Die Entwicklung von Innovationen ist für Unternehmen existenziell. Wie gelingt es, dass neue Ideen entstehen und aus ihnen starke Produkte werden? Innovations-Experte Prof. Dr. Dr. Philipp Plugmann über die Gestaltung innovativer Organisationsumgebungen und wie es Unternehmen gelingen kann, sich das Potenzial der Mitarbeitenden zunutze zu machen.
m&w: Die Arbeitswelt wandelt sich – und die Förderung von Innovationen ist für viele Unternehmen (über-)lebenswichtig geworden. Welche Voraussetzungen sind von zentraler Bedeutung, um dauerhaft innovationsfähig zu bleiben?
Dr. Philipp Plugmann: Jedes Unternehmen, ganz gleich welcher Größe, muss sich klarmachen, dass nichts älter ist als der Erfolg von gestern. Die Entwicklung und Herstellung neuer innovativer Produkte und Dienstleistungen, aber auch innovative Prozesse und Arbeitsformen entscheiden über die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Das heißt, jedes Unternehmen muss sich immer wieder reflektieren und sich fragen: Wie könnte ein Startup unser Geschäftsmodell angreifen?, was sind die Kundenwünsche in Zukunft?, ist unsere Geschäftsidee langfristig belastbar? Antworten auf diese Fragen zu finden, bedeutet harte Arbeit und setzt ein Verlassen der Komfortzone voraus. Die Beschäftigung mit neuen Ideen und Innovationen allein reicht jedoch nicht aus, es muss auch entsprechend gehandelt werden. Innovationsfähig zu bleiben, ist also eine Frage der Unternehmenskultur, die auch die volle Unterstützung der Geschäftsleitung erfordert.
Zusätzlich kommt es auch auf das Team und dessen Zusammensetzung an. Beispiele aus der Praxis zeigen, dass sich durch Diversität und Menschen mit unterschiedlichen Qualifikations- und Erfahrungsebenen ideale Voraussetzungen für eine vertrauensvolle, offene und produktive Atmosphäre schaffen lassen, in der über innovative Themen und auch „crazy ideas“ diskutiert wird, ohne dass jemand Sorge haben muss, belächelt zu werden. Die Fähigkeit, über den eigenen Tellerrand zu schauen, inter- und multidisziplinär zu denken und auch bereit zu sein, sich selbst neues Wissen anzueignen, ist elementar. Innovationsfähigkeit lässt sich nur erhalten durch die lebenslange und intensive Generierung neuer Informationen aus verschiedenen Branchen und Fachgebieten. Unternehmen werden zu Lern- und Lehrorganisationen, in denen das Wissensmanagement eine dominante Rolle spielt und in der die Mitarbeitenden bereit sind, ihr Wissen mit anderen innerhalb des Teams zu teilen.
m&w: Der „Faktor-Mensch“ nimmt einen besonderen Stellenwert ein. Wie können die innovativen Potenziale der Mitarbeitenden optimal gefördert werden und welche Rolle spielt dabei die Arbeitsumgebung?
Dr. Philipp Plugmann: Qualifikation, in welchem Format auch immer, bedeutet lernen und sich weiterentwickeln. Die Lernbereitschaft und -fähigkeit der Mitarbeiter muss jedoch auf eine dafür geeignete Arbeitsumgebung treffen. Menschen für ein Unternehmen zu begeistern und zu binden, gelingt nur, wenn verschiedene Voraussetzungen erfüllt sind: Die Bereitstellung von Ressourcen, Agilität und offenes Denken spiegeln sich in den Arbeitsprozessen, der Architektur und der Technologieausstattung sowie im Design der Organisation. Ebenso wichtig sind flexible Arbeitszeiten, Arbeitsorte und eine positive Grundeinstellung.
