Erfolgsfaktor Künstliche Intelligenz

Die nächste Stufe der digitalen Transformation

Die Potenziale Künstlicher Intelligenz (KI) für die Wirtschaft sind unbestritten groß. Das haben viele Unternehmen auch erkannt, dennoch scheint die Bereitschaft, konkrete Schritte in Richtung Umsetzung zu gehen, noch immer gering zu sein. Warum es so wichtig ist, sich auf den Weg zu machen.

Künstliche Intelligenz kann helfen, durch vorausschauende Wartung einen Maschinenausfall zu verhindern. KI ist in der Lage, aus dem Rohstoff Daten wertvolle Informationen und damit neue Alleinstellungsmerkmale zu generieren und Künstliche Intelligenz kann Unternehmen auch dabei unterstützen, bessere Produkte zu entwickeln: Die Liste ließe sich noch um weitere Stärken fortsetzen. Das zeigt einmal mehr, welche Potenziale diese wichtige Schlüsseltechnologie birgt, die noch längst nicht gehoben sind. Unternehmen kommen nicht umhin, sich diesem Thema zu stellen, wollen sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben.

Dr. Sebastian von Enzberg: „KI ermöglicht, die Reifegrade der Industrie 4.0 zu erhöhen.“ (Foto: Fraunhofer IEM)

In den letzten Jahren sind im Land und in der Region eine Vielzahl an Initiativen und Projekten gestartet, um insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen für diese Technologie und deren Nutzen zu begeistern und sie bei der konkreten Umsetzung zu unterstützen. Über all dem steht das Ziel, die Unternehmen und den Standort zu stärken. Neben KI.NRW und dem Mittelstand Digital Zentrum Ruhr-OWL ist besonders der Spitzencluster it´s OWL zu erwähnen, der mit seinen Partnern zahlreiche Aktivitäten im Themenfeld Künstliche Intelligenz auf den Weg gebracht hat. Denn der Wettbewerb innerhalb Deutschlands ist nicht zu unterschätzen, Länder wie Bayern und Baden-Württemberg sind sehr aktiv. Mit ihnen müssen wir uns messen.

Und dieses Engagement trägt langsam, aber sicher Früchte. In den Unternehmen ist durchaus ein starkes Interesse für die Potenziale von KI vorhanden, wie Dr. Sebastian von Enzberg, Gruppenleiter Industrial Analytics am Fraunhofer IEM in Paderborn, beobachtet hat. Die Verankerung im Unternehmen sei jedoch zu schwach. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig. „Die build- or buy-Entscheidung, also die Frage, ob ein Unternehmen die KI-Kompetenzen selbst aufbaut oder extern einkauft, wird oftmals falsch getroffen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Unternehmen erfolgreich sind, die KI nicht nur einsetzen, sondern KI auch verstehen und im besten Fall selbst an der Umsetzung beteiligt sind. Dies ermöglicht eine tiefere Verankerung in ihren Produkten und Prozessen, sowie einen nachhaltigen Einsatz im Betrieb.“ Die Ursachen für die Fehleinschätzungen sieht der Data Science-Experte insbesondere in dem mangelnden Bewusstsein in den Unternehmen und im Management. Auch fehlten oftmals das Verständnis und notwendige Kompetenzen.

Das Interesse ist da, es scheitert jedoch am praktischen Handeln.

Als ein Hemmnis betrachtet der KI-Spezialist auch die unternehmenseigenen IT-Systeme, hier fehlten oft die erforderlichen Grundlagen beziehungsweise sie würden stark unterschätzt. „Entscheidend ist zum Beispiel die Vernetzung verschiedener Systeme im Unternehmen. Ohne zentrale Verfügbarkeit und Qualität von Daten funktioniert es leider nicht. Und auch die unternehmensweiten und -übergreifenden Zugriffsrechte auf Daten sind eine Voraussetzung für die Nutzung von KI. Nicht zu vergessen, der Stellenwert von Datenschutz in Deutschland und der EU“, so Sebastian von Enzberg. Das sei jedoch kein regionalspezifisches Problem, sondern ein deutschlandweit zu beobachtendes Phänomen. Wie auch eine Studie des BITKOM aus 2019 zeigt, die genau diese Problematik unterstreicht:

