Innovationsentwicklung: Das gab es noch nie

Neue Produkte, ein völlig anderes Geschäftsmodell: Unternehmen brauchen Innovationen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen. Verschiedene Wege führen zum Ziel.

Das Zuschneiden von Holzteilen mit Formatkreissägen ist gefährlich, die hohe Anzahl von Arbeitsunfällen ist ein deutlicher Beleg dafür. Das weiß auch das Unternehmen Altendorf, das diese sogenannte Formatkreissäge Anfang des 20. Jahrhunderts selbst erfunden hat. Die Mindener ließ dieses Problem nicht los, sie wollten in Sachen Arbeitssicherheit ein Zeichen setzen. Es musste eine Lösung geben, die den Anwender schützt und gleichzeitig die Effektivität der Maschine erhält. Ihr Engagement hat mittlerweile Früchte getragen, der Maschinenbauer hat mit der Entwicklung einer sogenannten Hand Guard eine Lösung geschaffen, die höchste Sicherheitsanforderungen erfüllt und Unfälle erst gar nicht entstehen lässt.

Kern der Innovation sind ein hochsensibles Mini-Kamerasystem und eine Software zur Handerkennung, die signalisiert, wenn die Hand des Tischlers zu nah an das Sägeblatt kommt. Ist dies der Fall, wird das Sägeblatt in 0,5 Sekunden automatisch angehalten und gleichzeitig über einen Servomotor abgesenkt. Das Gute: Die Maschine reagiert nicht erst, wenn der Unfall passiert ist, sondern bereits im Vorfeld. Die hoch innovative Bilderkennung funktioniert selbst dann, wenn der Benutzer Handschuhe trägt. Mit dieser zukunftsweisenden Innovation punkteten die Altendorfer nicht nur auf der Fachmesse Ligna im vergangenen Jahr, sondern sie überzeugten auch die Jury des OWL-Innovationspreis MARKTVISIONEN 2019/2020. Jury-Mitglied Rainer Müller, Geschäftsführer der Stadtwerke Bielefeld, sprach sogar von einem Innovationssprung im Hinblick auf die Intelligenz von Kreissägen. Hier würden neue Standards gesetzt, die weltweit die Anforderungen an den Arbeitsschutz verbessern könnten.
Eine Innovation mit Strahlkraft also, ein neues Produkt, dass Maßstäbe setzt: Die Mindener sind nicht die einzigen, die aktuell beim regionalen Wettbewerb für positives Aufsehen sorgten. Hier standen weitere einzigartige Ideen im Fokus und auch die Startup-Szene glänzte und erhielt eine entsprechende Würdigung.
86 Unternehmen hatten sich mit 92 innovativen Produkten, Dienstleistungen und Prozessen für den renommierten Wirtschaftspreis beworben.

„Die große Resonanz macht die enorme Innovationskraft unserer heimischen Unternehmen sichtbar und zeigt die Akzeptanz des Wettbewerbs in der Wirtschaft. Aus den Bewerbungen wird deutlich, dass sich Unternehmen aus OWL mit ihren Innovationen erfolgreich auf den Märkten behaupten und Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft entwickeln. Die hohe Zahl von 34 Bewerbungen um den Start-up-Preis demonstriert den neuen Gründergeist in OWL“, freut sich Wolfgang Marquardt, Prokurist der OstWestfalenLippe GmbH.

Auch im benachbarten Münsterland wird wie in Ostwestfalen-Lippe alle zwei Jahre der Innovationspreis Münsterland ausgelobt und Erfindergeist prämiert– mit ebenso beeindruckenden Ergebnissen. „Diese Unternehmen sind der Beweis dafür, wie stark die Wirtschaft im Münsterland ist. Mit ihrer Innovationskraft prägen sie die Marke Münsterland enorm“, sagt Klaus Ehling, Vorstand des Münsterland e.V. Der Preis trage dazu bei, Erfinderreichtum aufzuspüren, die Unternehmen zu würdigen und ihre Innovationen bekannter zu machen. Allein diese beiden regionalen Wettbewerbe verdeutlichen, wie wichtig Innovationen für den Erhalt und Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit sind. Sie zeigen auch, welche Potenziale in den Unternehmen stecken und sie sollen andererseits auch andere motivieren, es ihnen gleich zu tun.

Innovationen sind das Salz in der Suppe. Sie machen die Wirtschaft stark.

