Nachhaltigkeit und Innovation – „Das ist kein Selbstläufer“

Unternehmen müssen nachhaltiger werden. Das erfordert Anstrengungen und kann auch mit Rückschlägen verbunden sein. An der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit führt kein Weg vorbei, wie Professor Dr. Christian Berg, Präsidiumsmitglied im Club of Rome Deutschland, erklärt.

m&w: Herr Dr. Berg, immer mehr Unternehmen schreiben sich auf die Fahnen, nachhaltig zu wirtschaften und Verantwortung für die Umwelt und Gesellschaft zu übernehmen. Ist das nicht ein wichtiger und richtiger Schritt, den Klimawandel und den Verbrauch von Ressourcen zu stoppen?

Dr. Christian Bergs neues Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch? Wie wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln“ ist ein aktueller Club of Rome-Bericht und wurde zudem von der Friedrich-Ebert-Stiftung 2021 für die Auszeichnung „Das politische Buch“ nominiert.

Dr. Christian Berg: Natürlich! Das ist sehr zu begrüßen. Allerdings muss man immer genau hinschauen bzw. nachfragen, was sich dahinter verbirgt, denn leider ist Greenwashing immer noch sehr verbreitet. Der Verdacht auf Greenwashing ist zum Beispiel immer dann angebracht, wenn die kommunizierte „Leistung“ wenig oder gar nichts mit dem Kerngeschäft zu tun hat.
Auch mit dem Begriff der „Klimaneutralität“ sollte man aus meiner Sicht vorsichtig umgehen. Sehr unglaubwürdig wäre zum Beispiel, wenn man seine Emissionen einfach kompensiert, aber sonst alles beim Alten belässt, nach dem Motto: Wir verursachen x Tonnen Treibhausgase und kaufen für genau diese Menge entsprechende Zertifikate, betreiben das Unternehmen aber ansonsten völlig unverändert. Kompensation kann immer nur das letzte Mittel sein – für den Teil der Emissionen, der nach derzeitigem Stand der Technik nicht vermieden werden kann Der Dreisatz lautet also: Erstens Energieverbräuche reduzieren; zweitens fossile Energieträger durch erneuerbare ersetzen; und erst drittens, den unvermeidlichen Rest kompensieren.

 

m&w: Was müsste getan werden, um eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit noch intensiver und schneller in der Wirtschaft umzusetzen?

Dr. Christian Berg: Das kommt ganz drauf an, wen man fragt bzw. an welchen Akteur man denkt. Die Transformation erfordert, dass alle sich so rasch wie möglich engagiert einbringen. Die drei zentralen sind sicherlich die Unternehmen selbst, die Politik und die Verbraucherinnen und Verbraucher.Für Unternehm
en ist das schwer pauschal zu beantworten, weil es je nach Branche, Größe und Rechtsform ganz unterschiedliche Voraussetzungen gibt.
Vergleichsweise leicht umzusetzen sind Maßnahmen in Unternehmen, die von den Gesellschaftern geführt werden – wobei natürlich auch dort die Investitionskosten immer ein Thema sind. Aber meine Erfahrung ist, dass gerade Familienunternehmen eher in Dekaden denken als in Quartalen – und auf lange Sicht sind viele Maßnahmen der Nachhaltigkeit einfach auch rentabler.
Ich kenne Unternehmen, die schon vor Jahren begonnen haben, ihre komplette Energieversorgung auf selbst produzierte erneuerbare Energien umzustellen – mithilfe von Solarzellen, Solarthermie, Biogasanlagen, zum Teil sogar eigenen Windrädern. Das hat natürlich Investitionen erfordert und die Gewinnmarge geschmälert. Aber das war der Preis – nicht nur für Klimaneutralität (hier passt der Begriff!), sondern auch für die eigene energetische Unabhängigkeit, die viele Unternehmen heute gerne hätten.
Auch für andere Unternehmensformen ist die Energieversorgung sicher ein zentraler Bereich, bei dem rasches Handeln erforderlich ist. Es gibt zum Beispiel so viel ungenutzte Dach- oder Parkplatzflächen, die mit Solarpanelen ausgestattet werden könnten.
In der Politik muss dafür gesorgt werden, dass die in letzter Zeit so oft beschworene Beschleunigung der Genehmigungsverfahren endlich in der Praxis ankommt. Das wird auch erfordern, dass viele Interessengruppen mal über ihren Schatten springen müssen. Das ist aber im Sinne der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, vor denen wir stehen, auch in Ordnung. Die Politik sollte das entsprechend kommunikativ begleiten.
Schließlich zum dritten Bereich, dem Markt, der sich in vielen Bereichen schon sehr dynamisch entwickelt, zum Teil ist die Nachfrage schon größer als das Angebot. Große Umsatzsteigerungen gibt es etwa bei Fleischersatzprodukten, bei vegetarischen und veganen Lebensmitteln. Auch steigt die Nachfrage nach erneuerbaren Energiesystemen wie Wärmepumpen oder PV-Anlagen und im Bereich der energetischen Gebäudesanierung.

