Führungsverantwortung zu übernehmen, ist eine große Herausforderung. Mitarbeitende zu begeistern und für das gemeinsame Ziel zu motivieren, verlangt mehr als nur Fachkompetenz. Warum es so wichtig ist, sich auf die Aufgabe vorzubereiten.
Die letzten Monate waren extrem anstrengend für Martin Müller. Vor gut einem Jahr hat der 38-Jährige eine Führungsaufgabe übernommen. Der Maschinenbauingenieur trägt die Verantwortung für ein zehnköpfiges Team. Auf die neue Aufgabe konnte er sich nicht lange vorbereiten. Eine plötzliche Vakanz der Stelle zwang ihn, sich schnell zu entscheiden und die neue Rolle zu übernehmen. Und obwohl er mit den Abläufen im Unternehmen bestens vertraut war, lief es nicht rund. Sein Team für den gemeinsamen Erfolg zu begeistern und motivierende Beziehungen aufzubauen, gestaltete sich als enorm herausfordernd. Jetzt absolviert er ein professionelles Coaching.
Martin Müller ist kein Einzelfall. Juliane Fuge kennt einige Führungskräfte, die fachlich exzellent ausgebildet sind und mit besten Abschlüssen aufwarten, die jedoch an den zwischenmenschlichen Herausforderungen im Job scheitern, weil es ihnen nicht gelingt, authentische Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden aufzubauen. Die akademische Rätin im Fachbereich Wirtschafts- und Sozialpädagogik an der Universität Paderborn weiß um die Problematik und ist überzeugt, dass die Fähigkeit, eine beziehungsorientierte Führung zu gestalten, bereits viel früher erworben werden muss. In der Schule, in Ausbildung und Studium werde viel zu wenig für die emotionale Bildung getan, noch immer spiele die fachliche Wissensvermittlung die dominierende Rolle.
Dr. Juliane Fuge möchte das ändern und deshalb sensibilisiert die Professorin ihre Studierenden, die ihre berufliche Zukunft in der Personalentwicklung und Unternehmensberatung sehen, für diese Aufgabe. „In den Modulen geht es inhaltlich um verschiedene Führungstheorien und Führungsstilansätze, wie den personalen, den interaktionistischen und den situativen. Doch das reicht nicht. Denn allein die Theorie hilft der Führungskraft in der konkreten Situation im Job wenig, sich den Mitarbeitenden authentisch, offen und vertrauensvoll zu zeigen und gleichzeitig die Führungsrolle wahrzunehmen“, so die Wissenschaftlerin, die auch als psycho-dynamischer Coach arbeitet.
Eine reflektierte Persönlichkeit, Führungs- und Kommunikationsvermögen, Teamfähigkeit und psychische Belastbarkeit: Diese vermeintlichen Soft Skills sind Ausdruck zwischenmenschlicher Professionalität.
Deshalb versucht sie, in einer Art Gruppencoaching über handlungs- und erlebnisorientierte Methoden ganzheitliche Situationen und berufsorientierte Selbsterfahrungsräume zu schaffen, wo die künftigen Nachwuchskräfte die Chance haben, sich mit ihren Gefühlen und Werten und mit sich selbst in beruflichen Handlungssituationen auseinanderzusetzen.
Die Reflexion über sich selbst und die neue berufliche Herausforderung in geschützten Räumen, von denen es nach Ansicht von Professorin Fuge viel zu wenige gibt, ist auch für Berufstätige eine sinnvolle Vorbereitung auf die Übernahme einer Führungsrolle. Menschen, die ihre neue Aufgabe nicht nur aus Machtgründen, sondern mit der Motivation, etwas gestalten zu wollen, anstreben, tragen jede Menge Verantwortung. Deshalb kann es nur von Vorteil sein, sich mit der neuen Position auseinanderzusetzen. Was für eine Führungskraft möchte ich sein?, Was bin ich für eine Persönlichkeit?, Wie verstehe ich Führung?, Welche Vorbilder habe ich? Was muss ich noch entwickeln und was bringe ich mit für die neue Rolle?
Denn in der Regel sind die Erwartungen an die Führungskraft groß, manchmal wird sie auch idealisiert, auf sie wird viel Stimmung projiziert. Sie muss viel aushalten können und mit Ärger und Unmut umgehen können, das ist Teil ihrer Aufgabe. Darüber sollte man sich im Klaren sein, weiß die Wissenschaftlerin.