Doch wie entstehen Innovationen? Wie gelingt es, Ideen voranzutreiben und soweit umzusetzen, dass sie zu einer zukunftsweisenden und bahnbrechenden „Neuheit“ generieren? Wie lassen sich neue, disruptive Geschäftsmodelle entwickeln? Welche Voraussetzungen sind notwendig für ein gutes Innovationsklima?
Experten kritisieren immer wieder, dass wir unsere Ressourcen nicht intelligent genug nutzen, um die Zukunftsfähigkeit des Landes sicherzustellen. Unternehmen leben zu sehr im Wettbewerb und haben nicht erkannt, dass die größte Konkurrenz in Asien und den USA die Existenz bedroht. Viele Unternehmen beschäftigen sich nicht damit, wie sie miteinander kooperieren können, sondern versuchen ihren eigenen Wettbewerbsvorteil zu erhalten.

„Wir kommen nicht umhin, den Begriff Wettbewerb neu zu definieren. Wenn wir es nicht schaffen, zu kooperieren, dann wird uns die Butter vom Brot genommen“, hat Sebastian Borek, CEO der Bielefelder Founders Foundation, bereits im vergangenen Jahr gefordert.

Die Existenz vieler Unternehmen stehe auf dem Spiel, wenn es nicht gelinge, sich kooperativ aufzustellen und die Marktmacht und -kraft sowie die Ideen der Startups zu nutzen. Einige größere Mittelständler der Region haben das schon vor längerer Zeit erkannt. Sie wissen, dass Startups aufgrund ihres experimentellen Status so etwas wie „Research-and-Development-Einheiten“ sind, von denen sie sich etwas abschauen und lernen können.

Startups als Beschleuniger bei der Entwicklung neuer Produkte  

Der Radarsensor erfasst unabhängig von Umwelteinflüssen Entfernung, Geschwindigkeit und Winkel von Objekten mittels elektromagnetischer Wellen. Das System kann verdeckt im Fahrzeug eingebaut werden – zum Beispiel hinter dem Kunststoff-Stoßfänger. Foto: HELLA

Um die Leistungsfähigkeit seiner eigenen Produkte zu steigern, ging der Licht- und Elektronikexperte HELLA auf Tuchfühlung mit dem US-amerikanischen Startup Oculii. Die Lippstädter sind nicht nur eine Entwicklungs-Partnerschaft eingegangen, Bestandteil der Kooperation sei darüber hinaus eine strategische Beteiligung, die durch den im Silicon Valley ansässigen Venture Capital-Arm HELLA Ventures getätigt worden ist, heißt es aus Lippstadt.

Frank Petznick, der als Mitglied der Geschäftsleitung Elektronik bei HELLA das globale Product Center Automated Driving verantwortet, sieht damit die Chance auf eine Beschleunigung der eigenen Produktentwicklung: „Wir haben eine mehr als 17 Jahre lange Erfahrung im Bereich der Radartechnologie und bereits über 30 Millionen Radarsensoren produziert. Diese Position wollen wir kontinuierlich ausbauen. So wird in wenigen Monaten unsere neueste Radartechnologie auf 77 GHz Basis auf den Markt kommen. Durch die Zusammenarbeit mit Oculii werden wir die Leistungsfähigkeit unserer Radarproduktfamilie weiter steigern und auf diese Weise grundlegende Fahrerassistenzfunktionen sowie den Trend zum automatisierten Fahren nachhaltig unterstützen.“

Startup-Übernahme: Das eigene Portfolio aufwerten

Frisch auf den Tisch: In den vollautomatisierten Plantcubes gedeihen Salate und Kräuter. Foto: Miele

Das eigene Portfolio erweitern und das Spektrum an Haushaltsgeräten ausbauen, war Motivation des Traditionsunternehmens Miele, als es Ende letzten Jahres beim Münchner Startup Agrilution anklopfte, dass nach einer gescheiterten Finanzierungsrunde Insolvenz angemeldet hatte. Die Gütersloher sahen in der Übernahme von Marke und Know-how durch die Miele Venture Capital GmbH eine gute Chance für den Einstieg in das Geschäftsfeld Vertical Farming, das auf der Grundlage von trendigen Indoor-Gewächshäusern basiert.
Mit dem Konzept von Agrilution baue Miele seine Kompetenz im Bereich kreativer Genussvielfalt und „Healthy Lifestyle“ weiter aus, hieß aus der Firmenzentrale.

