Das im April letzten Jahres gegründete Startup FINDIQ hat eine Software für den Maschinenbau entwickelt, die bei der Bewältigung des Fachkräftemangels hilft. Wissenstransfer heißt das Zauberwort.
Wenn Sina Kämmerling und Patrick Deutschmann heute auf das vergangene Jahr zurückblicken, sind sie schon ein wenig stolz. Die Gründer des Startups FINDIQ haben in den letzten elf Monaten ein Geschäftsmodell entwickelt, das in der Maschinenbaubranche auf sehr gute Resonanz stößt, weil es mithilfe intelligenter Softwarelösungen digitale Services möglich macht.
Dabei war der Weg dorthin alles andere als vorgezeichnet. Die Betriebs- wirtschaftlerin mit besten Karriereaussichten in einer Unternehmensberatung hatte nicht den Wunsch, sich beruflich zu verändern. Der Gedanke, aus einer Komfortzone heraus alles aufzugeben und das Risiko einer beruflichen Selbstständigkeit einzugehen, war ihr fremd – bis zum Makeathon im Sommer 2020. Sina Kämmerling war Teilnehmerin des vom Spitzencluster it´s OWL ausgerufenen Wettbewerbs. Neben ihr und Softwareentwickler Patrick Deutschmann stellten sich vier weitere Frauen und Männer, die zufällig zu einem interdisziplinären Team zusammengewürfelt worden waren, der Challenge. Die drei Maschinenbauunternehmen GEA, Kraft und Kemper suchten nach einer digitalen Lösung, um in Zeiten von Kontaktbeschränkungen ihren weltweiten Service aufrechterhalten zu können.
Am Ende begeisterte das Team mit der Idee vom „ServiceNavigator“. Eine Million Euro wurde bereitgestellt, um die Idee im Rahmen eines Forschungsprojekts weiterzuentwickeln und eine Software-Lösung zu erarbeiten.
„Die Idee ist das eine, die Umsetzung ist dann doch etwas Anderes. Und da haben wir gemerkt, dass es schwierig war, mit den verschiedenen Projektteilnehmern zusammenzuarbeiten, um ein technisches Produkt zu entwickeln, gleichzeitig auch Markt- und Wettbewerbsanalysen durchzuführen“, so Sina Kämmerling.
Und obwohl das Projekt Forschungscharakter gehabt habe, sei der Gedanke einer möglichen Unternehmensgründung für einige durchaus vorhanden gewesen. „Das waren die, die heute hinter FINDIQ stehen. Ich habe mich gefragt, ob dieses von den drei Maschinenbauern adressierte Problem möglicherweise auch weitere Unternehmen interessieren könnte. Und mir war klar, wenn wir es schaffen, dieses technisch und intelligent umzusetzen, dann hat das größeres Potenzial. Diese Idee hat mich umgetrieben und gleichzeitig angetrieben“, blickt die Unternehmerin zurück. Nach der Kündigung ihres Jobs und dem Austritt aus dem Projekt haben sie und Patrick Deutschmann sich auf die eigene Gründung konzentriert. „Es wäre sehr kompliziert gewesen, die Ergebnisse des Projekts zu nehmen und in ein Startup zu überführen. Die Förderbedingungen des Projekts haben das nicht wirklich zugelassen. Also haben wir nach dem Projekt und unter neuem Namen mit FINDIQ nochmal bei null angefangen“, sagt Kämmerling.
Mit der Idee im Kopf und einem Prototyp in der Hand haben sich die beiden Gründer auf den Weg gemacht und Gespräche mit Maschinenbauern geführt. Das Interesse war da und die Bereitschaft, das Produkt einzusetzen, ebenso.
„Wir wissen alle, dass in den nächsten Jahren mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen und zu wenige nachkommen. Der Mangel an Servicefachkräften wird zu einem ernsthaften Problem. Außerdem werden die Maschinen komplexer, Expertenwissen wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor. Unser Ziel ist es, eine Lösung anzubieten, die Expertenwissen und Service in der Industrie erhält, ohne dass unbedingt eine Fachkraft vor Ort ist“, beschreibt Sina Kämmerling.
