Unternehmen müssen sich verändern, wenn sie nachhaltig am Markt erfolgreich bleiben wollen. Kerstin Hochmüller hat vor neun Jahren begonnen, das Familienunternehmen umzubauen – und das mit Erfolg.
Kerstin Hochmüller hat sich auf die Reise begeben, kein Kurztrip, um zu entspannen und sich zu erholen. Vielmehr befindet sich die Unternehmerin mit ihrem gesamten Team auf einer langen und nicht weniger herausfordernden Transformationsreise mit klar definiertem Ziel: die Marantec Group mit Stammsitz in Marienfeld soll zum Open Champion werden. Die in vielen mittelständischen Familienunternehmen praktizierte Hidden Champion-Strategie liegt der Geschäftsführerin gar nicht, weil sie nicht mehr in die Zeit passt, wie sie betont. Schon bei ihrem Eintritt ins Unternehmen ihres Mannes hat die Betriebswirtschaftlerin und Marketingfachfrau erkannt, dass der international tätige Spezialist für Antriebstechnik, der vor gut 30 Jahren als Ausgründung aus der Hörmann Gruppe entstanden ist, eine neue Ausrichtung braucht.
„Mich beschäftigte seit Langem das Thema Wandel und die Notwendigkeit, Dinge zu verändern. Irgendwann bin ich dann beim Change-Management gelandet. Ein MBA-Studium mit den Schwerpunkten Leadership und Organisationsentwicklung bestätigte mich in meiner Denke und motivierte mich, eine andere Aufstellung unseres Unternehmens anzustreben“, sagt die Mittelstandslenkerin.
Marantec sei viel zu groß geworden, es habe zu viele kleine Unternehmen gegeben, die zur Gruppe gehörten und die man auf klassische Art und Weise nicht mehr so habe führen können. Hochmüller hatte konkrete Ziele: ein größeres Miteinander und weniger Hierarchien.
Mit einer blauäugigen Vision ist Hochmüller damals angetreten, wie sie heute verrät.
Das sei ganz schön blauäugig gewesen, blickt sie heute zurück: „Zu sagen, jetzt arbeiten wir alle zusammen und dann läuft es schon. So einfach funktioniert das nicht. Obwohl es sehr viele Mitarbeitende gab, die diesen neuen Weg mitgehen wollten“, sagt Hochmüller. Und so machte sie sich an die Arbeit: Die Unternehmen zusammenzubringen und miteinander zu kommunizieren, die täglichen Aufgaben zu lösen, Vertrauen aufzubauen und einen echten Informationsaustausch zu entwickeln, – das waren die ersten Schritte. „Aus diesem gemeinsamen Handeln ist dann die Idee entstanden, das gesamte Unternehmen zu transformieren, weil wir verstanden haben, dass wir mit den vorhandenen Geschäftsmodellen nicht optimal für die Zukunft aufgestellt sind. Denn die Welt ist eine andere geworden. Stichwort Digitalisierung, Konzentration im Markt, Wettbewerb aus Asien und die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeit. Mir wurde klar, all diesen Herausforderungen ist nicht mit einem Change-Prozess zu begegnen. Hier muss eine Transformation stattfinden. Wir brauchen eine neue Vision“, beschreibt die Unternehmerin die Motivation für ihr Handeln und die Notwendigkeit für das Umkrempeln des Familienbetriebs. Kerstin Hochmüller, ihr Co-CEO und das kleine Strategieteam verbindet nicht nur die Einsicht für die Veränderung. Sie prägt auch das gleiche Menschenbild: Männer und Frauen möchten sich gerne engagieren und mitmachen, ohne ständig kontrolliert zu werden. Diese gemeinsame Erkenntnis erleichtere zwar den Transformationsprozess, dennoch komme man an seine Grenzen: „Wir sind seit 30 Jahren am Markt, zudem steckt die Hörmann-Tradition in unseren Genen. Eine so radikale Transformation umzusetzen, erfordert sehr viel Einsatz. Und so gab es auch kritische Fragen, ob denn vorher alles falsch gewesen sei? Doch die Diskussion ist nicht, was falsch war, sondern was müssen wir tun, damit es richtig bleibt“, sagt Hochmüller. Man müsse eine Menge kommunizieren und erklären, vor allem das Tempo und die Vielfalt der Projekte. Und sie weiß auch, dass sie es sich leichter machen könnte. Das passt jedoch nicht zu ihr, denn für die Vordenkerin ist klar, wenn man die Chance hat zu gestalten, dann ist es auch die unternehmerische Verpflichtung, dieses zu tun und sich nicht nur auf das Verwalten zu konzentrieren.