„Mit Blick auf kreatives Kochen, neue Geschmackserlebnisse, bewusste Ernährung und urbanen Lifestyle eröffnen die Plantcubes den Menschen spannende neue Möglichkeiten“, sagt Gernot Trettenbrein, Leiter des Geschäftsbereichs Hausgeräte der Miele Gruppe und zugleich Geschäftsführer der Miele Venture Capital GmbH.

Deshalb passe dieses Konzept perfekt zu Miele. „Wir glauben an die Idee, an das Produkt und an das Geschäftsmodell – und an eine langfristige Zusammenarbeit mit den beiden Gründern und ihrem Team“, sieht Trettenbrein in der Übernahme eine Chance, das eigene Angebot aufzuwerten.

Wie Wirtschaft und Wissenschaft Synergien schaffen

Die Kooperationsbereitschaft von Wirtschaft und Wissenschaft in der Region funktioniert offenbar sehr gut. Zahlreiche Unternehmen suchen die Nähe zu den Hochschulen und wissenschaftlichen Institutionen, um gemeinsam an neuen Produkten und Dienstleistungen zu arbeiten. Es gibt unzählige Beispiele, die von der Fruchtbarkeit solcher Beziehungen zeugen.
So haben gerade erst Wissenschaftler der Fachhochschule Münster vom Fachbereich Physikingenieurwesen mit dem Unternehmen EMPAC, Spezialist für flexible Schüttgutbehälter sowie Folienauskleidungen für Großgebinde, ein neues Laserverfahren entwickelt, das die elektrostatische Aufladung beim Befüllen von Big Bags mit Schüttgütern vermeidet. Weiterer Pluspunkt –  die Gefahr möglicher Explosionen geht drastisch zurück. Diese Innovation begeistert nicht nur die Kooperationspartner, sondern überzeugte auch die Jury des jüngsten Innovationspreises Münsterland.

Der Mitarbeiter als Ideenlieferant

Sinnvoll kann es auch sein, in Sachen Innovationen nicht nur den Blick nach außen zu richten, sondern auf die eigenen Stärken – nämlich die der eigenen Mitarbeiter – zu setzen. So erkennt beispielsweise Keyspeaker Felix Plötz in vielen Unternehmen einen Perspektivwechsel in die Richtung, dass Verantwortliche bei ihren Mitarbeitern die Sensibilität für das Entwickeln und Umsetzen von Ideen fördern. Auch Andreas Hettich sieht in den eigenen Mitarbeitern, deren Ideen und Erfindergeist eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Innovationen. In die Karten spielen ihnen die Möglichkeiten der Digitalisierung. „Sie bietet zukünftig insbesondere in Wissensbranchen ungeahnte Möglichkeiten für die Wirtschaft. Wir Menschen tun uns mit exponentiellem Denken schwer. Digitales Wissen hat große Vorteile gegenüber menschengebundenem Wissen: es ist beliebig vervielfältigbar, es vergeht bzw. stirbt nicht und es wird permanent besser“, sagte der Vorsitzende des Beirats der Hettich Gruppe, bei der offiziellen Vergabe des OWL-Innovationspreis MARKTVISIONEN 2019/2020. „Mit neuen Technologien wie beispielsweise intelligenten Algorithmen kann dieses Wissen genutzt werden, um neue Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zu entwickeln. „Dabei müssen wir uns auf neue Denkweisen und Formen der Zusammenarbeit einlassen. Und dafür brauchen wir neue Qualifikationen, wie beispielsweise interdisziplinäres Denken und Handeln und IT-Kompetenzen“, so der Unternehmer.

Das Unternehmen Hettich erprobt beispielsweise seit gut eineinhalb Jahren das Arbeiten in agilen Teams. Eine Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg erfordert ein Denken über den eigenen Zuständigkeitsbereich hinaus. Ein Ansatz, der sich auszahlt:

„Die Lebenszyklen unserer Produkte werden immer kürzer. Wenn sich unsere Teams agil aufstellen, können sie schneller auf sich wandelnde Anforderungen reagieren. Zudem macht das Arbeiten mehr Spaß, wenn Mitarbeiter verstehen, was sie tun müssen, um erfolgreich zu sein. Und das wiederum sorgt dafür, dass unsere Leute sich wohlfühlen“, ist Hettich überzeugt.

Beitragsfoto: Urheber Karsten Neglia_123rf.com

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