Viele Bauunternehmen suchen verstärkt Fachkräfte und haben Probleme, offene Stellen zu besetzen. Professor Dr.-Ing. Jürgen Biernath, Fachhochschule Münster, Fachbereich Bauingenieurwesen, über den Fachkräftemangel und wie Betriebe attraktiver für Mitarbeiter werden können.
Herr Professor Biernath, die gute Auftragslage in der Baubranche ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, wenn es um die große Nachfrage an Fach- und Arbeitskräften geht. Welche Berufsbilder und Tätigkeitsfelder werden zurzeit besonders stark nachgefragt bzw. leiden unter dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften?
Jürgen Biernath: Der kürzlich veranstaltete Baubetriebstag und die dort geführten Gespräche mit Unternehmern haben sehr deutlich gezeigt, wie es um die Fachkräftesituation in der Branche bestellt ist. Wenn wir die aktuelle konjunkturelle Situation in Verbindung mit der demografischen Entwicklung betrachten, dann ist von einem weiterhin großen Bedarf an Handwerkern und Ingenieuren auszugehen. Wenn Sie mich persönlich fragen, sehe ich das größere Problem mittelfristig jedoch im Handwerksbereich. Ich befürchte, dass die Nachfrage nach dem Know-how der typischen Handwerker wie Betonbauer, Maurer, Pflasterer im Tiefbau oder Schreiner und Zimmermänner langfristig groß sein wird, jedoch nicht mehr ausreichend befriedigt werden kann. Zwar ist die Nachfrage nach Ingenieurleistungen auch sehr groß, wenn ich mir jedoch die Entwicklung der Studierendenzahlen an der FH Münster anschaue, dann zeigt sich, dass das Interesse an einer akademischen Ausbildung auf einem sehr hohen Niveau liegt. Diese Menschen stehen der Baubranche für eine spätere handwerkliche Tätigkeit dann natürlich nicht mehr zur Verfügung. Das große Interesse an einem Studium und das eher geringe Interesse an der beruflichen Ausbildung spiegelt sich auch in unserem in Kooperation mit der Bauindustrie entwickelten Franchise-Studiengang Baustellenmanagement wider. Als Hochschule liefern wir die Prüfungsamtsleistungen und stellen viele Kolleginnen und Kollegen für den Lehrbetrieb zur Verfügung. Etwa 60 Prozent der Absolventen sind Meister und Techniker, teilweise um die 50 Jahre alt oder älter, die auf der Zielgeraden noch einen Karriereschritt anstreben. Viele, insbesondere Beschäftigte im öffentlichen Dienst, treten in ihrem Job auf der Stelle und haben keine Chance für einen weiteren beruflichen Aufstieg. Dieser ist hier sehr stark an die jeweilige Qualifikation gekoppelt. Das Studium soll ihnen nun diese Möglichkeit eröffnen. Dabei wären sie als Techniker und Meister in der Praxis sicherlich auch sehr gefragt.
Stichwort Fachkräftezuwanderungsgesetz: Profitiert auch die Baubranche hiervon, bzw. wie groß ist der Anreiz für Zuwanderer, sich für einen Job in der Baubranche zu qualifizieren?
Jürgen Biernath: In der Tat ist das ein Thema, dass die Bauindustrie mit großem Interesse verfolgt. Die Sprachproblematik stellt jedoch eine größere Schwierigkeit dar. Vielfach ist zu hören, dass die entsprechenden Sprachkurse nicht den Qualitätsansprüchen genügen, weil die Vermittlung von Fachbegriffen nicht im Fokus steht. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Baubranche von den Zuwanderern sehr profitieren kann, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Zu den Rahmenbedingungen gehört u.a. auch das Beherrschen der deutschen Sprache?
Jürgen Biernath: In der Tat. Das Beherrschen der deutschen Sprache ist eine wesentliche Anforderung seitens der Wirtschaft. Die argumentiert so, dass es schwierig und aufwendig sei, Menschen, die des Deutschen nicht mächtig sind, spezifische Fachbegriffe für die tägliche Arbeit zu vermitteln. Ich persönlich denke jedoch, dass Unternehmen gefordert sind, auch für Zugewanderte die Attraktivität zu erhöhen, indem sie ihnen zum Beispiel ein Paket, das über die Bereitstellung des Arbeitsplatzes hinausgeht, anbieten. Dieses kann zum Beispiel die Unterstützung bei der Wohnungssuche und das Kümmern um die Familie sein.
Wie lässt sich die Attraktivität der Branche besonders für junge Menschen steigern?
Jürgen Biernath: Leider hat die Baubranche insgesamt nicht unbedingt den besten Ruf, obwohl das, was hier im Ergebnis geschaffen wird, geradezu grandios ist. Im Vergleich zu anderen Branchen, wie der Elektronikbranche, wo zum Beispiel ein kleines Bauteil entwickelt wird, das der Nutzer gar nicht zu Gesicht bekommt, erschafft die Bauindustrie Brücken, attraktive Gebäude, Ortsumgehungen und Autobahnen, das sind alles sichtbare Bauwerke. Wir kommen nicht umhin, das Positive der Branche zu kommunizieren. Da sind die Berufs- und Hochschulen, die Ausbildungsstätten und Betriebe gefragt. Sie müssen früh den Kontakt zu den jungen Menschen suchen, in die Schulen gehen und über die Berufsbilder informieren. Hier sind alle gefordert, gemeinsam an der Attraktivität der Branche zu arbeiten.
Wo und wie müssen evtl. auch die Arbeitgeber umdenken?
Jürgen Biernath: Diese Themen spielen definitiv schon eine wichtige Rolle in der Baubranche. Ich bin davon überzeugt, dass Betriebe gar nicht umhinkönnen, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren können. Da sie sonst große Probleme bei der Rekrutierung von Personal bekommen werden.