Sicher sind problemorientiertes Lernen und Arbeiten, projektbezogene neue Erfahrungen und flache Hierarchiestrukturen förderlich, um junge, hoch motivierte Talente zu gewinnen und gleichzeitig die routinierten Mitarbeiter an Bord zu halten. Die Potentiale der Mitarbeiter zu heben, setzt aber schon Leadership voraus, damit Innovationen und Kreativität ein fester Bestandteil der Unternehmenskultur werden können.
m&w: Was ist das Besondere an einer „Innovationsumgebung“? Wie lassen sich innovationsfördernde Rahmenbedingungen im Unternehmen schaffen?
Dr. Philipp Plugmann: Hier gibt es viele Konzepte, zum Beispiel einen architektonischen Ansatz, den viele Großunternehmen praktizieren und wo in Großraumbüros mehrere Abteilungen zusammengeführt werden, um einen Austausch zwischen den Menschen zu fördern. In der Praxis finden sich aber auch bunte spielerische Arbeitsumgebungen, Arbeitstische ohne feste Personenzuweisung oder das Konzept „Arbeiten wann immer man will“- am Wochenende oder abends.
Hier eine jeweils individuelle Lösung zu finden, ist die große Herausforderung, der sich nicht nur etablierte Unternehmen, sondern auch Startups stellen müssen. Denn ein allgemeingültiges Erfolgskonzept existiert nicht. Jede Innovationsumgebung ist unternehmens-, projekt- und teamspezifisch.
Eine positive Innovationsumgebung lebt von Vertrauen und festgeschriebenen Prinzipien, die garantieren, dass alle Ideen, auch eher ungewöhnliche oder sogar verrückte Gedanken ausdrücklich erwünscht sind. Selbstverständlich steht über all dem der zukünftige Unternehmenserfolg und die Sicherung von Arbeitsplätzen.
Grundsätzlich muss es möglich sein, alles offen auszusprechen, ohne Sorge zu haben, mit negativen Konsequenzen seitens der Vorgesetzten abgestraft oder von sozialen Aktivitäten nach der Arbeit ausgeschlossen zu werden. Neugier, spielerische Ansätze und die Offenheit gegenüber anderen Kulturen, Branchen und Wissensbausteinen sind das Fundament, auf dem Innovation und Kreativität gedeihen. Dieses erfolgreich zu etablieren, ist letztendlich eine Leadership-Aufgabe.
m&w: Was können Unternehmen im Hinblick auf innovative Produkte und Dienstleistungen von ihren Kunden lernen ?
Dr. Philipp Plugmann: Kundenzentrierung ist eine Facette und gleichzeitig sollte man antizipieren können, welche Wünsche und Anforderungen kurz-, mittel- und langfristig entstehen könnten. Von Kunden lernen heißt zuhören. Gleichzeitig gilt es, sich die jeweilige Branche als Ganzes anzuschauen. Wie die Praxis bereits mehrfach gezeigt hat, können Wettbewerber auch aus anderen Bereichen eine Gefahr darstellen. Und nicht zuletzt sind auch Startups im Blick zu behalten. Aufgrund ihrer Schnelligkeit und Flexibilität sind sie in der Lage, Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen infrage zu stellen.
Ansätze wie „Open Innovation“ bieten beispielsweise eine Option, eine fruchtbare Symbiose zwischen Unternehmen und Kunden aufzubauen. Ein weiterer Ansatz ist der „Lead User Approach“, bei dem einzelne ausgewählte Anwender ihre Wünsche und Ideen äußern, um gemeinsam mit dem Unternehmen innovative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln.
m&w: Welche Rolle spielen Startups bei der Generierung von Innovationen?
Dr. Philipp Plugmann: Startups fordern etablierte Unternehmen heraus. Sie zeichnen sich in der Startphase meist durch kleine Teams, agile Prozesse und Risikofreudigkeit aus. Sie sind zudem experimentierfreudig und kalkulieren das Scheitern als Bestandteil der Lernkurve ein. In etablierten Unternehmen mit einer über Jahre gewachsenen hierarchischen Personalstruktur, festgeschriebener Budgetverantwortung und internen Business-Plänen hat das Scheitern, abhängig vom Projekt und der jeweiligen Abteilung, eine eher geringe Akzeptanz.
