„Mitarbeiter möchten zufrieden sein und Spaß an der Arbeit haben“

Prof. Dr. Ralf Ziegenbein, Wissenschaftler am Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD) an der Fachhochschule Münster: „Emotionale Intelligenz und kognitive Flexibilität gelten als die zentralen Fähigkeiten der Zukunft.“ (Foto: Alexa Paul)

Welche Rolle spielt der Mensch in einer sich verändernden Arbeitswelt? Welche Anforderungen stellt die digitale Transformation und welche Kompetenzen sind für die neuen Herausforderungen in den Unternehmen notwendig? Prof. Dr. Ralf Ziegenbein, Wissenschaftler am Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD) an der Fachhochschule Münster, über die Kompetenzen der Zukunft und welche Chancen die Digitalisierung im Hinblick auf die Gleichberechtigung aller Menschen im Arbeitsalltag schaffen kann.


m&w: Herr Prof. Ziegenbein, welches Anforderungsprofil benötigt der Mensch im „digitalen Zeitalter“? D.h. welche konkreten Kompetenzen sind notwendig, die durch Weiterbildung anzueignen sind?

Dr. Ralf Ziegenbein: In vielen Unternehmen gilt Weiterbildung immer noch als eine konkrete Maßnahme, die am Ende ein bestimmtes Ergebnis hervorbringt. Das ist jedoch nicht weit genug gedacht. Eine isolierte Betrachtung der Weiterbildung war noch nie sinnvoll und heute gilt das noch viel weniger. Vor allem, wenn man sich die aktuellen Herausforderungen anschaut. Unternehmen benötigen heute ein neues Mindset und in diesem ist die Weiterbildung tatsächlich nur ein kleines Element innerhalb eines vielfältigen kulturellen Anforderungsrahmens.
Um auf die Frage zurückzukommen. Im Prinzip sind die Kompetenzen gefragt, die wir alle schon länger kennen. Die Untersuchungen des World Economic Forum haben in den letzten Jahrzehnten einen deutlichen Fokus auf die Themen Lösen komplexer Probleme, Kreativität und Critical Thinking gelegt und diese Kompetenzen als wichtige Arbeits-, Denk- und Handlungshaltung definiert. In den letzten Jahren sind neue hinzugekommen – emotionale Intelligenz und kognitive Flexibilität gelten als die zentralen Fähigkeiten der Zukunft. Diese Empfehlungen des World Economic Forum sind auch für uns als Hochschule eine wichtige Basis für unsere Arbeit.
Es geht also darum, Wege zu finden, diese Schlüsselkompetenzen gezielt zu fördern. Idealerweise beginnt dieser Prozess bereits in der frühen Bildung im Kita- und Grundschulalter und gilt auch für die weiterführenden Schulen, die Ausbildung und das Studium und nicht zuletzt auch für die Weiterbildung. Critical Thinking, emotionale Intelligenz, Kreativität und Beziehungskompetenzen gelten als die Anforderungen, die heute gefragt sind. Sie sind der Träger von allem. Andere Fähigkeiten wie die Fach- und Methodenkompetenz stehen erst an zweiter Stelle. Viel wichtiger wird es sein, die Fach- und Führungskräfte der Zukunft zu befähigen, dass sie sich die notwendigen Kompetenzen selbst aneignen, in der Lage sind, das erforderliche Wissen für den konkreten Bedarf herauszuarbeiten und dieses dann in das Beziehungsgefüge im Unternehmen, in die Kreativitätsentwicklung und in das Critical Thinking einzubringen. Digitale Kompetenz ist dabei eine entscheidende Grundlage.

m&w: Das bedeutet in der Praxis, jeder einzelne ist gefordert, sich selbst zu engagieren, um sein Fortkommen zu sichern?