„Die Unternehmen erkennen, wie wichtig der Einsatz innovativer Technologien ist, um im Wettbewerb erfolgreich sein zu können. Diese Erkenntnis spiegelt sich aber noch zu selten im konkreten Handeln wider.“

Selbstverständlich gibt es auch in der Region Vorreiter, die sich eigene Abteilungen mit KI-Expertise leisten. Dazu gehören zum Beispiel Weidmüller Industrial Analytics und Miele Smart Home. Generell gehen die KI-Innovationen derzeit meist in das Produktgeschäft, wie der Wissenschaftler betont: „Erfreulich ist, dass auf diese Weise in den Unternehmen neue Produkt-Features und Services entstehen. Leider wird bisher nur wenig für die Effizienz der eigenen Prozesse getan.“ Dabei könnte KI für die Optimierung der eigenen Produktion oder die automatisierte Auftragsentwicklung als echter Treiber fungieren.

Um noch mehr für die Thematik zu sensibilisieren, ist weiteres Engagement vonnöten. Und deshalb wird durch gezielte Initiativen ein einfacher Zugang zu Wissen und Informationen geschaffen. Der KI-Marktplatz OWL ist so ein Angebot, das schnell und unbürokratisch KI-Experten und -Anbieter mit Unternehmen zusammenbringt, die diese Technologie nutzen möchten. In diesem Projekt entwickelt sich ein Ökosystem für künstliche Intelligenz in der Produktentstehung, das gemeinsame Innovationen fördern soll. Experten sehen gerade hier große Potenziale, die durch KI gehoben werden können. Zumal die Produktentstehung eine treibende Kraft für Produktinnovationen ist und zudem über die späteren Produktionskosten entscheidet. Gut 85 Prozent der Herstellungskosten werden in dieser Phase bereits festgelegt.
Zurzeit wird dieser Marktplatz aufgebaut und Schritt für Schritt um weitere Funktionalitäten erweitert. So steht neben einer intelligenten Partnervermittlung für Anwendungsfälle von KI in der Produktentstehung auch ein Datenraum für diesen Prozess zur Verfügung. Ein Baukasten für die KI-Entwicklung enthält essentielle Werkzeuge. Auch KI-Anwendungen werden direkt über den Marktplatz bereitgestellt.

Ein wichtiger Impuls für einen stärkeren Einsatz von KI in der Industrie könnte von Startups ausgehen. „Weil sie es sind, die den Transfer von KI in die Praxis ermöglichen. Das gilt insbesondere für die EU und Deutschland. Hier gibt es kaum große Tech-Konzerne, die diese Rolle einnehmen. Startups bieten in der Regel schlankere Lösungen an, weil sie nur begrenzte Finanz-Ressourcen haben und konzentrieren sich daher auf ein Kernproblem, das mit KI gelöst werden soll.
Aufgrund ihrer Schnelligkeit und Flexibilität im Vergleich zu größeren Unternehmen lassen sich neue Technologien zudem zügig und unbürokratisch auf ihren Nutzen testen“, so Dr. von Enzberg.
Auch seien junge Teams in ihrem Denken unvoreingenommener, was sich in innovativeren Lösungen niederschlage. Hier gebe es kein „das machen wir schon immer so“ oder „das hat in der Branche noch nie funktioniert.“ Sie praktizieren eher das „First principle thinking“, in dem sie das Problem komplett herunter brechen und ohne die Randbedingungen eines etablierten Unternehmens oder einer „alten“ Branche betrachten.