 

m&w: Inwiefern müssen Unternehmen umdenken, wenn es darum geht, das wirtschaftliche Handeln stärker in den Dienst des „Allgemeinwohls“ zu stellen.

Dr. Christian Berg: Unternehmen haben heute in der Tat eine andere gesellschaftliche Rolle als früher – ihnen wird erheblich mehr Verantwortung zugeschrieben, auch für Belange des Gemeinwohls. Und das ist aus meiner Sicht gut so und nötig! Warum sollen Unternehmen nur nach finanziellen Kennzahlen beurteilt werden? Wenn gute Renditen erzielt und an die Anteilseigner ausbezahlt werden, dabei aber ökologisches und /oder soziales Kapital zerstört wird, werden Gewinne privatisiert und den Schaden trägt die Gesellschaft bzw. künftige Generationen. Es wird immer klarer erkennbar, dass das untragbar ist. Das erkennen nicht nur Aktivistinnen und Demonstranten, sondern auch Gerichte (vgl. Urteil des BVerfG vom April 2021), die Politik (Stichwort Europäischer Grüner Deal) und die mögliche künftige Belegschaft. Der Arbeitsmarkt hat sich längst zu einem Arbeitgebermarkt entwickelt und viele jungen Menschen wollen wissen, ob sie mit ihrem künftigen Job die gesellschaftlichen Herausforderungen zu adressieren helfen oder diese verschlimmern.

 

m&w: Die vielen aktuellen Krisen belasten die Wirtschaft und setzen diese unter Druck. Könnte diese Situation auch dazu führen, das Unternehmen gezielt neue Lösungen suchen und so innovative Produkten entwickeln?  

Dr. Christian Berg: Genau das! Schon das Sprichwort sagt: Not macht erfinderisch! Natürlich ist das kein Selbstläufer – es kostet Anstrengungen, erfordert Investitionen, ist mit Rückschlägen und Hindernissen verbunden. Aber genau das macht doch diejenigen nur stärker, die diesen Prozess erfolgreich durchlaufen haben.

m&w: Können Sie ein Beispiel nennen, das zeigt, wie Nachhaltigkeit in der Praxis zu Innovation und Prozessoptimierungen geführt hat.

Dr. Christian Berg: Ja und nein – es gibt hier so unzählige Beispiele, dass ich ungern eines oder zwei herauspicken möchte. Aber wer mit offenen Augen durch die Welt läuft, die Entwicklungen in der eigenen Branche verfolgt, dem wird das nicht entgehen. Wer dann noch Nachhilfe braucht, kann sich gerne an mich wenden.  

KONTEXT
Christian Berg beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit: In der Wirtschaft hat er dieses Thema viele Jahre in der Managementberatung der SAP verantwortet. Er ist Mitglied im Anlageausschuss der GLS Bank und arbeitet als Keynote Speaker und Coach für unternehmerische Nachhaltigkeit. In Forschung und Lehre ist er als Honorarprofessor für Nachhaltigkeit und globalen Wandel an der Technischen Universität Clausthal und Gastprofessor für Corporate Sustainability an der Universität des Saarlandes tätig. In der Zivilgesellschaft engagiert er sich für den Club of Rome, dessen deutschen Präsidium er angehört. Studiert hat Christian Berg Physik, Philosophie und Theologie, promoviert hat er in Systematischer Theologie und Ingenieurwissenschaften.

Weitere Informationen: www.christianberg.net 

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