Die Idee dahinter, FINDIQ geht es nicht allein darum, Maschinendaten zu sammeln. Für die Gründer steht der Mensch mit seinem Wissen im Vordergrund. „Wir gehen über das Thema Wissenstransfer an die Problematik heran und unterstützen Unternehmen dabei, das Wissen ihrer besten Servicemitarbeiter zu sammeln, zu strukturieren und für alle Mitarbeiter aufzubereiten, völlig unabhängig von mechanischem, elektronischem oder verfahrenstechnischem Expertenwissen“, so die Betriebswirtschaftlerin. Patrick Deutschmann ist Mathematiker und Data Scientist, er hat das Industrieproblem schnell erkannt.
„Wir haben es mit einer eklatanten Wissenslücke zu tun“, so der Software-Spezialist.
Die Herausforderung sei nämlich nicht, dass keine Maschinendaten vorhanden seien, die Schwierigkeit liege vielmehr darin, dass die Fähigkeit, Daten zu interpretieren, weiter verloren ginge. „Wir haben uns gefragt, welche Algorithmen gibt es, die diese Problematik lösen können und sind schnell zu dem Ergebnis gelangt, dass hier ein weißer Fleck existiert. Das hat uns motiviert, aktiv zu werden. Wir haben einen komplett neuen Algorithmus entwickelt und eine Lösung erarbeitet, die auf einer ganz anderen Herangehensweise basiert und in der Lage ist, auch unstrukturiertes Wissen zu verarbeiten“, beschreibt der Datenspezialist die Innovation.
Erstes Thema, das die Neugründer adressiert haben, war die Fehlerdiagnose und die Unterstützung im Fehlerfall. „In diesem Bereich ist Expertenwissen unerlässlich“, weiß Patrick Deutschmann, der mit diesem Softwaremodul auf positive Resonanz bei den Maschinenbauern gestoßen ist und weitere Bedarfe festgestellt hat:
„In den Gesprächen kommen konkret Anfragen nach klassischer Wartungsunterstützung. Groß ist der Wunsch der Industrie, eine Lösung zu nutzen, bei der wiederkehrende Prozesse, die im Service standardisiert sind, durch eine Software übernommen werden. Auch hier können wir ein Modul anbieten, das praktisch eine Produktweiterentwicklung ist“, so Deutschmann.
„Um eine Lösung zu erarbeiten, müssen wir wissen, wo genau Expertenwissen vorliegt und warum bestimmte Maßnahmen durchgeführt werden. Da geht es zum Beispiel um Toleranzen bei Bauteilen, die zwar passen, obwohl die Betriebsanleitung andere Vorgaben macht. Der erfahrene Mitarbeiter weiß, woran das liegt“, beschreibt Sina Kämmerling. Um den spezifischen Besonderheiten und Hintergründen im betrieblichen Ablauf auf die Spur zu kommen, ist das Gespräch mit den Menschen vor Ort unerlässlich. „Wir müssen wissen, was in ihren Köpfen vor sich geht“, sagt die Unternehmerin. Doch diese Informationen sind erst einmal zu erarbeiten. So fahren sie in die Betriebe, veranstalten Workshops, führen Gespräche und sind während der Produktion dabei.
„Diese Informationen nutzen wir für die Modellierung. Das ist unsere Stärke, unser Alleinstellungsmerkmal“, sagt Sina Kämmerling, die den Aufwand nicht scheut: „Der Austausch und die Nähe schaffen Kundenbindung“, so die Unternehmerin.
Die Gründung in der Region stand für sie außer Frage. Die zahlreichen Mittelständler und die starken Netzwerke, die spezifische Bodenständigkeit und Ehrlichkeit der Menschen seien klare Pluspunkte. „Ich bin ein echter Fan der Region und vom Standort absolut überzeugt. Ich bereue es nicht, dass wir hier gegründet haben“, sagt Sina Kämmerling.
Ideen für den Wissenstransfer im Service haben die jungen Gründer noch viele. Gerade ist ein Modul für die reine Wartungsroutine fertiggestellt worden. Es unterstützt den Mitarbeiter Schritt für Schritt dabei, wie ein Bauteil ausgewechselt oder gereinigt wird. Ganz so, als ob ein Experte neben ihm stehen würde und ihm sagt, was er zu tun hat.