KI Reallabore: Andocken für innovative Entwicklungen

Die SmartFactoryOWL ist an den Bedürfnissen des Mittelstands orientiert und präsentiert sie sich als hochmoderner Forschungsstandort. Fotos: Fraunhofer IOSB-INA

Forschung und Wirtschaft galten lange als zwei Bereiche, die sich in unterschiedlichen Sphären bewegen. Mittlerweile ist das nicht mehr so: Beide rücken immer näher zusammen, um gemeinsam Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Das ist auch dem Engagement zahlreicher regionaler Initiativen wie der Forschungsfabrik SmartFactoryOWL in Lemgo zu verdanken.

Peter Müller ist Maschinenbauer. Bei seinem letzten Besuch der SmartFactoryOWL war der Mittelständler nicht nur begeistert, er ist auch mit einer ganz besonderen Inspiration wieder zurück in sein Unternehmen gegangenen. Was er dort in der Fabrik der Zukunft gesehen hat, hat ihn auf neue Ideen für seinen Produktionsbetrieb und zudem zu der Erkenntnis gebracht, dass die Begriffe Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz keine Buzz-Words sind, sondern diese Technologien durchaus für die eigene Anwendung praktikabel sind.

Nissrin Arbesun Perez: „Im KI Reallabor geht es uns in erster Linie darum herauszufinden, wie sich Algorithmen der KI auch in einer sehr großen Breite entwickeln lassen.“

Nissrin Arbesun Perez vom Fraunhofer IOSB-INA in Lemgo und für die Bereiche Technologietransfer und Innovationsmanagement zuständig, erlebt das häufig. Regelmäßig öffnen die Lemgoer ihre Türen für interessierte Unternehmer verschiedenster Branchen, um ihnen den Zugang zu neuesten Technologien zu ermöglichen. Die SmartFactoryOWL, seit 2016 in Betrieb, ist an den Bedürfnissen des Mittelstands orientiert. Auf gut 2.000 Quadratmeter Fläche präsentiert sie sich als hochmoderne Produktionshalle mit verschiedenen Anlagen. Hier werden Prozesse aus dem Maschinenbau, der Elektronik und der Kunststoffherstellung abgebildet. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen erforschen vor Ort, wie diese sich mit Hilfe der Digitalisierung zukunftsorientiert ausrichten lassen.

KI Reallabor: neueste Technologien mit Mehrwert für die Praxis

Seit Anfang des Jahres wird die Praxisorientierung am Lemgoer Campus noch einmal durch das neue, vom BMWi geförderte KI Reallabor erhöht. Ziel dieser offenen Datenplattform für die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie 4.0 ist es, Produktionsbetrieben eine Nähe zu Wissenschaft und Forschung zu schaffen und ihnen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie neueste Technologien mit Mehrwert selbst nutzen können. Weiterer Pluspunkt: die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen für ein individuelles betriebliches Problem. Anwendungsfälle aus der Industrie werden in der SmartFactoryOWL abgebildet und Lösungen entwickelt, die dann in die Praxis zurückgeführt werden.

„Im KI Reallabor geht es uns in erster Linie darum herauszufinden, wie sich Algorithmen der KI auch in einer sehr großen Breite entwickeln lassen. Auch möchten wir herausfinden, warum das Potenzial noch nicht ausgeschöpft wird“, beschreibt Perez die Herausforderungen.

Reallabore liegen im Trend, sie sind spannend für die Forschung und nutzbringend für die technischen Entwicklungen in der Industrie. „Im Gegensatz zu sterilen Laborumgebungen, in denen Technologien entwickelt werden, die man teilweise gar nicht anwenden kann, punkten diese Räume mit ihrem hohen Praxischarakter. Sie sind ein Umfeld zum Experimentieren, wobei der Fokus sehr stark auf der Realität liegt. Das heißt, hier werden Entwicklungen abgebildet, die tatsächlich in der Industrie zum Einsatz gelangen. Es ist genau diese Mischung, die Reallabore ausmacht“, beschreibt Perez. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz seien die besonderen Konstellationen eines solchen Forschungsumfelds enorm hilfreich. Da hier teilweise Technologien entwickelt würden, die umstritten oder die perspektivisch gesehen noch offen seien. Das gelte zum Beispiel für die Frage nach der Sicherheit und der Souveränität von Daten oder dem geistigen Eigentum. „Trotz dieser Unklarheiten müssen wir an der Erprobung und Entwicklung der Technologien weiterarbeiten, um den technischen Fortschritt nicht zu behindern“, so Nissrin Perez.

