Junge Ingenieurinnen und Ingenieure bringen eine Menge fachliches Know-how beim Eintritt in die Arbeitswelt mit. Die wenigsten jedoch wurden während ihres Studiums mit dem Thema Arbeitsschutz konfrontiert. Diese Wissenslücke möchte das Projekt „ING.MEET.SAFETY“ schließen.
Schneiden, hämmern, bohren: In der betrieblichen Praxis gehören diese Tätigkeiten zum Alltag und bergen doch ein oft unterschätztes Gefahrenpotenzial, wie die Statistiken zeigen: Der nicht korrekte Umgang mit Werkzeugen und Handmaschinen gehört zu den zweithäufigsten Ursachen von Unfällen in Betrieben. Auch der unsachgemäße, unbefugte oder unterlassene Gebrauch von Arbeitsmitteln führt immer wieder zu Arbeitsunfällen. Nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sind knapp 40 Prozent aller tödlichen Arbeitsunfälle darauf zurückzuführen. Dies geschieht häufig mutwillig, zum Beispiel, wenn Mitarbeiter Schutzeinrichtungen deaktivieren oder eine laufende Maschine warten, so die BAuA. Junge Menschen seien zudem besonders häufig in Arbeitsunfälle verwickelt, zeigen statistische Erhebungen. Häufigste Ursache – mangelnde Erfahrung mit Geräten und Arbeitsvorgängen. Mit weitreichenden Konsequenzen nicht nur für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch im Hinblick auf die finanziellen Folgen. Die liegen, so die BAuA, zwischen 500 und 1000 Euro pro Person und Ausfalltag.
Wie lassen sich Arbeitsunfälle verhindern und wie können bereits junge Ingenieurinnen und Ingenieure für die Themen Gesundheitsprävention, Arbeitsschutz und Maschinensicherheit, für Arbeitsschutzrichtlinien und Gesetze sensibilisiert werden? Diese Fragen treiben Dr.-Ing. Ralf Hörstmeier schon seit einigen Jahren um. Der mittlerweile im Ruhestand befindliche Bielefelder Professor, der sich zudem seit über 30 Jahren ehrenamtlich im VDI-Bezirksverein Ostwestfalen-Lippe (VDI OWL) engagiert, hat längst Taten folgen lassen und ist 2017 mit dem interdisziplinären Projekt „ING.MEET.SAFETY“ an den Start gegangen.
Die vom VDI OWL und Unternehmen aus der Region getragene Veranstaltungsreihe widmet sich diesem für Industrie und Wirtschaft so wichtigen Themenkomplex. „Wir sehen dieses Angebot als Ergänzung zu den Inhalten des Studiums, weil hier Elemente aus dem Sicherheitsbereich thematisiert werden, die nicht Teil der akademischen Ausbildung sind. Studierende und Berufsanfänger aus natur-, ingenieur- und wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen haben die Möglichkeit, sich mit Themen zu beschäftigen, die nicht nur eine hohe Bedeutung für ihren eigenen Schutz in der Berufswelt haben. Auch als künftige Führungskräfte obliegt ihnen die Verantwortung für die Sicherheit und Unversehrtheit von Menschen“, beschreibt Dr.-Ing. Ralf Hörstmeier die Intention von „ING.MEET.SAFETY“.
Bei den bisher sieben durchgeführten Tagesveranstaltungen hat der künftige Ingenieurnachwuchs eine Menge an Hintergrundwissen und praktische Einblicke in die Betriebsabläufe mitnehmen können. „Das Wissen um allgemeinen Arbeitsschutz, Maschinensicherheit in Bedienung und Konstruktion sowie um sichere Produktionsabläufe stehen am Projekttag im Fokus“, beschreibt Hörstmeier das Konzept. Betriebliche Strukturen sowie Verantwortlichkeiten und Kontakte kennenzulernen, seien ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
„Die meisten Teilnehmenden kommen hier zum ersten Mal mit der Thematik in Kontakt“,
hat der Ingenieur bei den vergangenen Veranstaltungen beobachtet, die pandemiebedingt in den letzten beiden Jahren nicht mehr stattfinden konnten. Im kommenden Herbst soll es nun weitergehen. Hörstmeier ist überzeugt, dass die jungen Menschen von der Teilnahme in ihrem späteren Berufsalltag immer wieder profitieren werden.
Darüber hinaus könnten sich noch weitere, langfristig auszahlende Vorteile ergeben. „Die jungen Frauen und Männer erfahren durch die Präsenz vor Ort viel über die Unternehmenskultur, sie lernen verschiedene Arbeitsfelder sowie die dafür zuständigen Ansprechpartner kennen“, sagt der ehemalige FH-Professor. Das erleichtere zum Beispiel die Entscheidung, ob der Betrieb eventuell als künftiger Arbeitgeber infrage komme. Nicht zuletzt erhöhe die Teilnahmebescheinigung die Attraktivität bei späteren Bewerbungen auch in anderen Unternehmen, denn viele Personalverantwortliche schätzen Eigeninitiative auf einem interdisziplinären Feld. „Für viele angehende Ingenieurinnen und Ingenieure geht mit der Teilnahme ein Blickwechsel einher. Sie sehen das weitere Studium mit ganz anderen Augen“, beschreibt Ralf Hörstmeier einen weiteren positiven Aspekt.
