Die Konjunktur lahmt, der Kostendruck steigt und die Angst vor Veränderungen bei zunehmender Digitalisierung wächst. Wie sich wirtschaftliche Unsicherheit in große Chancen verwandeln lässt, erklärt Wirtschaftsingenieur und Keynote-Speaker Felix Plötz.
Die aktuelle wirtschaftliche Unsicherheit beschäftigt viele Unternehmer, nicht wenige reagieren jedoch erst, wenn der „Leidensdruck“ besonders groß ist. Woran liegt das?
Felix Plötz: Jeder kennt das von sich selbst. Ich kann mir hundertmal zu Beginn eines Jahres vornehmen, jetzt endlich Sport zu treiben. Wenn kein Leidensdruck besteht, wird in der Regel die Motivation nicht lange anhalten. Das ist nur allzu menschlich.
Zum Leidensdruck der Unternehmen: Meine Antwort würde anders ausfallen, wenn die Frage die Digitalisierung im Blick hätte. Vor dem Hintergrund der Themen Konjunktur und Abschwung, bin ich auch kein Freund davon, sofort in Aktionismus zu verfallen und zu agieren, obwohl es noch gar nicht wehtut. Dann ist man nämlich schnell bei den Themen Stellenabbau, Sparprogramme und weiteren negativen Aktivitäten, die allen Beteiligten wenig Freude bereiten. Selbstverständlich ist es wichtig, früh zu reagieren, damit man später nicht mit der Brechstange handeln muss. Dennoch rate ich davon ab, irgendwelche Maßnahmen einzuleiten, die am Ende gar nicht notwendig sind.
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für Unternehmen?
Felix Plötz: Unternehmer stehen vor der großen Herausforderung, auf einer richtigen Art und Weise zu separieren, was auf sie zukommt, was sie konkret betrifft und was eher nicht. Ich erlebe noch immer, dass viele Unternehmenslenker, gerade auch aus dem Mittelstand, die Augen verschließen und sagen, sollen die anderen doch mal machen. Auf der anderen Seite muss man auch nicht jedem Trend hinterherlaufen, nur weil irgendwo das Wort digital steht. Denn das heißt noch lange nicht, dass dieser für das Unternehmen überhaupt sinnvoll ist. Wir müssen den goldenen Weg finden und der liegt in der Mischung aus beidem. Eine unvoreingenommene Offenheit für Neues kann hilfreich sein, zu schauen, was sich konkret nutzen lässt und wo eine wirkliche Bedrohung liegt. Darauf gilt es zu reagieren. Aktuell beobachte ich eher eine Diskussion, die in zwei Extremen verharrt: entweder völlig hysterisch oder in der Praxis lethargisch.
Welche Möglichkeiten bzw. Stellschrauben haben Unternehmen, losgelöst von der Konjunktur bzw. politischen Rahmenbedingungen, um dem äußeren Druck etwas entgegen zu setzen. Welche Rolle spielen hier die Mitarbeiter?
Felix Plötz: In den letzten drei Jahren haben wir insbesondere bei den Großunternehmen beobachten können, dass der Blick nur nach außen gerichtet war: Startups wurden gekauft, Vorstände reisten ins Silicon Valley, um zu schauen wie Google und Facebook arbeiten, Abteilungsleiter wurden nach Berlin geschickt.
Dabei vergaß man, den Blick nach innen zu richten und auf seine eigenen Stärken zu schauen. Gerade erleben wir jedoch einen Perspektivwechsel. Verantwortliche erkennen das Potenzial ihrer Mitarbeiter und deren Ideen für den Unternehmenserfolg. Gerade auch bei denen, die in der Hierarchie nicht ganz oben stehen, aber nah dran am Kunden und Tagesgeschäft sind und die bereits erwähnte Offenheit für Neues mitbringen. Zweitens stelle ich einen Wechsel der alten Mentalität, die vom Anspruch, sich weiterzuentwickeln geprägt war und dabei auf kontinuierliche Verbesserungen und Ideenbriefkästen basierte, fest. Vielfach lieferten in der Vergangenheit Mitarbeiter fleißig ihre Ideen ab, warteten jedoch oftmals vergeblich auf eine Rückmeldung.