„Eine reflektierte Persönlichkeit, Führungs- und Kommunikationsvermögen, Teamfähigkeit und psychische Belastbarkeit: Diese vermeintlichen Soft Skills sind gar nicht so soft, sondern Ausdruck zwischenmenschlicher Professionalität. Theoretisches Wissen und Methoden in konkreten Beziehungssituationen anzuwenden, erfordert viel systematische Reflexion. Eine bewusste Gestaltung der Beziehungsebene ist eine Grundbedingung, damit Menschen nicht nur produktiv, sondern auch motiviert, kreativ und kooperativ miteinander arbeiten und voneinander lernen können“, beschreibt Dr. Juliane Fuge die Herausforderung für Führende.
Das Arbeits- und Beschäftigungssystem verändert sich rasant, flache Hierarchien, agile Teams – das verlangt nach anderen Führungskompetenzen.
Doch wie gelingt eine authentische beziehungsorientierte Führung überhaupt und wie sieht diese aus? Eine Führungskraft, die im Umgang mit ihren Mitarbeitenden transparent, aufrichtig und vertrauensvoll auftritt, die sich selbst treu bleibt und sich nicht hinter ihrer Maske oder Rolle versteckt, bringt die besten Voraussetzungen mit. Das setzt jedoch voraus, dass diese Person sich selbst gut kennt, um ihre Stärken und Schwächen und ihre blinden Flecken weiß. Nicht zuletzt sollte sie ihre moralischen Werthaltungen internalisiert haben, wie die Wirtschaftspädagogin erklärt:
„Authentisch sein heißt, meine inneren Empfindungen mit meinem äußeren Handeln und Kommunizieren in Einklang zu bringen. Und das ist immens schwer.“
Dennoch bedeute Authentizität nicht zwangsläufig, alles zu äußern, was einen umtreibe. Aber das, was man sage, sollte reflektiert sein, so Dr. Juliane Fuge. „Hier kommen die sozialen und personalen Kompetenzen ins Spiel, die eine Führungskraft braucht, wenn sie Menschen motivieren und gemeinsam mit ihnen die Ziele des Unternehmens erreichen will. Sie muss sich die Frage stellen, unter welchen Bedingungen sind Mitarbeitende bereit, vieles zu geben.“
Und natürlich braucht es auch Fachkompetenz, das Wissen um die Kernaufgabe des Unternehmens, die Prozesse sowie technische und wirtschaftliche Kenntnisse sind Voraussetzung dafür, als Führungskraft einen verantwortungsvollen und erfolgreichen Job zu machen. Und dabei gilt, je höher es auf der Karriereleiter nach oben geht, desto komplexer werden die Beziehungs-, Management- und Kommunikationsaufgaben.
Juliane Fuge weiß, dass Führung sich in den letzten Jahren enorm gewandelt hat, weil die Arbeitswelt eine andere ist: „Agiles Arbeiten stellt klassische Strukturen auf den Kopf: Unternehmen verlagern die Verantwortung von der Leitungsebene hin zu kleineren Teams, die Aufgaben selbstbestimmt und zielorientiert ausführen.“
In Zeiten agiler Teams und flacher Hierarchien, wo jeder mal jede Rolle einnehmen kann, wo schnell wechselnde Aufträge und absolute Kundenorientierung im Fokus stehen, werden Führungskräfte und ihre Mitarbeiter vor soziale und oftmals auch persönliche Herausforderungen gestellt. „Wenn die Führungskraft ihre Rolle ernsthaft annimmt, dann reflektiert sie nach jeder Teamsitzung sich selbst und setzt sich mit ihren Mitarbeitenden auseinander, begleitet oder coacht sie und lässt sich emotional auf jeden und jede ein. Zusätzlich muss sie es schaffen, Distanz zu nehmen und aus der eigenen Position heraus zu agieren“, so die Professorin. Diese Art der Führung stehe im krassen Gegensatz zur Erteilung von Anordnungen und Kontrollausübung, die für die Führungskraft selbstverständlich einfacher zu praktizieren sei. Dabei werde aber vergessen, dass die Basis für ein erfolgreiches Miteinander die Beziehung zwischen den Menschen und die Kommunikation sei. „Wenn das gut funktioniert, dann ist die Chance größer, dass die Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen und motiviert ihrer Arbeit nachgehen“, sagt Dr. Juliane Fuge.
Martin Müller ist einen großen Schritt weitergekommen. Die reflektierenden Gespräche mit seinem Coach haben ihm neue Erkenntnisse über sich und seine Führungsrolle gebracht. Nun freut er sich auf seine verantwortungsvolle Aufgabe.