Rund 170 Unterzeichner, darunter namhafte Verbände und Organisationen, setzen sich mit einem Abrissmoratorium gegen den schnellen Abriss von Gebäuden ein. Doch warum wird so vehement ein verstärkter Umgang mit dem Bestand gefordert? Welche Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang? Hendrik Richter, Geschäftsführer und Gründer der Immobilienplattform ohne-makler.net, geht im Interview den Beweggründen und Lösungsansätzen nach, um das Spannungsfeld zwischen Abriss und Erhalt zu beleuchten.
Rund 170 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner (bspw. Bund Deutscher Architektinnen und Architekten, Architektenkammern, NABU usw.) setzen sich per Abrissmoratorium gegen das schnelle Abbrechen von Gebäuden ein. Was spricht aus Ihrer Sicht für eine verstärkte Pflege der Bestandsimmobilien?
Hendrik Richter: Vorweg muss man festhalten, dass der Abbruch von Häusern immer mit großen Umweltschäden verbunden ist: Schädliches Kohlendioxid, Staub und Feinstaub werden bei diesem Verfahren nicht nur freigesetzt. Auch sprechen 230 Millionen Tonnen Schutt, die jährlich durch circa. 14.000 Abrisse in ganz Deutschland fällig werden eine klare Sprache. Die Schäden für die Umwelt sind folglich immens. Daher zahlt neben subjektiven architektonischen Aspekten, ganz klar das Thema Nachhaltigkeit auf die Bestandspflege ein.
Allerdings darf bei der Betrachtung dieses Themas nicht außer Acht gelassen werden, dass das Abreißen von Gebäuden grundsätzlich günstiger ist als ein komplexer, energetischer Umbau. Sowohl für private als auch für gewerbliche Eigentümer ist das in den meisten Fällen der springende Punkt, welcher für einen Abbruch spricht. Dagegen kann nur sehr schwer argumentiert werden, wenn wirtschaftliche Parameter die Entscheidung bestimmen.
Fällt die Entscheidung ein privatgenutztes Objekt abzureißen schneller als bei einem gewerblich genutzten Gebäude?
Hendrik Richter: Unternehmen, die Platz für Mitarbeiter, Produktion und Lagerung benötigen, haben eher weniger Zeit zum Sondieren und müssen daher schneller entscheiden. Während für den Abriss von privaten Gebäuden circa 185 EUR pro Quadratmeter anfallen, liegen die Kosten auf gewerblicher Seite jedoch wohl darüber, was wiederrum längere Zeit zur Entscheidung bedeuten kann.
Genau hier liegt aber der Punkt: Zu selten werden Bestandsimmobilien auf ihr tatsächliches Potential geprüft: Kann beispielsweise eine alte Fabrikhalle, ein leerstehendes Hotel oder alte Lagerhallen durch Umbaumaßnahmen nicht in Wohnraum umfunktioniert werden?
Hier werden sowohl im privaten als auch gewerblichen Bereich noch zu oft ausschließlich monetäre Aspekte berücksichtigt – der praktische Nutzen einer Immobilie hingegen leider unterschätzt.
Können Aussagen dazu getroffen werden, welche Rolle der Faktor Lage spielt?
Hendrik Richter: Analysen der letzten Jahre haben ergeben, dass gerade in Mittelstädten und dem ländlichen Raum der Immobilienbestand durchschnittlich bis zu über fünfzig Jahre alt sein kann. Je älter das Gebäude, desto schlechter ist meistens auch der energetische Zustand. Da die Vermietbarkeit in den dezentralen Lagen schwerfällt, können daher auch Abbrüche wahrscheinlicher werden, weil die Immobilie keine Abnehmer findet. Das geringe Bevölkerungswachstum spricht in manchen D-Lagen ebenfalls für eine komplexere Vermarktung.
Insoweit kann ich mir gut vorstellen, dass schlechte Lagen auch gleichzeitig schlechte Aussichten für den flächendeckenden Erhalt von sehr alten Bestandsimmobilien bedeuten kann.
Was halten Sie von Vorstößen mit dem Ziel, Abbrüche von Gebäuden komplett zu unterbinden?
Hendrik Richter: Meiner Meinung nach ergeben sich dabei Vor- und Nachteile. Zwar wären derartige Entscheidungen klare Einschnitte, die der Abrisswut in Teilen Deutschlands einen mächtigen Riegel vorschieben würden. Andererseits können derartige Eingriffe auch bestehende Probleme verschärfen.
Man denke nur an das Thema Wohnungsnot. Sollte ein Einfamilienhaus mit dem Potential zum Mehrfamilienhaus nicht abgerissen werden dürfen, würde dem Markt ein Angebot weniger zur Verfügung stehen.
Insofern glaube ich nicht an derartige Markteingriffe, die auf den ersten Blick eine wohltuende Wirkung entfalten sollen. Ähnliches ist doch auch bei der Mietpreisbremse zu sehen, die sogar zu steigenden Mieten führen kann.
Wie sehen Ihre sonstigen Forderungen aus?
Hendrik Richter: Ich halte drei konkrete Schritte für ausschlaggebend, die Bauherren und Eigentümer prüfen sollten, wenn sie sich mit dem Abbruch von Gebäuden beschäftigen:
Erstens muss das Nutzungspotential der Immobilie vorab geprüft werden: Kann wie oben angedeutet ein gewerbliches Objekt, im Zweifelsfall nicht doch für andere, sogar sehr wichtige Zwecke verwendet werden? So zum Beispiel als Wohnobjekt für den stark angespannten Wohnungsmarkt, der durch konstant niedrige Bauzahlen quasi direkt zum Erliegen gekommen ist.
Zweitens sollte im Entscheidungsprozess eine Prüfung der möglichen Förderungen für eine umfangreiche Sanierung passieren. Sinn und Zweck ist es, dem permanenten Argument der Kostenfrage zuvorzukommen. Rechnet sich die Rettung des Bestands, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für den Abriss.
Und sollte es drittens dennoch dazu kommen, würde ich für einen Materialcheck werben, der sich auf die Weiterverwendung der Baustoffe fixiert, die beim Abbruch verwendet werden. So können die ökologischen Schäden zumindest ein wenig eingegrenzt werden.