Auch die teilnehmenden Unternehmen wie Benteler in Bielefeld, GEA Westfalia in Oelde, Gauselmann in Lübbecke und Weidmüller in Detmold sehen in der Kooperation mit dem VDI OWL einen interessanten Mehrwert. Der Automatisierungs- und Digitalisierungsspezialist Weidmüller war bereits von Beginn an vom Konzept überzeugt und unterstützt das Projekt vom VDI OWL bis heute. Ingenieur Mark Edler, der im Hause Weidmüller den Bereich Global Environment, Health, Safety verantwortet, hat es während seines Studiums selbst erlebt. Arbeitsschutz war nicht Teil seiner Ausbildung und so ist er erst während seines Berufslebens mit dem Thema konfrontiert worden. Deshalb begrüßt er das Projekt „ING.MEET.SAFETY“ sehr:
„Ich halte es für sehr wichtig, dass die Ausbildung von Ingenieuren um diese Inhalte vervollständigt wird.“
In den Veranstaltungen zeigt er den Nachwuchsfachkräften nicht nur theoretische Beispiele, sondern versucht sie durch praktische Einblicke zu sensibilisieren. Dazu gehören aktive Übungen, die Anfertigung von Gefährdungsbeurteilungen oder die Einschätzung von Risiken. Natürlich bedeute Arbeitsschutz zunächst einmal die Reduzierung von Arbeitsunfällen und Ausfallzeiten. Es sei jedoch viel mehr, nämlich ein Selbstverständnis, ist Edler überzeugt:
„Hier geht es um eine Gedankenhaltung, die von der Einsicht geprägt ist, wie wir untereinander aufeinander aufpassen.“
Viele Wirkmechanismen aus dem Arbeitsschutz ließen sich zudem auch in anderen Bereichen einsetzen. „Das Thema Verhaltensprävention ist nicht nur im Arbeitsschutz wichtig, sondern auch dann, wenn es darum geht, Mitarbeitende zu positivem Verhalten zu motivieren“, so der Arbeitsschutzexperte, dem es weniger darum geht, Verbote, Gesetze und die Pflicht zur Einhaltung aufzuzeigen. Ihm liegt viel daran, Arbeitsschutz als spannende Aufgabe darzustellen, die viel Potenzial zur Gestaltung hat. Das wird Edler auch im kommenden Herbst bei der nächsten Tagesveranstaltung wieder tun. „Wir freuen uns auf den Austausch mit den Studierenden. In den Gesprächen ergeben sich immer wieder auch Situationen, die uns mit neuen Herausforderungen konfrontieren und manchmal zu Ideen führen, auf die wir vielleicht gar nicht gekommen wären.“ Ganz nebenbei nutzen die Detmolder den Kontakt zum Ingenieurnachwuchs auch als Möglichkeit, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren.
So positiv das Fazit aufseiten der Unternehmen bisher ausgefallen ist, genauso zufrieden zeigen sich auch die Studierenden.
„Mit der Teilnahme an diesem Seminar habe ich wichtige Erkenntnisse für mein künftiges Berufsleben gewonnen und ich bin sicher, dass ich damit auch in Bewerbungen bei Arbeitgebern punkten kann. Ich sehe das als großen Vorteil an“,
beschreibt Anna Katharina Dörr, ehemalige Studierende der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, den Nutzen.
„Der Tag war sehr spannend und aufschlussreich. Durch die Vortragenden aus den unterschiedlichen Bereichen hat man einen sehr guten Überblick über das Thema Sicherheit gewonnen. Es war sehr interessant, die verschiedenen Sichtweisen erläutert zu bekommen. Insgesamt war die Veranstaltung super“, so ein weiterer Studierender, der mittlerweile im Maschinenbau tätig ist.
Von der erfolgreichen Verbindung von Arbeitgebern und dem jungen Ingenieurnachwuchs ist auch Ralf Hörstmeier überzeugt, der aktuell weitere Unternehmen für die Teilnahme akquiriert und von einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten spricht:
„Die Unternehmen haben die Chance, sich als fürsorgliche Arbeitgeber darzustellen. Gleichzeitig können sie sich als Betrieb mit den verschiedenen Geschäftsfeldern präsentieren und dabei den jungen Menschen ihre fachlichen Kompetenzen und auch das Betriebsklima näherbringen.“
Wie wichtig diese Form der Präsentation sei, zeige auch, dass nicht nur die fachlichen Ansprechpartner, sondern oftmals zusätzlich die Geschäftsführung und Verantwortliche aus dem Personalbereich den persönlichen Kontakt suchten, um den Studierenden Fragen zum Unternehmen, zu Bewerbungen und Karrieremöglichkeiten zu beantworten. Und auch in puncto Image und einer positiven Mund-zu-Mund-Propaganda könne das Unternehmen profitieren und im besten Fall so seinem Fachkräftebedarf begegnen.
Weitere Informationen: www.vdi.de/owl/meet.safety