Die Bedeutung von Startups im Hinblick auf den beschleunigten Einsatz von KI unterstreicht auch eine Studie des VDMA, der in einer Analyse der vergangenen zehn Jahre über 800 Startups in 46 Ländern identifiziert hat, die KI-Lösungen für den Anlagen- und Maschinenbau anbieten. Gut 42 Prozent kommen aus Europa. Damit übertrumpft der Kontinent in der Anzahl der Gründungen Nordamerika und Asien.
Aus der Analyse hat sich zudem ergeben, dass immer mehr Geld in KI-Startups für den Maschinenbau fließt. Gerade in den letzten beiden Jahren ist ein überdimensional großer Anstieg zu verzeichnen gewesen. Neben der hohen Investment- und Förderdynamik auf dem Markt der KI-Startups lässt sich zudem auch ein direkter Einsatz von immer mehr dieser Lösungen in der Industrie beobachten.
Künstliche Intelligenz für den Maschinenbau werde die nächste Stufe der digitalen Transformation, prognostiziert Hartmut Rauen, stellvertretender VDMA-Hauptgeschäftsführer:

„Durch den hohen Vernetzungsgrad zwischen regionalen Gründer- und Forschungsnetzwerken mit der vitalen Maschinenbauindustrie ist Europa eine Startup-Schmiede für KI-Innovationen im industriellen Kontext. Deutschland ist dabei Gravitationszentrum in Europa mit mehr als einem Drittel der Startup-Gründungen.“

Wie die Studie außerdem zeigt, lassen sich mit Künstlicher Intelligenz Effizienzpotenziale in unterschiedlichen Anwendungsfeldern der industriellen Wertschöpfung umsetzen und neue Services und Geschäftsmodelle aufbauen. Dabei zeichnen sich für den Maschinenbau sechs Innovationscluster ab, in denen ein starkes Gründungsaufkommen zu verzeichnen ist und die von hoher Relevanz für den Maschinen- und Anlagenbau sind. Dazu gehören die datengestützte Überwachung und Optimierung der Produktions- und Geschäftsprozesse mittels digitaler Zwillinge, KI-Lösungen zur Automatisierung der Qualitätssteuerung und -prüfung sowie KI-basierte vorausschauende Wartung zur Reduzierung ungewollter Stillstandzeiten und Verlängerung der Lebenszyklen betrieblicher Anlagen.
Ebenfalls vorhanden sind Ideen für KI-basierte Automatisierungslösungen und Roboter in und außerhalb der Fabrik, die KI-unterstützte Erstellung technischer Entwürfe oder Simulationen von Produktions- und Einsatzumgebungen sowie die Optimierung der Lieferketten und Prognose der Produktnachfrage mittels KI.

Die Chancen Künstlicher Intelligenz sind beträchtlich, schon allein, wenn es um die Weiterentwicklung der digitalen Transformation geht. Beide bedingen sich wechselseitig. „So schafft die digitale Transformation erst die notwendigen Voraussetzungen, um KI überhaupt umzusetzen. Denn sie ermöglicht die Vernetzung von Systemen und die Entwicklung digitaler Produkte, sorgt für die Verfügbarkeit von Daten und trägt zu einem digitalen Bewusstsein bei. Auf der anderen Seite liegen die Mehrwerte von KI auch darin begründet, die digitale Transformation voranzubringen und auszuweiten“, beschreibt Dr. von Enzberg. Erst durch KI sei es möglich, die Reifegrade der Industrie 4.0 zu erhöhen, insbesondere wenn man selbstoptimierende, autonome Produktionssysteme realisieren möchte.
Deutschland und Europa, das gehört auch zur Wahrheit, müssten jedoch noch viel mehr in der Praxis tun, um im globalen Vergleich mitzuhalten. „Laut einer Erhebung des BMWi lag der Anteil deutscher Unternehmen mit KI-Einsatz in 2019 gesamtwirtschaftlich bei 5,8 Prozent. Überspitzt formuliert – wir sind top in der Theorie, schwach in der Praxis. An den vielen exzellenten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Forschungsinitiativen, die sich mit KI beschäftigen, liegt es nicht. Es ist die mangelnde Umsetzung, hier wird Deutschland, wird ganz Europa, vom Rest der Welt abgehängt“, so Dr. von Enzberg.


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