglichkeit haben, beispielsweise einmal in der Woche von zu Hause zu arbeiten. Ich glaube jedoch nicht, dass eine Dauereinrichtung sinnvoll ist. Im Übrigen beobachte ich eine eher gegenteilige Entwicklung: Größere Unternehmen verabschieden sich immer häufiger vom Gedanken des Home Office, weil sie von einer Präsenz der Beschäftigten vor Ort, u.a. aus Sicht der Teamarbeit, überzeugt sind. Ein gemeinsames Miteinander könne nur im Unternehmen entstehen und nicht über E-Mails oder Skype. Außerdem eignet sich längst nicht jede Tätigkeit für ein Arbeiten in den eigenen vier Wänden.
Es gibt Kolleginnen, die mobiles Arbeiten als große Chance für die Gleichberechtigung von Frauen betrachten. Ich sehe das skeptischer, weil ich befürchte, dass dieses Modell zu einer starken Verfestigung dieser Rollenteilung beitragen kann. Es ist ja keinesfalls so, dass der Arbeitgeber, der der Mitarbeiterin die Möglichkeit auf das Home Office anbietet, auch auf die Arbeitsteilung zu Hause Einfluss nimmt.
Können Frauen beim neuen Trend „agiles Arbeiten“ mit Skills wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit punkten?
Edelgard Kutzner:
Wenn ich diese Argumentation höre, dann stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Es gibt in der Tat Kolleginnen in der Wissenschaft, die das behaupten. Das ist das absolute Stereotyp. Ich kenne mindestens so viele Frauen, die null kommunikationsfähig sind und ich kenne ebenso viele Männer, die exzellent kommunizieren.
Solche Debatten haben einen biologistischen Touch. Ich frage mich, warum sind Frauen fingerfertiger, kommunikations- und kooperationsfähiger? Woher kommen diese Fähigkeiten? Niemand bekommt diese in die Wiege gelegt. Solche Zuschreibungen haben in der Regel diskriminierende Wirkung, die sich zum Beispiel auch in der Bezahlung niederschlagen kann. So werden „weiblich“ konnotierte Eigenschaften und Fähigkeiten stets geringer bewertet. Frauen werden zudem in ihren beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt.
Das heißt: Die professionelle Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit muss also jeder zunächst erlernen und ist nicht nach Geschlecht zu differenzieren?
Edelgard Kutzner: Absolut, ich wehre mich dagegen, diese Kompetenz einem Geschlecht zuzuschreiben. Denn dann tritt man wieder in diese Stereotypenfalle und diese ist letztendlich maßgeblich für die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt und im Unternehmen.
Wie wirkt sich die Digitalisierung von Frauen in Führungspositionen aus?
Edelgard Kutzner: Führung ändert sich grundsätzlich. Während früher die Führungskraft Ansprechpartner für die verschiedensten Anliegen war, werden von ihr heute vielmehr Kommunikation, Kooperation, Unterstützung und Motivation erwartet. Genau hier liegt jedoch das Problem: Viele Forscherinnen sehen hier die Chance für Frauen, da sie diese Fähigkeiten qua Geschlecht mitbringen. Das ist für mich zu kurz gefasst: Führungsverantwortung erfordert eine ordentliche Qualifikation. Nicht jeder Mensch ist für eine solche Aufgabe geeignet. Es gibt so viele schlechte Führungskräfte. Männer und Frauen, die Führungsverantwortung übernehmen, müssen in der Lage sein, ein hochqualifiziertes Team adäquat zu motivieren, damit es gut zusammenarbeitet. Da spielt die Digitalisierung schon eine wesentliche Rolle. Ich glaube jedoch nicht, dass Frauen automatisch profitieren können. Das gelingt nur, wenn man diese Stereotype in Frage stellt.