Konkrete Unterstützung für Mittelständler

Dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen den neuen Technologien noch distanziert gegenüberstehen, habe vielfältige Gründe. Die Wissenschaftlerin weiß, dass es oftmals an Experten in den Betrieben fehlt. Das Angebot an ausgebildeten technischen Informatikern ist begrenzt, um den aktuellen Bedarf zu befriedigen, müssen mehr Absolventen die Hochschulen verlassen. Auch der aktuelle Fachkräftemangel ist ein Problem. Dagegen eher „hausgemacht“ ist die Tatsache, dass viele Unternehmen keine nutzbaren Daten besitzen, weil ihre Maschinen noch nicht digitalisiert sind. Andere Betriebe verfügen nur über einen heterogenen Maschinenpark, dessen Anlagen noch nicht miteinander vernetzt sind. Letztendlich ist vielen Verantwortlichen in den Betrieben die KI-Technologie einfach fremd. „Begrifflichkeiten wie maschinelles Lernen sind vielen zwar bekannt, wo jedoch die Einsatzmöglichkeiten liegen und welcher Mehrwert sich generieren lässt, ist oftmals unklar. Nicht zu vergessen ist selbstverständlich auch der Zeitfaktor. Den Unternehmen mangelt es an Ressourcen, um Know-how aufzubauen.
Gerade deshalb ist das KI-Reallabor eine enorm wichtige Anlaufstelle, wo Mittelständler konkrete Unterstützung bekommen. „Wir können helfen, wenn es insbesondere um Fragen zum Thema Daten, der Erfassung und Nutzung geht“, so die Wissenschaftlerin. Praxisorientiert sind auch die regelmäßig stattfindenden Hackathons zu Zukunftsthemen, bei dem Industrieunternehmen ihre individuellen Fragestellungen als Challenge in den Ring werfen. IT-Experten und eine internationale Community mit Teilnehmern aus ganz unterschiedlichen Berufsfeldern erarbeiten dann gemeinsam eine Lösung. Manchmal klappt es perfekt, es gibt jedoch auch Situationen, wo zunächst nur eine Annäherung als Ergebnis erzielt wird.
Neben ihrer Stärke im Bereich KI arbeiten die Lemgoer Forscher an weiteren Technologien, wo Unternehmen andocken können. Dazu gehören zum Beispiel die Themen Rapid Prototyping und datenbasierte Geschäftsmodelle.

Der Druck auf die Industrie, auf digitale Technologien zu setzen, ist groß.

„Wir befinden uns in einem Umbruch, der uns fordert und auf den wir mit entsprechenden Aktivitäten reagieren müssen. Es gibt Unternehmen, die sich schon seit längerer Zeit mit der Digitalisierung beschäftigen und vom Nutzen überzeugt sind, andere befinden sich noch ganz am Anfang. Fakt ist, dass diejenigen, die sich auf die neuen Entwicklungen eingelassen haben, bereits heute profitieren: Sie sind nicht nur innovativer, sondern auch dynamischer und wettbewerbsfähiger“, erklärt die KI-Spezialistin. Selbstverständlich sei es ein großes Unterfangen, insbesondere größere Industriebetriebe umfassend zu digitalisieren und auf ein neues Level zu heben. Viele befürchteten hohe Investitionen. So wage man erst gar nicht den nächsten Schritt, aus Furcht, dass so ein Projekt den Kostenrahmen sprenge oder einfach zu komplex sei. Retrofit-Konzepte seien eine interessante und kostengünstige Alternative, jedoch noch weitgehend unbekannt.

„Die Bedenken sind verständlich, aber unbegründet. Die Vielzahl an Förder- und kostenfreien Unterstützungsmöglichkeiten ist sicherlich hilfreich und erleichtert die Entscheidung, sich diesem wichtigen Thema zu stellen“, so Nissrin Perez.

Maschinenbauer Müller, der regelmäßig von den Besuchsmöglichkeiten in Lemgo Gebrauch macht, hat seine Inspiration vom Campus bereits in seinem Betrieb umgesetzt und seinen Montagearbeitsplatz zukunftsorientiert eingerichtet. Vorbild war der Aufbau in der SmartFactoryOWL, bei dem sogenannte Assistenzsysteme die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit unterstützen.
„Man muss genau schauen, wie man die Technik gestaltet, damit sie für den Anwender eine unterstützende Wirkung hat“, so Perez. Es gibt verschiedene Systeme wie kollaborative Roboter, AR Anwendungen mit digitalen Montageanleitungen und Brillen, die dem Träger genaue Anweisungen einzelner Wartungs- und Montageschritte geben.
Das sei erst der Anfang im Kontext von KI am Arbeitsplatz, an weiteren technologischen Entwicklungen werde geforscht. So erarbeiten die Lemgoer mit einem regionalen Startup ein Testprojekt mit dem Ziel, die sogenannte Machine Vision im Bereich KI umzusetzen. „Das ist eine besondere Herausforderung. Verschiedene Objekte am Arbeitsplatz zu erkennen und durch eine Kamera interpretieren zu lassen, ist für uns Menschen einfach, wir können einen Schraubenzieher, eine Brille etc. erkennen. Liegen diese Werkzeuge nicht einzeln, sondern übereinander, ist die Maschine schnell überfordert, weil sie diese „Form“ so noch nicht „gesehen“ und damit nicht erlernt hat. Sie kann nicht eindeutig interpretieren, um was für ein Werkzeug es sich handelt. KI stößt in diesem Fall an ihre Grenzen. Um dieses Problem zu lösen, muss noch eine entsprechende Technologie entwickelt werden“, sagt die Lemgoer Wissenschaftlerin.

Weitere Informationen: www.iosb-ina.fraunhofer.de und www.smartfactory-owl.de

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