In der Praxis ist das jedoch nicht ganz so einfach zu realisieren. Hier muss man differenzieren nach Beschäftigten, die im Innendienst tätig sind, wie Mitarbeiter in der Buchhaltung oder in der Arbeitsvorbereitung oder in der Kalkulation. Sie können selbstverständlich auch am Home Office-Arbeitsplatz tätig sein. Für den Bauleiter dürfte es jedoch schwer werden, trotz Webcams auf den Baustellen und moderner Kommunikationsmittel. Die Baustelle befindet sich nicht immer direkt vor der Haustür. Aktuell betreuen einige Münsteraner Unternehmen sehr viele Projekte im Raum Mannheim und Heidelberg. Da wird es schwer, die Prinzipien der Work-Life-Balance umzusetzen. Ein Bauleiter, der viele Firmen steuern und koordinieren muss, wird das nicht aus der Ferne erledigen können. Dennoch glaube ich, dass sich auch hier einiges ändern lässt. Nicht jede Besprechung muss dank moderner Kommunikationstechniken vor Ort stattfinden.
Durch einige Schnittstellen in andere Branchen weiß ich, dass es in vielen Unternehmen durchaus interessante Modelle für die Attraktivitätssteigerung von Arbeitsplätzen gibt. So hat beispielsweise eine Einheit bei der Deutschen Bahn für ihre Beschäftigten einen eigenen Kindergarten eingerichtet. Mir ist selbstverständlich klar, dass es sich hier um einen Konzern handelt und sich mittelständische Unternehmen nicht mit ihm vergleichen können. Man kann jedoch bestimmte Konzepte von Großunternehmen auch auf kleinere herunter brechen. Gemeinsame Freizeitaktivitäten aller Beschäftigten und ihrer Familienmitglieder sind ein Beispiel dafür, wie man den Wohlfühlaspekt erhöhen kann. Damit lassen sich kleine Impulse setzen, um die wenigen Fachkräfte, die es gibt, zu binden. Auf der anderen Seite lassen sich durch besondere Aktivitäten auch neue Mitarbeiter gewinnen. Der Kreativität sind da keine Grenze gesetzt.
Ein anderes Beispiel, dass gerade vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung positive Signale setzen kann: Mit Angeboten zur Gesundheitsförderung, die ein Fitnesstrainer im Unternehmen durchführt, bringt man den Beschäftigten Wertschätzung entgegen und erhält auch die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter. Hier lassen sich mehrere Synergien schaffen.
Wird die Digitalisierung der Baubranche zukünftig auch die Arbeitsbedingungen verändern bzw. das Berufsbild attraktiver machen?
Jürgen Biernath: Absolut ja. Die Digitalisierung ist ein angesagtes Thema, das junge Menschen begeistert. Wer hier bereits gut aufgestellt ist, der kann sich durchaus als attraktiver Betrieb darstellen. Es gibt auch Belege, die zeigen, dass junge Menschen Unternehmen als Arbeitgeber bevorzugen, in denen digitale Strukturen und in der Baubranche zum Beispiel das sogenannte Building Information Modeling (BIM) Einzug gehalten haben. Eine gute Bezahlung und der Firmenwagen allein zählen oftmals nicht mehr.
Davon abgesehen, können Unternehmen, die auf der Grundlage von BIM arbeiten, auch eine Prozessoptimierung erreichen. Das digitale, in 3-D erstellte Gebäudemodell wird hier über den gesamten Planungsprozess von allen Projektbeteiligten mit Informationen angereichert und unterstützt so eine bessere Planung, Ausführung und spätere Bewirtschaftung des Gebäudes. So kann frühzeitig festgestellt werden, ob das Projekt in Bezug auf Konstruktion, Zeit-, Material- und Kostenplanung realistisch und effizient umgesetzt werden kann. Fehler lassen sich so frühzeitig erkennen und minimieren.
Kleinere Baubetriebe halten sich in Sachen Digitalisierung oftmals noch zurück….
Jürgen Biernath: In der Tat gibt es Betriebe, die sich von Digitalisierungstechniken fernhalten. Das sind oftmals Firmen, wo der Unternehmer bereits im Rentenalter ist und sich von seinem Lebenswerk nicht trennen möchte oder nicht trennen kann, weil er keinen Nachfolger findet. Das Niveau ist in der Praxis recht unterschiedlich und hängt sehr vom Engagement des jeweiligen Unternehmers ab. Ich kenne durchaus auch kleinere Betriebe, die ihre Führungskräfte auf den Baustellen mit Tablets ausstatten und damit zu einer Erleichterung der Arbeit beitragen. Und das kann auch ein Pluspunkt für Arbeitgeber sein, die junge und digital affine Menschen für ihr Unternehmen begeistern möchten. Im Übrigen profitieren alle von digitalen Strukturen: Fotos vom Baufortschritt gelangen direkt ins Unternehmen, ebenso Informationen in die Abteilungen Maschinentechnik und Lohnabrechnung.
Gespräche mit Unternehmen zeigen jedoch, dass viele die hohen Kosten, die im fünfstelligen Bereich und höher liegen können, scheuen. Der Aufwand und der Nutzen sind nur schwer abzuschätzen. Ich kann verstehen, wenn Unternehmer sich die Frage stellen, ob sie die Investition durch entsprechende Bauprojekte wieder ausgleichen können. Dennoch kann sich niemand der Digitalisierung verschließen. Die zahlreichen Fördermaßnahmen sollen hier unterstützend wirken und das ist gut so. Die Digitalisierung ist für die Branche ein großer Hoffnungsträger.