Mittlerweile greift der Gedanke, dass die Idee beim Urheber bleiben soll und von ihm selbst als Experten auch umgesetzt wird. Das ist eine Riesenchance und Verantwortung für den einzelnen Mitarbeiter. Nicht zu vergessen, die Wertschätzung, die ihm zuteil wird, wenn Vorgesetzte ihm die Realisierung zutrauen und ihm signalisieren, setz das bei uns um und geh mit dieser Idee nicht zum Mitbewerber.
In Ihrem Vortrag sprechen Sie von „Schlagkraft rauf – Kosten runter“. Was steckt dahinter, wo genau sehen Sie Potential, um Kosten zu sparen?
Felix Plötz: Die Digitalisierung war zunächst nur ein Schlagwort, das alles und nichts bedeutete. Es wurde viel geredet, aber es war nicht greifbar. Das hat sich jetzt verändert. Mittlerweile lassen sich durch Automatisierung und Digitalisierung Prozesse effizienter gestalten. Der Einsatz von Software und Robotern sorgt jedoch dafür, dass weniger Mitarbeiter gebraucht werden. Unter dem Aspekt der Kostenreduktion und der Effizienz sind Automatisierungslösungen und der Einsatz der Digitalisierung jedoch unabwendbar. Wenn wir uns hier verweigern, werden andere auf der Welt aktiv. Wir müssen diesen Wandel mitmachen. Es gibt aktuelle Beispiele, die diesen Zweiklang deutlich machen: Da baut VW viele Stellen ab, investiert gleichzeitig jedoch Milliarden in die Digitalisierung von Prozessen.
Dass die Digitalisierung die Effizienz erhöht, ist die eine Seite, die andere ist die Frage, was können wir tun und wie stellen wir uns auf die veränderte Arbeitswelt ein? Es ist im Prinzip eine simple Gleichung: Wenn normale Tätigkeiten weiter automatisiert und durch Roboter oder Software ersetzt werden, sind im nächsten Schritt auch weniger Führungskräfte notwendig, weil es weniger Mitarbeiter gibt. Weniger Führungskräfte bedeutet aber auch, dass sich das Anforderungsprofil an den einzelnen Mitarbeiter verändert. Gefragt sind Menschen, die unternehmerischer denken, die mehr Eigenverantwortung zeigen, die kreativ sind und eigene Ideen einbringen, weil Maschinen das nicht leisten können. Die sind nämlich nur bei Routinetätigkeiten effizient. Unsere Stärke sollte darin liegen, sich mit kreativen Themen zu beschäftigen, mehr auf den zwischenmenschlichen Umgang zu setzen und Werte zu schaffen, wozu eine Maschine niemals in der Lage ist.
Sie fordern Unternehmen auf, „einfach mal zu machen“. Das klingt doch auf den ersten Blick etwas planlos, unüberlegt und spontan, ohne Strategie einfach loszulegen…?
Felix Plötz: Ich kenne es von mir und vielen anderen Menschen. Wir tendieren dazu, möglichst lange in einer Planung zu verharren. Man malt sich aus, wie es sein könnte, schreibt seinen Businessplan und hat bereits die Umsätze in vier Jahren auf die vierte Nachkommastelle im Kopf. In Unternehmen ist es ähnlich. Hier geschehen zu viele Meetings, zu viel internes Theater, zu viel interne Politik. Etwa 80 bis 90 Prozent der Unternehmen sind nicht die planlosen Überagierer, die einfach mal machen. Die meisten beschäftigen sich nur mit sich selbst und kommen nicht aus dem Quark. Denen rufe ich zu, ihr habt genug geplant, vergesst die Umsetzung nicht. Ideen haben wir viele, das Umsetzen ist wichtig.
