Ostwestfalen-Lippe hat großes Potential, sich im Bereich der Kreativwirtschaft zu profilieren. Insbesondere die Stadt Detmold bietet beste Voraussetzungen, um hier zu einem wichtigen Knotenpunkt für die Region zu werden. Der Forschungsschwerpunkt urbanLab der Technischen Hochschule OWL hat in der Studie „Kreativ Quartier Detmold“ die Erfolgschancen ermittelt. Prof. Dipl.-Ing. Oliver Hall, wissenschaftlicher Leiter der Untersuchung, über die Möglichkeiten und Herausforderungen eines „Kreativ Quartiers“.
m&w: Was war die Motivation, die Potentialstudie „Kreativ Quartier Detmold“ durchzuführen?
Prof. Oliver Hall: Mehr als die Hälfte der Einwohner Deutschlands lebt in über 2.700 Klein- und Mittelstädten, Detmold ist eine davon und daher per se von Forschungsinteresse. In metropolfernen Regionen wie OWL bilden diese Orte relevante Knotenpunkte des Städtenetzes, deren zukunftsfähige Entwicklung auch in Zeiten des starken Wachstums von Metropolregionen dringlich ist.
Die Kreativwirtschaft ist laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ein Schlüsselbereich und ein Innovationsmotor für die Gesamtwirtschaft. Das Potential von Kreativität als Motor für wirtschaftliches Wachstum eröffnet neue Möglichkeiten. Seitens der Stadt Detmold, Kreis Lippe Wirtschaftsförderung, Hochschule für Musik sowie der Technischen Hochschule OWL wurde der Forschungsschwerpunkt urbanLab beauftragt zu untersuchen, ob die Mittelstadt Detmold geeignet ist und entsprechende Voraussetzungen mitbringt, um den Wirtschaftszweig der Kreativ- und Kulturwirtschaft zu stärken und im städtebaulichen Raum zu konkretisieren. Detmold besitzt mehrere Hochschulen und Berufsschulen, die Akteure aus der Kreativ- und Kulturwirtschaft ausbilden. Viele Hochschulen in Deutschlands entstehen abseits der Metropolen in Klein- und Mittelstädten und entfalten entsprechende Dynamik, so eine Untersuchung von Peer Pasternack und Steffen Zierold aus dem Jahr 2018. Das Potential von Kreativität als Motor für wirtschaftliches Wachstum eröffnet daher neue Möglichkeiten in Klein- und Mittelstädten, die aufgrund ihrer Größe und der im Verhältnis zu Großstädten günstigeren Bodenpreise einen Nährboden für Stadtentwicklung darstellen. Demzufolge lautete die zugrundeliegende Frage in der Potentialstudie „Welche Faktoren begünstigen das Wachstum der Kreativ- und Kulturwirtschaft und was sind Erfolgsfaktoren für die Entstehung eines sog. „Kreativ Quartiers“ in einer Mittelstadt?“.
m&w: Wie definieren Sie Kreativwirtschaft?
Prof. Oliver Hall: Auf Detmold bezogen sind es viele kleine Unternehmen wie Architekturbüros, Verlage, Buchhandel und Tonstudios. Hinzu kommen die Kreativen, die in den größeren Unternehmen der Gesamtwirtschaft ihren Arbeitsplatz finden. Aber auch wichtige Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen haben in Detmold ihren Standort. Mit dem Zuzug des Fachbereichs Medienproduktion der TH-OWL an den Standort Detmold gewinnt die etablierte Kreativwissenschaft, vertreten durch den Fachbereich Architektur, Innenarchitektur und Stadtplanung, sowie die Hochschule für Musik einen weiteren wichtigen Akteur, aus dem Startups und Impulse für die Kreativwirtschaft hervorgehen.
