Ist Deutschland die Qualität abhandengekommen?

Deutschlands Weg zurück zum Qualitätsversprechen. Bild: Freepik, Lifestylememory

Plastikteilchen im Joghurt, fahrlässig produzierte Akkus, giftiges Kinderspielzeug, mangelhafte Airbags – die Gründe für Rückrufe von Produkten sind vielfältig. Und auch deren Zahl nimmt stetig zu. Deutsche Firmen müssen zurückkehren zu ihrem Qualitätsversprechen und das Thema Qualität zur Chefsache erklären.

Die Relevanz eines Themas zeigt sich oft darin, dass es eine eigene Website erhält. Seit 2010 hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in ihrem Produktsicherheitsportal www.rueckrufe.de nach eigenen Angaben mehr als 1.700 Rückrufe von unsicheren Produkten bekannt gemacht. „Und die Tendenz ist steigend. Dabei waren nicht nur Unternehmen mit zweifelhaftem Ruf oder Produkten betroffen, sondern gerade auch solche, die über ein solides Qualitätsmanagement verfügen“, heißt es vonseiten der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. 

Die Gründe für den stetigen Anstieg von Produktrückrufen sind vielfältig, meint die Behörde: „Zum einen hat der Gesetzgeber die Pflichten der Hersteller für den Fall konkretisiert, dass Risiken von ihren Produkten ausgehen. Zum anderen hat der Verbraucherschutz einen gesellschaftlich höheren Stellenwert. Folgerichtig sind auch die Anforderungen höher, die Unternehmen und Verbraucher an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von Produkten stellen.“

Auto- und Lebensmittelindustrie besonders betroffen

Am häufigsten von Rückrufen betroffen sind die Automobilbranche und die Lebensmittelindustrie. Wenn sich der Airbag des Autos zu spät oder gar von selbst öffnet, führt das im Fall eines Unfalls zu schrecklichen Folgen. Ebenso lebensbedrohlich könnte es werden, wenn sich im tiefgefrorenen Lachs oder dem abgepackten Hackfleisch gefährliche Keime verbergen.

Aus der Zunahme von Rückrufen in den vergangenen Jahren lässt sich indes nicht eins zu eins schließen, dass die Qualität der Produkte in diesen Branchen generell gesunken ist. Gerade die Lebensmittelindustrie wird so engmaschig kontrolliert wie keine andere. Etwas anders nimmt sich dagegen die Lage in der Automobilindustrie aus. Besonders die deutschen Hersteller stehen unter massivem Wettbewerbsdruck der elektrischen Konkurrenten aus China. Wer zu lange zögert mit der Entwicklung neuer Autos, verliert an Marktanteilen. Umgekehrt wächst so die Gefahr, dass technisch und gerade softwareseitig nicht komplett ausgereifte Fahrzeuge zu den Kunden rollen. Hinzu kommt die zunehmende weltweite Vernetzung der Autoindustrie: Selbst ein herkömmliches Auto besteht oft aus Tausenden von Bauteilen aus aller Welt. Deren Qualität aber engmaschig kontrollieren und bezeugen zu können, wird zur Herkulesaufgabe.

„Made in Germany“ nicht einfach so opfern

Doch was ist die Alternative? Den schleichenden Qualitätsverlust einfach hinzunehmen? Das wäre fatal. Das erstmals am 23. August 1887 eingeführte Label „Made in Germany“ ist weit mehr als nur ein Siegel. Es war über Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte das Argument schlechthin für den Kauf deutscher Produkte oder auch ausländischer Investitionen am Standort Deutschland. Vielmehr gilt es zu fragen, wie sich dieses Qualitätsversprechen in Zeiten immer schneller drehender Märkte, massiver Konkurrenz und sinkender Margen dennoch bewahren und mit neuem Leben füllen lässt.

 

Michael Flunkert setzt sich für eine erneuerte Qualitätskultur in deutschen Unternehmen ein. © Babtec Informationssysteme GmbH.

„Ein hohes Qualitätsbewusstsein ist der Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg – und das in der gesamten Lieferkette. Die deutsche Industrie läuft Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten und ihre Qualitätsführerschaft zu verlieren. Dabei verfügt sie zugleich über großes Potenzial, ihre Position zu stärken und auszubauen“, sagt Michael Flunkert. Er ist CEO von Babtec Informationssysteme GmbH. Das Unternehmen aus Wuppertal stellt seit 25 Jahren softwarebasierte Lösungen für das Qualitätsmanagement in Konzernen und Mittelstand her.  

Qualität ist keine leidige Pflicht, sondern eine große Chance

Qualität ist ein Leistungsversprechen und kann ein klares Alleinstellungsmerkmal darstellen. Das setzt aber voraus, dass Unternehmen Qualität nicht mit „quälen“ gleichsetzen und darin nur eine leidige Pflicht erkennen, die sie getrost an eine gesonderte Abteilung namens Qualitätsmanagement delegieren könnten. Viele Unternehmen begreifen den an sie gesetzten hohen Qualitätsanspruch – ob von Verbrauchern oder regulierenden Behörden gewünscht – als Pflicht. Fehler müssen vermieden werden, sonst drohen Vertragsstrafen und Bußgelder. Doch da ist es wie an der Schule: Wer lernt schon gerne, nur weil sonst die Eltern mit Hausarrest und Taschengeldentzug oder die Lehrer mit einer Sechs drohen?

„Aber genügt das den heutigen Ansprüchen? Oder genauer: Genügt das den Ansprüchen einer modernen und zukunftstauglichen Unternehmensführung?“, fragt Michael Flunkert rhetorisch. Und liefert die Antwort prompt hinterher: „In den meisten Fällen muss man das leider verneinen. Wir treffen heute in der Regel auf die Umsetzung eines Qualitätsmanagements im klassischen Sinn. Hier werden Qualitätsanforderungen bedient – gemäß den Anforderungen des Kunden, um zum Beispiel eine notwendige Zertifizierung zu erlangen. Das ist das Verständnis für Qualität als Pflicht.“

Die Rolle von Qualität und des Qualitätsmanagements in modern geführten Unternehmen geht längst weit über die Produkte hinaus und schließt vielmehr Prozesse, die Nachhaltigkeit und den gesellschaftlichen Beitrag eines Unternehmens mit ein. Babtec-Chef Flunkert: „Der Qualitätsbegriff in einem modernen Unternehmen umfasst die Anforderungen der gesamten Organisation. Es geht um die Qualität der Prozesse oder auch um die Qualität der Führung, mit unserem Anspruch an ein nachhaltiges und ressourcenschonendes Wirtschaften.“

Damit das Thema Qualität wieder die Aufmerksamkeit erhält, die es braucht, muss sich auch die Verantwortung für das Thema wandeln. Qualität darf nicht allein Thema einer speziellen kleinen Abteilung sein. Qualität muss Chefsache sein – und von dort ins Unternehmen hineingetragen werden. Es braucht eine Art Gesamtbündnis für Qualität – angefangen beim Vorstand oder der Geschäftsführung, inklusive aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit Qualität bei Produkten, Prozessen und der gesamten Organisation zum Tragen kommt.

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