Unsere Region ist sehr stark mittelständisch geprägt, viele Unternehmen sind seit Jahren in Familienhand. Wo liegen mögliche Vor- und Nachteile, auf die Unsicherheiten und Herausforderungen zu reagieren?
Felix Plötz: In der Tat, die Region wird von vielen Mittelständlern und inhabergeführten Unternehmen geprägt. Diese Firmen haben eine Historie, sie haben sich etwas Tolles aufgebaut, die Geschäfte laufen gut. Es geht nicht darum, dass sie nun alle zu Startups werden oder sich vollständig digital aufstellen. Bei allen Diskussionen vor dem Hintergrund der Digitalisierung, wird nämlich oft vergessen, diesen Unternehmen Wertschätzung dafür zu zollen, was sie geschaffen haben. Deshalb lautet mein Appell an sie: Seid stolz, auf das, was ihr habt und verwendet nur einen kleinen Teil eurer Energie und Aufmerksamkeit für das, was ihr noch nicht habt. Blickt nach vorne und schaut, wo ihr stehen könntet und was die anderen machen.
Mittelständler haben doch einen ganz entscheidenden Vorteil – sie sind im Prinzip so etwas wie etablierte Startups. Die kurzen Entscheidungswege sind ein wesentlicher Vorteil. Mitarbeiter haben die Chance, mit ihren Ideen direkt zum Chef zu gehen. Sie müssen sie nicht in einen anonymen Briefkasten werfen, wo sie gar keine Beachtung finden. Ich bin überzeugt, dass ein Mitarbeiter, der für eine Idee brennt, bereit ist, diese umzusetzen, weil sie das Unternehmen in Zukunft weiterbringen kann, auf offene Ohren des Vorgesetzten stößt.
Es ist eine phantastische Situation: das Renommee eines Mittelständlers, die tolle Arbeitskultur und die Sicherheit, die ein Startup im Übrigen nicht hat. Das sind ideale Bedingungen, um neue Ideen auf den Weg zu bringen.
Eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung sagt, „Made in Germany“ könnte sich vom Verkaufsschlager zum Ladenhüter verwandeln, und beklagt eine fehlende Innovationsfreudigkeit. Teilen Sie diese Auffassung?
Felix Plötz: Diese Auffassung teile ich in gewissem Maße schon und kann nachvollziehen, woher das Ergebnis kommt. Wenn man einmal schaut, welche neuen Produkte, Services und Dienstleistungen wie Smartphones und digitale Innovationen in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, dann muss man feststellen, dass diese aus den USA und Asien stammen. Aktuelle Innovationen, die in Deutschland erfunden wurden, fallen mir spontan nicht ein.
Und noch eine andere Entwicklung stützt diese Aussage. Wenn wir den Blick in die Zukunft richten, dann kommen wir am Thema Künstliche Intelligenz nicht vorbei. Wer sind die großen Player, die hier die Innovationen vorantreiben? Das sind die riesigen Tech-Unternehmen aus den USA. Auf der anderen Seite müssen wir auch nach China schauen. Was dort geschieht, bekommen wir in Deutschland gar nicht mit. Zwar liegt China bei der KI-Entwicklung noch hinter den USA. Wenn man jedoch bedenkt, welche Faktoren KI mächtig machen – nämlich Technologie und Daten – und wie mit diesen in China umgegangen wird, dann müssen wir davon ausgehen, dass das Land in fünf bis zehn Jahren KI-Weltmacht sein wird.
Schauen wir nach Deutschland, dann fällt es mir sehr schwer, fünf führende KI-Unternehmen zu benennen. Wir werden auch künftig nur Importeur sein, wenn es um diese Technologie geht, und KI als Werkzeug in den Bereichen einsetzen, in denen wir auch heute schon gut sind.