Das würde in Zeiten wie diesen auch nicht funktionieren, ist sie überzeugt.
„Ich kann mir kein Unternehmen vorstellen, dass so bleiben kann, wie es ist. Wenn ich auf unsere technischen Produkte blicke, die immer vergleichbarer werden und wo in den letzten Jahren immer nur auf die Effizienz geschaut wurde – das reicht auf Dauer nicht aus. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns neu zu erfinden. Und das ist schwieriger, als etwas Neues zu machen. Um die Menschen mitzunehmen, ist die persönliche Kommunikation wichtig, damit sie die Ernsthaftigkeit und die Idee dahinter erkennen. Auch wenn man noch nicht für alles eine Lösung hat. So ein Vorhaben ist Unternehmersache und kein Projekt, das man delegieren kann“, sagt die passionierte Mittelständlerin, die diese Herausforderung alles andere als negativ sieht. Im Gegenteil, – für sie überwiegt die Freude, wie langweilig wäre es, immer nur das Gleiche zu machen. Denn eigentlich sei es ganz simpel, ist Hochmüller überzeugt:
„Ausprobieren und experimentieren, das ist es, was wir tun.“
Bis heute wird die Unternehmerin nicht müde, für das gemeinsame Ziel zu begeistern. Sie motiviert, an der gemeinsamen Vision mitzuarbeiten, in Eigenverantwortung zu treten, weil damit auch Zufriedenheit einhergeht. Das fängt bei flexiblen Arbeitszeiten an, führt über das Entdecken von Talenten und das Schaffen von Rollen statt Positionen, damit auch ein Wechsel stattfinden kann und nichts für gegeben hingenommen wird. Im Gegenteil, Hochmüller ermutigt, alles zu hinterfragen und sich komplett zu öffnen.
Denken in Netzwerken und Kooperation – das fällt vielen noch immer schwer.
Genauso wichtig ist für sie die Vernetzung, weil darin so viel Stärke liegt. „Das habe ich schon vor Jahren erkannt. Im Kontakt mit anderen Unternehmen kann man so viel lernen. Der gemeinsame Austausch muss Normalität werden, weil er phänomenale Ergebnisse bringt. Herausforderungen lösen wir nur, wenn wir miteinander arbeiten. Es reicht nicht, auf Veranstaltungen miteinander zu sprechen“, so Hochmüller.
Und deshalb hat die Vollblutunternehmerin längst Taten folgen lassen. Seit Jahren arbeitet sie daran, in Kooperation zu gehen, auf Augenhöhe, wie sie immer wieder betont. Mit Startups sei das deutlich einfacher, mit Mittelständlern funktioniere es schwieriger. Wann immer möglich, erzählt sie ihre Geschichte, um noch mehr Menschen zu begeistern und auf die „Reise“ zum Open Champion mitzunehmen.
Berührungsängste zu Familienunternehmen hat die engagierte Frau nicht, weil sie auf gemeinsame Werte wie Vertrauen setzen. Warum nicht die „Familie“ erweitern, sich öffnen und sich vertrauen? Hochmüller erzählt dann ihre Geschichte: „Auch, wenn wir weniger aus einer Kooperation mitnehmen, sehe ich das nicht als Problem. Wichtig ist mir, dass wir eine gemeinsame Idee entwickeln.“ Angst, interne Geheimnisse preis zu geben, hat sie nicht. „Wir machen Antriebe, was ist das Geheimnis?“ Die Gefahren kommen für sie ganz woanders her, aus China und deshalb müsse man sich im Mittelstand zusammentun. „Leider stehen wir uns in Deutschland selbst im Weg und begeben uns weiterhin in Abhängigkeiten“, sagt Hochmüller.