Ausgehend von den vorhandenen Hochschulen haben sich in den vergangenen Jahren Institute und Forschungslaboratorien gegründet, die dem kreativen Forschungssektor zuzuordnen sind. Ein Beispiel ist das Zentrum Musik-Edition-Medien, an dem, neben den beiden Hochschulen vor Ort, auch die Uni Paderborn beteiligt ist. Während die Kreativwissenschaft somit schon eine wahrnehmbare Dichte aufweist, ist die Kreativwirtschaft noch räumlich kleinteilig verstreut. Ohne die räumliche Nähe ist es bisher nicht möglich, die Wertschöpfungsketten der kreativen Akteure zwischen Bildung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig zu festigen. In der Außenwahrnehmung ist das starke kreativwirtschaftliche Potential noch nicht als Profil der Stadt Detmold sichtbar, so dass es auch noch nicht als Standortfaktor für weitere Unternehmensansiedlungen, Startups und einen Zuzug von Studierenden wirken kann.
m&w: Was hat unser Standort kreativen Köpfen zu bieten und wo liegen die Chancen und Potentiale für berufliche Tätigkeiten?
Prof. Oliver Hall: In der Region OWL weist die Kreativwirtschaft eine wahrnehmbare Dichte auf, die wiederum kleinteilig verstreut ist. Zusätzlich existieren bereits stark ausgebildete Akteursstrukturen und Netzwerke. Die Wertschöpfungskette zwischen den kreativen Akteuren, Bildung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft kann ohne eine räumliche Nähe nicht nachhaltig gefestigt werden. Zusätzlich sind Fab Labs, Makerspaces etc. Einrichtungen, deren Bedeutung wachsen wird und die Entwicklungskorridore für den wichtigen Transfer zwischen Stadt und Hochschule aufzeigen werden. Die Entwicklung von Kreativität ist Bildungschance und Wirtschaftsfaktor für die gesamte Region. Die Potentialstudie ging der Frage nach, wie öffentlich geförderte städtebauliche Impulse ein sichtbares kreatives Netzwerk entstehen lassen, das die Wertschöpfungskette zwischen Bildung, Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft stimuliert und festigt.
Chancen und Potentiale für berufliche Aktivitäten von Kreativen liegen zudem an „verborgenen“ Orten, die dafür gar nicht vorgesehen sind und die durch „zugereiste Köpfe“ aufgedeckt, angeeignet, stimuliert und zu kreativen, integrativen Projekten entwickelt werden. Die Potentialstudie hat zahlreiche Beispiele solcher „verborgenen“ Orte aufgezeigt.
m&w: Welche Erwartungen werden an die kreativen Köpfe gestellt?
Prof. Oliver Hall: Kreativität entsteht durch neutrale, aneignungsfähige, unfertige Orte, die entdeckt werden wollen, wie zum Beispiel leerstehende ehemalige Industriehallen oder Kasernenbauten. Potential steckt auch im öffentlichen Raum. Einzige Erwartung an kreative Köpfe ist „Unvoreingenommenheit“ und dass diese „verborgenen“ Orte von ihnen zum Leben erweckt werden.
m&w: Wie können Bildung, Forschung, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur davon profitieren?
Prof. Oliver Hall: Indem sie selber Akteur der Kultur-/ Kreativwirtschaft werden und sich als Kooperationspartner der community anbieten. Ein „Profitieren“ wird dabei nicht in Geld gemessen, sondern in Form einer „Profilschärfung“ der Stadt oder der Region.
m&w: Wie lassen sich mehr Fachkräfte in die Region holen, bzw. was können Kommunen und Unternehmen noch selbst tun, um sich für Kreative attraktiver zu machen?
Prof. Oliver Hall: Es sind nicht die Kommunen und Unternehmen, die sich für Kreative „attraktiv machen“ können, weil Kreative selber als frei Schaffende oder Selbstständige etwas „unternehmen“ wollen. Gleichwohl können Kommunen und Unternehmen einen Nährboden schaffen, auf dem kreative Unternehmerinnen und Unternehmer auch wirtschaftlich bestehen können, konkret heißt das: Geringe Mieten, Zwischennutzungsangebote in Leerständen mit Selbstausbaumöglichkeit, Gründungs- oder Startup-Beratung, Open Makerspaces, wie zum Beispiel das FabLab an der Hochschule, das für jede und jeden offen ist.
Weitere Informationen: http://www.th-owl.de/fb1/de/forschung/urbanlab/veranstaltungen/regionaler-salon/mehr-als-provinz.html