Dr. Ralf Ziegenbein: Das weitere Fortkommen ist nur die eine Seite der Medaille. Längst hat nicht jeder Mitarbeiter den Willen, und dieser Wille wird künftig noch weniger werden, sich in einer Hierarchie zu entwickeln. Immer mehr Menschen wünschen sich, coole Sachen zu machen, an denen sie Spaß haben. Das Arbeiten im Team gewinnt an Bedeutung, Lösungen werden gemeinsam mit emotionaler Intelligenz und Kreativität erarbeitet. Dabei kann es durchaus sein, dass hier eine Fachkompetenz fehlt. Ein Ingenieur zum Beispiel, der aufgrund seiner Qualifikation nicht in allen Bereichen über Expertenwissen verfügt, aber dennoch Spaß daran hat, sich mit Fachthemen zu beschäftigen, kann durchaus einen wichtigen Beitrag im Team leisten. Das Fortkommen wird viel mehr darin bestehen, dass die Menschen zufrieden sind und Spaß an der Arbeit mit anderen Kollegen und Kolleginnen haben. Das wird künftig immer wichtiger werden, weil wir nur so in der Lage sind, die neuen Herausforderungen zu bewältigen.

m&w: Gefragt sind also Teamplayer und keine Einzelkämpfer?

Dr. Ralf Ziegenbein: Absolut. Wichtig sind dann kreative und neugierige Teamplayer. Aber auch solche, die kritisch und reflektorisch unterwegs sind, können einen wichtigen Beitrag leisten. Das gelingt jedoch nur, wenn ein stabiles Beziehungsgefüge existiert, das auf Vertrauen basiert. So etwas erreicht man nicht alleine mit Weiterbildungsaktivitäten. Vielmehr ist ein kultureller Rahmen gefragt, der all das vereint.

m&w: Kreativität, kritisches Denken und Problemlösungsfähigkeit werden also zukünftig immer mehr gefragt. Wie lassen sich diese Kompetenzen aber konkret vermitteln?

Dr. Ralf Ziegenbein: Nehmen wir zum Beispiel die Kompetenz Problemlösungsfähigkeit. Sie lässt sich nur umsetzen, wenn sich ein Team gemeinsam an die Arbeit macht. Wenn wir uns in der Hochschulausbildung mit dieser Fähigkeit beschäftigen, dann blicken wir zunächst auf die verschiedenen Probleme und auf die Instrumente, die zur Lösung bereitstehen. Diese Art der Wissensvermittlung macht durchaus Sinn. Die Frage ist jedoch, welches dieser Instrumente ist am besten geeignet? Das ist insbesondere dann nicht einfach zu beantworten, wenn das Problem noch nicht richtig ergründet ist. Angenommen fünf Personen beschäftigen sich mit der Problematik und jede dieser Personen hat einen anderen Blick auf das Problem, dann könnte jede ein anderes Instrument auswählen. Wenn diese Menschen nicht miteinander kommunizieren, werden sie garantiert stärker gegeneinander und weniger gemeinsam arbeiten. Für die Implementierung eines problemlösungsorientierten und kritischen Denkens im Unternehmen ist es also erforderlich, dass sich die Mitarbeiter austauschen und vielleicht auch den Kunden einbeziehen, um seine Bedürfnisse stärker zu verstehen. Je mehr Facetten in eine Diskussion eingebracht werden, desto sicherer lassen sich Instrumente anwenden, die für das tatsächliche Problem einsetzbar sind.
Dafür sind jedoch Teamfähigkeit und emotionale Intelligenz notwendig. Diese Erkenntnis ist nicht neu, Experten diskutieren darüber schon seit Jahrzehnten. Heute sind diese Kompetenzen jedoch in einer anderen Qualität erforderlich, weil die Welt um uns herum so dynamisch ist. Dieses Tempo erfordert eine möglichst schnelle und richtige Lösung der Probleme. In dieser Situation ist es ratsam, nicht gegeneinander, sondern stärker miteinander zu arbeiten, sonst schaffen wir das nicht. Das gilt übrigens auch für das Thema Kreativität. Fünf Menschen, die in einen Diskurs gehen, sind in der Summe kreativer als jeder einzelne.