Ihre erste Kooperation im Mittelstand war die mit einem Mitbewerber, der Außentorantriebe herstellt, erzählt sie ganz pragmatisch. Erste Reaktionen sorgten für ziemlich viel Verwirrung. Für Kerstin Hochmüller nur eine Konsequenz auf dem Weg zum Open Champion: „Früher wäre das völlig undenkbar gewesen. Wenn man jedoch bedenkt, dass wir durch die Kooperation schnell ein zusätzliches Produktsortiment aufnehmen konnten, das wir nicht entwickeln und testen mussten, dann ist das ein großer Vorteil. Klar, die Gewinne teilen wir. Wir haben jedoch Zeit für andere Dinge gewonnen und können uns nun gegen größere Wettbewerber aufstellen“, so Hochmüller. Weiterer positiver Nebeneffekt – der neue Kooperationspartner, der bisher in China Produkte zugekauft hat, bezieht diese nun von den Marienfeldern.
Viel Freude und Inspiration bekommt Hochmüller in der Startup-Szene. Junge Gründende hätten die besten Ideen und Lösungen für technische Produkte, sodass man extrem gute technische Innovationen bekomme. Außerdem schätzt sie das Mindset, die Art und Weise, wie sie miteinander kommunizieren und wie sie zusammenarbeiten.
„Wenn man auf Augenhöhe mit Startups arbeitet, dann sind sie eine große Hilfe, die eigene Kultur schneller zu verändern und so die eigene Transformation voranzutreiben.“
Kontakte in die Szene unterhält sie seit Langem. Auch hier ist sie offen auf die jungen Gründer zugegangen, engagiert sich in Netzwerken und zeigt, wann immer möglich, Präsenz. Im Hinblick auf die Gestaltung der Kooperation ist sie offen. Meist erfolgt die Zusammenarbeit in Projekten. Eine finanzielle Beteiligung kann, muss jedoch nicht das Ziel sein. „Ich möchte nicht die Mehrheit an einem Startup übernehmen, mir ist es viel wichtiger, dass es weiterhin unternehmerisch arbeiten kann und die Verantwortung bei den Gründern liegt“, betont Kerstin Hochmüller.
Eine der ersten Kooperationen ist Marantec mit dem Wiener Startup Nymia eingegangen, um Expertise für die Konnektivität aufzubauen. Erstes Ergebnis war der Aufbau einer IOT-Plattform. Hier hat Hochmüller auch investiert, weil sich das Unternehmen in einer Finanzierungsrunde befand. Die Zusammenarbeit besteht bis heute, gemeinsam entwickeln die beiden Partner ihre Produkte immer weiter, sodass für beide Seiten eine Win-Win-Situation besteht. Es sei ein unschätzbarer Vorteil, früh mit Startups zu kooperieren:
„Ich kann nur jedem empfehlen, diese Kontakte selbst zu suchen“, sagt Kerstin Hochmüller.
Die Transformationsreise ist noch lange nicht abgeschlossen. Unternehmerin Hochmüller hat jede Menge Energie, um den Weg weiterzugehen. „Ich habe das Glück, dass ich machen darf, was mir Spaß macht. Das Größte ist, wenn man in seinem Dunstkreis Menschen hat, die etwas bewegen möchten, die aus Überzeugung handeln, etwas zum Besseren verändern möchten und dabei glücklich sind. Das motiviert mich sehr“, so die Unternehmerin. „Denn gewinnen macht allein keinen Spaß. Es ist viel schöner, wenn wir uns gemeinsam freuen können.“