Führungsverantwortung: „Frustrationsspiralen sind wirklich gefährlich“

Prof. Dr. Guido Möllering, Leiter der Studie: „Führungskräfte sollen nicht nur an sich, sondern vor allem mit anderen arbeiten.“ Foto: Universität Witten/Herdecke, Kay Gropp

Immer mehr Führungskräfte sind demotiviert und frustriert. Was das für Unternehmen und Mitarbeiter bedeutet, erklärt Prof. Dr. Guido Möllering, Direktor des Reinhard-Mohn-Instituts (RMI) für Unternehmensführung an der Universität Witten/Herdecke und Inhaber des Reinhard-Mohn-Stiftungslehrstuhls für Unternehmensführung.  

 

m&w: Ein Drittel der Führungskräfte in Deutschland fühlt sich belastet und verunsichert. Wo liegen die Ursachen?

Dr. Guido Möllering: Unsere Studie zeigt, dass die Ursachen vor allem im direkten Arbeitsumfeld der Führungskräfte zu finden sind. Wer als Führungskraft selbst viele bürokratische Anforderungen erfüllen muss, aber von seinen eigenen Vorgesetzten wenig Klarheit hat, wohin die Reise geht, der zweifelt deutlich eher an seiner Rolle. Wenn dann die eigenen Mitarbeiter auch noch als destruktiv wahrgenommen werden, kann es zu doppeltem Frust kommen. Die Führungskräfte sind sich dann irgendwann nicht mehr sicher, ob sie für die Rolle geeignet sind und überhaupt noch „Chef“ sein wollen. Die Zweifel sind übrigens bei Jüngeren stärker ausgeprägt als bei Älteren, jedoch gibt es sie auf allen Führungsebenen, in allen Branchen und bei Männern gleichermaßen wie bei Frauen.

m&w: In ihrer Studie stellen Sie fest, dass „Führungskräfte selbst motivierende und unterstützende Bedingungen brauchen, um wirksam zu führen“, was heißt das konkret?

Dr. Guido Möllering: Man kann die Studie zum Anlass nehmen, ein anderes, weniger heroisches Bild von Führungskräften zu entwickeln. Praktisch alle Führungskräfte haben ja auch noch jemanden „über“ sich, von dem oder der vieles abhängt. Und sie können ihren Job nur dann gut machen, wenn sie Leute „unter“ sich haben, die mitziehen und sie dabei unterstützen. Deshalb kann man von Menschen in Leitungsfunktionen nicht erwarten, dass sie andere motivieren, wenn sie selbst durch Gängelung und Blockaden demotiviert werden. Unterstützende Bedingungen entstehen, wenn man lernt, zwischen den Ebenen gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und die Führungsrolle stärker von „Kompetenz“ im fachlichen als im bürokratischen Sinne her denkt. Nicht, wer darf entscheiden, sondern, wer hat das entscheidende Wissen und was ist das gemeinsame Ziel?

Stark belastete Führungskräfte, zu wenig Unterstützung und demotivierte Mitarbeiter: Das führt letztendlich zu einem Leistungsrückgang auf beiden Seiten. Wie lässt sich gegensteuern?

 Dr. Guido Möllering: Frustrationsspiralen, bei denen sich die oberen und unteren Ebenen jeweils immer weiter demotivieren, sind wirklich gefährlich. Sie erschweren es vor allem, dass ein Unternehmen sich stetig positiv weiterentwickelt. Um gegenzusteuern, muss man sich erstmal bewusst werden, dass es nicht förderlich und auch nicht „normal“ ist, wenn die Ebenen in einer Organisation mehr gegen- als miteinander arbeiten. Leider verhindert oft der Druck des Tagesgeschäfts eine solche Reflexion. Sie ist aber nötig und sollte in der betreffenden Gruppe stattfinden. Wenn man gemeinsam nach den Ursachen des Frustes sucht, kann man das persönliche Vertrauen wiederherstellen und in der Sache bessere Wege der Zusammenarbeit finden. Das Unternehmen als Ganzes kann gegensteuern, indem man die allgemeine Führungskultur hinterfragt und neue Führungsformen ausprobiert.

Wo müssen Führungskräfte selber noch mehr „an sich arbeiten“ bzw. wie könnte eine externe Unterstützung aussehen?

Dr. Guido Möllering: Es ist ganz wichtig, dass Führungskräfte nicht nur „an sich arbeiten“, sondern vor allem „mit anderen arbeiten“. Wer dauerhaft mit der Führungsrolle unglücklich ist, sollte sich umorientieren, aber grundsätzlich ist jeder für eine solche Rolle geeignet, vor allem wenn man sie zeitgemäß denkt. Führungskräfte müssen Zeit zur Reflektion finden und sie den eigenen Mitarbeitern ebenfalls zugestehen. Dann kann man auch gemeinsam zu Ideen kommen, wie man besser zusammenarbeiten könnte. Gruppen, für die diese Art der Reflektion ungewohnt ist, sollten ausgewiesene Kollegen, Coaches, Moderatoren oder Referenten hinzuziehen. Man sollte übrigens nicht vergessen, dass frustrierte Führungskräfte auch das Unternehmen verlassen könnten, um dorthin zu wechseln, wo die Führungsbedingungen besser sind. In diesem Sinne sollte auch niemand aus unserer Studie den Schluss ziehen, dass man die zweifelnden Führungskräfte einfach aussortieren kann. Denn es liegt meist nicht an ihnen persönlich und der Ersatz ist schwer zu bekommen – und noch schwerer zu halten – wenn sich die Bedingungen im Unternehmen allgemein nicht verbessern.

Weitere Details zur Studie unter: https://tinyurl.com/fk-radar2019

Kontext
Jede dritte Führungskraft in Deutschland steckt in einer Identitätskrise. Das ist das Ergebnis des Führungskräfte-Radars 2019 der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (RMI) an der Universität Witten/Herdecke. Die repräsentative Befragung unter knapp 1.000 Führungskräften in Deutschland zeigt, dass 30 Prozent der Befragten auf einer vorgegebenen Skala eine hohe Führungsbelastung angeben. Die weiteren Ergebnisse zeigen, dass etwa die Hälfte ihrer Verantwortung nicht unbeschwert nachkommt. Die Bertelsmann Stiftung sieht hier ein gravierendes Führungsproblem in den Unternehmen: Eine hohe Belastung wirke sich signifikant negativ auf den Erfolg von Führung aus. So gebe es beispielsweise weniger Verbesserungen in der Produktivität und eine erkennbar geringere Mitarbeiterzufriedenheit. Führungsgift seien, so die Forscher, unklare Ziele, viel Bürokratie und Zweifel an den Mitarbeitern.
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