„Wichtig sind kreative und neugierige Teamplayer. Aber auch solche, die kritisch und reflektorisch unterwegs sind.“

m&w: Was bedeutet soziale Chancengleichheit hinsichtlich der (Weiter-)Qualifikation von geringqualifizierten und älteren Mitarbeitern? Wie können Menschen, die diese Fähigkeiten nicht besitzen, diese erlernen?

Dr. Ralf Ziegenbein: Ich glaube, die Digitalisierung kann im Hinblick auf mehr Chancengleichheit eine wertvolle Hilfe sein. Sie schafft neue Möglichkeiten, gering qualifizierte als auch ältere Menschen in den Arbeitsalltag einzubeziehen. Vorausgesetzt, sie werden dorthin geführt.
Ein Beispiel: Ein blinder Mensch ist durch die Nutzung von digitalen Lösungen, Apps und digitalem Service in der Lage, mit Hilfe seines Smartphones Tätigkeiten zu übernehmen, die bisher unmöglich waren. Ein körperbehinderter Mann kann mit Hilfe eines kollaborativen Roboters in der Montage arbeiten. Auch Menschen mit geistiger Behinderung können durch digitale Tools aktiv am Arbeitsleben teilnehmen. Wenn wir diese Möglichkeiten mit der Forderung nach mehr Empathie, emotionaler Intelligenz und Teamfähigkeit verbinden, dann wird das Thema Vielfalt uns tatsächlich dazu bringen, kreativer zu sein, kritischer zu denken und Probleme besser zu erfassen und zu behandeln. Das ist Chancengleichheit.
Bei älteren Menschen ist es durchaus eine Herausforderung, sie mit der Technik in Verbindung zu bringen. Dieses Problem gab es schon immer. Mit Blick auf die digitale Kompetenz bedeutet das, dass insbesondere hier die älteren von jüngeren Beschäftigten lernen können. Da sind Teamfähigkeit und ein Miteinander auf Augenhöhe gefragt. Ich denke da zum Beispiel an den Auszubildenden, der den Abteilungsleiter aufgrund seiner digitalen Fähigkeiten unterstützt. Wenn wir eine Kultur der Zusammen- und Teamarbeit aufbauen und diese Philosophie in die Unternehmen bringen, dann wird sich auch ein älterer Mensch vor den neuen Technologien nicht verschließen können.
Wenn es uns gelingt, die Gesamtzusammenhänge zu betrachten, dann haben wir gute Möglichkeiten für mehr Chancengleichheit. Hier befinden wir uns erst am Anfang. Wesentliche Treiber sind die Digitalisierung und die neuen Kompetenzen.

Aus Ihrer Sicht: Verfügen die Unternehmen über eine Strategie, die festlegt, wie sie ihre Mitarbeiter sinnvoll und zukunftsorientiert weiterbilden?

Dr. Ralf Ziegenbein: Hier muss man sehr differenzieren. In der Tat gibt es viele Unternehmen, die sich sehr stark mit dem Thema beschäftigen. Andere zeigen jedoch weniger Engagement. Vorbildlich ist aus meiner Sicht die IT-Branche. Zahlreiche Betriebe haben schon sehr früh gehandelt, den Teamgedanken in den Fokus gestellt und Strukturen in Richtung Agilität, Dynamik, Kreativität und Problemlösungskompetenz geschaffen. Ich kenne in Münster einen Geschäftsführer eines Softwareunternehmens, der einen besonderen Teamspirit etabliert und eine Offenheit in seinem Unternehmen geschaffen hat. Ich habe das Gefühl, dass die Mitarbeiter hier glücklich und zufrieden zusammenarbeiten und gemeinsam einen hervorragenden Output liefern. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass es die Führungspersönlichkeit ist, die diesen Rahmen schafft und der dann zu dieser besonderen Unternehmenskultur führt.
Bei Unternehmen, die eher traditionell ausgerichtet sind und in den 70er und 80er Jahren gegründet wurden, fehlt in der Regel so eine Kultur. Weiterbildung findet oftmals durch den Besuch klassischer Seminare statt. So werden Mitarbeiter beispielsweise zum Excel- oder Schweißseminar angemeldet, erhalten einen Eintrag in der Qualifizierungsmatrix und genügen damit der ISO 9001-Vorgabe. Damit ist die Sache erledigt. Im besten Fall erledigen sie ihre Arbeit dann in einer neuen Qualität – oder auch nicht. Von einer nachhaltigen Veränderung kann man hier nicht sprechen. Geschweige denn von gezielten Aktivitäten im Hinblick auf die Anforderungen des Marktes. Das, was hier geschieht, ist eher reaktionär.
Wir als Hochschule sind auch in der Weiterbildung aktiv und bieten Programme für Unternehmen an. Gerade wenn es um Themen wie die digitale Transformation geht, beobachten wir sehr großes Interesse bei den teilnehmenden Mitarbeitern. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie eine gewisse Offenheit mitbringen und motiviert sind, hier konkret Wissen zu generieren, um dieses dann mit ins Unternehmen zu nehmen.