Startups können durch den Zugang zu Investoren und Fremdkapital international auf Kapitalsuche gehen. Oftmals erhalten sie nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern profitieren zusätzlich auch von den Erfahrungen, Teams und Netzwerken der Kapitalgeber. Wichtiges Know-how, das etablierte Unternehmen in der Regel extern einkaufen müssen.
Gesamtperspektivisch muss man jedoch etablierte Unternehmen und Startups als Bestandteile eines ökonomischen Ökosystems betrachten, die in einer symbiotischen Wechselwirkung gegenseitig voneinander profitieren und auf die Leistungen des anderen angewiesen sind. Für unsere Volkswirtschaft ist die Mischung aus der großen Kontinuität des Mittelstandes und der angriffslustigen Gründerwelt mit der Bereitschaft, hohe Risiken einzugehen, eine gute Basis, um langfristig im globalen Wettbewerb zu bestehen.
m&w: Sie waren in sehr vielen Ländern der Welt unterwegs, um herauszufinden, wie dort die jeweiligen Innovationsumgebungen aussehen. Was ist das Fazit Ihrer Reise, was können wir von anderen Ländern lernen?
Dr. Philipp Plugmann: In der Tat war ich in den letzten 15 Jahren sehr viel unterwegs: Neben den USA und Europa bin ich auch nach Asien und Afrika gereist. In den gut 20 Ländern habe ich privatwirtschaftliche und akademische Organisationen besucht und ganz unterschiedliche Führungs-, Organisations- und Arbeitsstile kennengelernt. Die meisten „Innovations-Hubs“ sind global betrachtet Hochschulzentren mit vielen Unternehmen in der näheren Umgebung. Das sind natürlich sehr spezielle geografische Zonen, die nicht unbedingt ein bestimmtes Land als solches abbilden.
Interessant ist, dass die jeweiligen Innovationsumgebungen sich teilweise stark unterscheiden und doch für sich betrachtet sehr erfolgreich sind. Was wiederum die These bestätigt, dass es pauschal kein Standardmuster für erfolgreiche Innovationsumgebungen gibt. Entscheidend ist vielmehr die Mischung aus Menschen, Prozessen und Kapital.
Im Hinblick auf die technische Ausstattung und das Potenzial der Studierenden sehe ich rückblickend im Vergleich zu Deutschland keine Unterschiede. Doch es gibt Diskrepanzen. So ist in vielen Ländern eine größere Risikobereitschaft festzustellen und auch die Höhe an Risikokapital ist beeindruckend. Anders als bei uns wird jüngeren Menschen mehr Vertrauen entgegengebracht, flachere Hierarchien erleichtern zudem den Umgang miteinander. Und auch Berührungsängste zwischen sehr erfahrenen Akademikern und Unternehmern und sehr jungen Studierenden gibt es nicht. Nicht zu vergessen die generell neidlose Anerkennung von Leistung.
Auch die Bedeutung von Arbeit und Arbeitsdauer variiert sehr stark. In Asien habe ich beobachtet, dass eine 80-Stundenwoche kein Problem darstellt. Die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs, die Wahrnehmung von Chancen und die Gestaltung des eigenen Erfolgs sind hier motivierende Faktoren.
Mein Fazit ist: Innovation, Kreativität und Leadership sind das Fundament einer jeden Innovationsumgebung, wobei es international mehr oder weniger große Unterschiede gibt. Fakt ist, hier werden kulturelle, soziale und organisatorische Routinen immer wieder durchbrochen und die Teams divers durchmischt. Problemlösung erfolgt interdisziplinär, gleiches gilt für die Teams. Eine besondere Bedeutung kommt dem autodidaktischen Lernen zu, also der Fähigkeit, sich eigenständig in andere Fachgebiete bis zu einer bestimmten Wissenstiefe einzuarbeiten.