Der Personalbedarf in den Unternehmen ist hoch. Gut 28.00 Stellen in den Betrieben sind in OWL derzeit unbesetzt. Fachkräfteengpässe bestehen in vielen Berufsgruppen, vom Gartenbau, über die Elektrotechnik und Informatik, bis zum Hochbau und zur Gastronomie. Aber auch im Rechnungswesen und Controlling sowie in der Pflege gibt es in Engpässe. Wolfgang Draeger, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Bielefeld, plädiert für eine stärkere Qualifizierung.
m&w: Herr Draeger, Sie haben Fachkräfteengpässe in sehr vielen Berufsgruppen in der Region festgestellt. Warum fehlen gerade hier so viele qualifizierte Menschen?
Wolfgang Draeger: Da gibt es auf der einen Seite Berufsbilder, die vermeintlich nicht attraktiv sind oder als nicht attraktiv angesehen werden. Das sind insbesondere einige Handwerksberufe oder Tätigkeiten in der Pflegebranche, weil hier die Rahmenbedingungen wie die Arbeitszeiten sehr häufig als negativ gesehen werden.
Zusätzlich stellen wir auch in einigen hoch qualifizierten Bereichen einen Mangel fest, weil zum Beispiel in der IT nicht jeder seine berufliche Zukunft sieht. Man muss auch das Interesse haben, sich für einen Beruf in dieser Branche zu qualifizieren und auch bereit sein, eine Tätigkeit aufzunehmen, die vielleicht nicht eine Arbeitszeit von 8 bis 16 Uhr beinhaltet. Nicht außer Acht lassen dürfen wir, dass auch die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Berufswahl gehabt hat.
Menschen, die in der Gastronomie tätig waren, werden diesen Job nicht unbedingt weiterempfehlen. Sie haben die Folgen des Lockdowns besonders zu spüren bekommen. Auch äußere Rahmenbedingungen beeinflussen die Entscheidung für die Wahl bestimmter Berufe. Aktuell zeigt die Energiekrise, welche eklatanten Auswirkungen diese in einigen Handwerksberufen hat. Ich bin mir nicht sicher, ob man seinen Kindern raten kann, eine Ausbildung zum Bäcker zu absolvieren, obwohl das ein attraktiver und wichtiger Beruf ist. Aktuelle Schwierigkeiten sind nicht unbedingt ein Aushängeschild für eine bestimmte Tätigkeit.
Mit diesen Argumentationen werden wir in unseren Beratungen immer wieder konfrontiert. Ganz zu schweigen, dass wir mit unserem Angebot von gut 360 dualen Ausbildungsberufen auch mit einer Vielzahl von Studiengängen, die mittlerweile gut fünfstellig sind, im Wettbewerb stehen. Da verwundert es nicht, dass sich junge Menschen für ein Studium entscheiden, ohne genau zu wissen, welches Berufsziel erreicht werden soll. Diese Entwicklung führt auch dazu, dass gewisse Berufe an Bedeutung verlieren.
So zeigt sich also, dass wir es hier mit einer vielschichtigen Problematik zu tun haben. Die Fachkräftediskussion führen wir schon seit mindestens zehn Jahren. Allerdings nicht so intensiv wie zurzeit, weil es immer schwieriger wird. Die Situation spitzt sich weiter zu.
m&w: Es hat sich also leider zu wenig getan…
Wolfgang Draeger: Es wäre falsch zu sagen, dass gar nichts passiert. Dann würde man den Akteuren nicht gerecht. Es gibt viele kleinere Aktionen, die sich zum Beispiel mit dem Thema Finanzierung von Ausbildung und Umschulung beschäftigen. Die Ergebnisse sind durchaus positiv, denn als Agentur für Arbeit können wir jetzt Umschulungen und auch Ausbildungen finanzieren. Das motiviert dann doch den einen oder die andere, sich für eine Qualifizierung zu entscheiden. Es sind also viele kleine Module, die aber durchaus ihre Berechtigung haben. Schließlich muss man immer die Gegenfrage stellen: Wo wären wir, wenn wir das nicht täten? Dann würde es noch schlimmer aussehen.
m&w: Als eine Lösung plädieren Sie für eine gezielte Qualifizierung für bestimmte Berufe. Wo sollen diese Arbeitskräfte herkommen, die sie weiterbilden möchten, zumal die Anzahl der Erwerbspersonen mittlerweile einen Höhepunkt erreicht hat?
Wolfgang Draeger: In der Tat. In der Qualifizierung sehe ich die beste Lösung. Wir müssen einmal an die Personen herangehen, die bei uns gemeldet sind, weil sie nach einem Job suchen oder sich verändern möchten. Diesen Menschen müssen wir Angebote für die Berufe machen, die stark nachgefragt werden. Man darf jedoch nicht vergessen, dass seitens unserer Kunden auch ein Interesse an der Tätigkeit bestehen muss. Schließlich kann man niemanden zu einer Umschulung zwingen. Ohne Eigenmotivation ist die Maßnahme nicht von Erfolg gekrönt.
Eine weitere Möglichkeit sehe ich in der sogenannten Beschäftigten-Qualifizierung, die diejenigen adressiert, die in einer Beschäftigung sind. Dazu gehören zum Beispiel Menschen, die in einem ungelernten Arbeitsverhältnis tätig sind und die durch die Qualifizierung perspektivisch höherwertige Aufgaben wahrnehmen können. Aber auch für Beschäftigte, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, eignet sich dieses Angebot. Berufstätige, die sich verändern möchten, weil sie sich im aktuellen Job nicht wohlfühlen, können sich durch eine Qualifizierung weiterentwickeln. Hier ist unsere Berufsberatung im Erwerbsleben eine gute Anlaufstelle.