m&w: Die (Weiter-)Qualifikation von Mitarbeitern ist gerade für kleine und mittlere Unternehmen nicht selten eine kosten- und zeitintensive Angelegenheit.
Gibt es hierfür genügend Anreize bzw. finanzielle Unterstützung?

Dr. Ralf Ziegenbein: Wenn ich die Verantwortung für ein mittleres Unternehmen hätte, würde ich eine Kultur schaffen, in der die Mitarbeiter zunächst erst einmal voneinander lernen. Reicht das nicht aus, weil in einigen Bereichen ein Wissensupdate von außen notwendig ist, gibt es zwei Strategien: Es wird eine Person eingestellt, die über diese notwendigen Kompetenzen verfügt und die diese im Unternehmen durch direkte Anwendung, durch Kommunikation und durch Teamarbeit vermittelt.  Alternativ besteht die Möglichkeit, einzelne Mitarbeiter durch den Besuch von Weiterbildungsseminaren zu qualifizieren. Voraussetzung dafür ist allerdings die Existenz eines Konzeptes, das sich an der Unternehmensstrategie orientiert. Erfolgsentscheidend ist jedoch, diese Beschäftigten müssen überzeugt sein und Spaß an der Weiterbildung haben, sonst funktioniert das nicht. Ein Einkäufer, der zu einem Excel-Seminar geschickt wird, eigentlich aber keine Lust dazu hat, der wird am Ende nichts mitbringen. Auf der anderen Seite gibt es Mitarbeiter, die dafür brennen, sich weiter zu entwickeln und die im Besuch einer Qualifizierungsmaßnahme eine Chance zur Verbesserung ihrer Arbeit sehen. Diesen sollte man auch die Möglichkeit dazu bieten. Ich bin davon überzeugt, wenn ein Unternehmen so handelt, dann lassen sich weitere Interessierte gewinnen, weil sie den Nutzen ihrer Kollegen sehen und ebenfalls davon profitieren möchten. So kann sich Weiterbildung gerade für KMU zu einem Selbstläufer entwickeln. Selbstverständlich gibt es auch Beschäftigte, die generell wenig Bereitschaft zeigen, die braucht man auch nicht abzuholen. Solche Maßnahmen schlagen natürlich finanziell zu Buche. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Mitarbeiter, die nach Abschluss des Seminars wiederkommen, durch ihre neuen Kompetenzen Kosten senken bzw. neue Erlöse generieren können. Dann ist die Investition ins Personal eine lohnenswerte und zukunftsweisende Entscheidung.

Kontext: Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD)
Das Institut für Prozessmanagement und Digitale Transformation (IPD) an der Fachhochschule Münster ist ein praxisnahes Forschungsinstitut, das gewonnene Erkenntnisse über Transfer und Weiterbildung für einen breiten Interessentenkreis zugänglich und anwendbar macht. Die hier tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligen sich aktiv an der Weiterentwicklung der Disziplinen Logistik, Prozessmanagement und Digitale Transformation. Im Vordergrund stehen der Anwendungsbezug und der Transfer in die Praxis.
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