Außerdem müssen wir die Menschen, die schon einmal gearbeitet haben, stärker in den Blick nehmen. Wenn diese als Helfer tätig waren und gar nicht so schlecht verdient haben, ist es für diese Zielgruppe nicht leicht, sich noch einmal zwei oder drei Jahre auf die Schulbank zu setzen. Das ist für sie mit größeren Einschnitten verbunden. Für sie gibt es die Möglichkeit der Teilqualifizierung, bei der die Ausbildung in fünf oder sieben Modulen zerlegt wird. Man besucht dann kleinere Abschnitte und bekommt dafür einen Abschluss. Aus der Summe der Abschlüsse kann eine sogenannte Externenprüfung absolviert werden. Das Gute ist, die Person bleibt weiterhin im Job und kann sich mit den Teilqualifikationen am Markt bewerben.
Großes Potenzial birgt auch die sogenannte Teilzeitausbildung. Es gibt immer mehr Menschen, die nach der Familienphase wieder in den Beruf zurückkehren und einer qualifizierten Tätigkeit nachgehen möchten. Wenn sie längere Zeit aus dem Berufsleben heraus waren oder noch gar keinen Beruf erlernt haben, dann ist die Qualifizierung in Teilzeit eine gute Möglichkeit, sich fit für den Arbeitsmarkt zu machen.
m&w: Wie lassen sich Menschen generell für eine Qualifizierung motivieren und welche Anreize gibt es?
Wolfgang Draeger: Das ist eine berechtigte, aber schwierig zu beantwortende Frage. Wenn eine Person im Helferbereich tätig ist und der Verdienst dort höher ist als das Einkommen nach Abschluss einer Ausbildung, dann wird sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit tatsächlich stellen.
Dennoch ist eine duale Ausbildung oder ein Studienabschluss die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Menschen zu motivieren, die schon einmal Geld verdient haben, eine Qualifizierung anzustreben, ist nicht einfach. Zumal es keine Garantie gibt, nach dem Abschluss tatsächlich bessere Rahmenbedingungen vorzufinden. Außerdem stehen während dieser Zeit deutlich niedrigere Einkünfte zur Verfügung. Um die Attraktivität zu erhöhen, hat der Gesetzgeber jetzt eine zusätzliche finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. Unabhängig davon erhalten Qualifizierungswillige außerdem einen Zuschuss von 150 Euro. Tendenziell gilt jedoch, dass Menschen mit einem Ausbildungsabschluss ein deutlich geringeres Risiko haben, arbeitslos zu werden. Zudem, auch das belegen Studien, beziehen sie ein höheres Lebenseinkommen.
m&w: Die Förderung von vorhandenen Beschäftigten ist ein Karriereschritt für die Menschen und gleichzeitig eine gute Lösung für das Unternehmen. Was halten Sie von der Idee, Mitarbeiter, die bereits im Unternehmen sind, so zu qualifizieren, dass sie die freien Stellen besetzen können?
Wolfgang Draeger: Mit dem sogenannten Qualifizierungschancengesetz setzt man genau an diesem Punkt an. Man muss allerdings differenzieren. Aus der Unternehmensperspektive betrachtet, stößt das Angebot zwar durchaus auf positive Resonanz. Die Bereitschaft, einen Beschäftigten für eine Qualifizierung freizustellen, geht jedoch immer dann rapide nach unten, wenn das Geschäft sehr gut läuft. Dann wird die Person an ihrem angestammten Arbeitsplatz benötigt, diese Stelle temporär mit einer Aushilfskraft zu besetzen, ist dann nicht die beste Lösung. In solchen Situationen sind Wechsel meistens nicht wünschenswert. Theoretisch ist das selbstverständlich machbar und auch in der Praxis gibt es positive Beispiele. Das sind bisher nur wenige, da würden wir uns mehr wünschen. Was jedoch sehr gut funktioniert, ist die Qualifizierung als solche.
m&w: Stichwort Arbeitszeitverlängerung: Wäre das eine Möglichkeit, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten, oder…?
Wolfgang Draeger: Ich denke, hier ist eine berufsdifferenzierte Betrachtung angebracht. Es gibt Berufe, in denen mit fortgeschrittenem Alter die Beschäftigten an ihre Grenzen kommen. Beim berühmt-berüchtigten und viel zitierten Dachdecker wird eine verlängerte Lebensarbeitszeit physiologisch zu einem Problem werden. Ähnlich ist die Situation angesichts der Belastungssituation in der Pflege. Ich kann nicht beurteilen, ob es sinnvoll ist, hier für eine ein- oder zweijährige Verlängerung der Arbeitszeit zu plädieren.
In anderen Berufen kann die Erhöhung des Renteneintrittsalters vielleicht temporär helfen, den Fachkräftemangel zu mildern. Ich glaube jedoch nicht, dass dies die klassische Lösung für die Fachkräftesicherung ist.
Sinnvoller wird es sein, in die Qualifizierung derer, die vorhanden sind, zu investieren. Zusätzlich bieten auch die Weiterbildung ausländischer Menschen und die Zuwanderung ein nicht zu unterschätzendes Potenzial. Auch die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen ist ein Thema. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir hier konkurrenzfähig mit anderen Ländern sind. Ich glaube, da haben wir noch Luft nach oben.