Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt mittlerweile Unternehmen verschiedenster Branchen und Größen. Was ist sinnvoll und gilt die Maxime, je mehr Maßnahmen desto besser? Dr. Sebastian A. Tideman erklärt, wann und warum sich die Investition in Nachhaltigkeit für Unternehmen auszahlt.
m&w: In der öffentlichen Wahrnehmung und im politischen Diskurs spielt das Thema Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Erderwärmung, zunehmende Unwetterkatastrophen und spürbare Ressourcenknappheit verlangen Handlungsbereitschaft – auch von Unternehmen. Investieren deutsche Unternehmen genug in Nachhaltigkeit? Und wo stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern?
Dr. Sebastian A. Tideman: In Bezug auf die Nachhaltigkeitsinvestitionen deutscher Unternehmen lässt sich sagen, dass es hier noch viel Potenzial für Verbesserungen gibt. Während Deutschland im internationalen Vergleich insgesamt gut aufgestellt ist, gibt es dennoch Branchen wie die Automobilindustrie und die Landwirtschaft, die im internationalen Vergleich noch erheblichen Nachholbedarf haben. Zwar haben viele Unternehmen Nachhaltigkeitsziele formuliert, aber diese sind oft zu wenig ambitioniert und es wird auch noch zu wenig in deren Umsetzung investiert. Transparente Berichterstattung und unabhängige Überprüfungen können hier helfen, sicherzustellen, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsziele tatsächlich erreichen und sich weiterhin auf diesem Gebiet verbessern.
m&w: Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?
Dr. Sebastian A. Tideman: Nachhaltigkeit bedeutet für mich, wirtschaftliche Profitabilität, soziale Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit langfristig in Einklang zu bringen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Nachhaltigkeit auf die langfristige Ausrichtung der Maßnahmen abzielt. Oftmals erfordern nachhaltige Entscheidungen zunächst höhere Investitionen, die kurzfristig nicht mit entsprechenden Einnahmen korrespondieren. Erst langfristig ergeben sich vorteilhafte Effekte, wie beispielsweise Reputationsgewinne oder Emissionseinsparungen, die sich finanziell lohnen und das langfristige Fortbestehen des Unternehmens sichern. Zusätzlich sollten Unternehmen nicht nur ihre eigenen Aktivitäten betrachten, sondern auch ihre Lieferketten und Geschäftspartner einbeziehen, um sicherzustellen, dass auch dort Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden. Die Balance von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Dimension ist dabei ebenso von Bedeutung wie die Wahrung der Möglichkeiten zukünftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
m&w: Warum wird es für Unternehmen immer wichtiger, sich nachhaltig aufzustellen?
Dr. Sebastian A. Tideman: Erstens gibt es immer mehr regulatorische Anforderungen auf nationaler und internationaler Ebene, die Unternehmen verpflichten, nachhaltiger zu agieren. Zweitens verändern sich die Kundenbedürfnisse und immer mehr Konsumenten bevorzugen umweltfreundliche und nachhaltige Produkte und Dienstleistungen. Unternehmen, die nicht auf diese Entwicklung reagieren, können Marktanteile und Umsatz verlieren. Drittens können nachhaltige Unternehmen eine bessere Reputation genießen, was sich positiv auf die Kundenbindung, Mitarbeitermotivation und Investoreninteresse auswirkt. Schließlich können nachhaltige Praktiken auch Kosteneinsparungen bringen, zum Beispiel durch effiziente Energienutzung, Reduzierung von Abfall und Emissionen sowie Implementierung von ressourcenschonenden Prozessen, was die Betriebskosten senken und die Rentabilität des Unternehmens steigern kann.
m&w: Sie betonen, „Je mehr Nachhaltigkeit, desto besser“ greift zu kurz. Können Sie diese Aussage konkretisieren?
Dr. Sebastian A. Tideman: Die Aussage „Je mehr Nachhaltigkeit, desto besser” ist in der Tat zu simpel gedacht. Tatsächlich ist die Beziehung zwischen dem Grad der Nachhaltigkeit und dem daraus resultierenden Nutzen nicht linear. Vielmehr gibt es ein optimales Niveau der Nachhaltigkeit, bei dem die Grenzkosten und der Grenznutzen identisch sind. Unternehmen, die weniger als optimal investieren, versäumen es, profitablere Nachhaltigkeitsprojekte umzusetzen, während Unternehmen, die mehr als optimal investieren, unnötige Kosten auf sich nehmen.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie (Kerstin Lopatta, Felix Canitz & Sebastian Andreas Tideman (2022) Abnormal CSR and Financial Performance, European Accounting Review, https://doi.org/10.1080/09638180.2022.2084134) zeigen wir empirisch, dass die profitabelsten Unternehmen diejenigen sind, die sich nahe an ihrem individuellen Optimum bewegen. Um das optimale Niveau zu finden, sollten Unternehmen sich auf besonders relevante Nachhaltigkeitsmaßnahmen konzentrieren und dabei die Investitionen ihrer Wettbewerber und die Reaktionen von Investoren, Kunden und anderen Stakeholdern berücksichtigen.
m&w: Wie lässt sich feststellen, welche Investitionen in Nachhaltigkeitsmaßnahmen einen optimalen Nutzen bringen bzw. wann können sie sogar ökonomisch ineffizient sein?
Dr. Sebastian A. Tideman: Um konkrete Informationen zu erhalten, ist eine umfassende Analyse erforderlich. Ein guter Ausgangspunkt ist die Untersuchung der Nachhaltigkeitsinvestitionen von Wettbewerbern sowie die Reaktionen von Investoren, Kunden und anderen Stakeholdern auf diese Maßnahmen. Viele Nachhaltigkeitsmaßnahmen sind komplex und die Implementierung bringt oftmals Herausforderungen mit sich. Daher ist es ratsam, sich auf besonders relevante Maßnahmen zu konzentrieren, anstatt zu viele Maßnahmen gleichzeitig umzusetzen. In der Vergangenheit haben Unternehmen, die zu schnell zu viel wollten, oft negative Kapitalmarktreaktionen erfahren. Es besteht die Befürchtung, dass diese Unternehmen ihr Kerngeschäft vernachlässigen oder überfordert sind.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Nachhaltigkeitsmaßnahmen anhand ihrer Kosten und des erwarteten Nutzens zu bewerten. Es ist wichtig, dass die Kosten transparent und vollständig erfasst werden, einschließlich der kurzfristigen und langfristigen Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens. Eine angemessene Risikobewertung und die Identifizierung von potenziellen unvorhergesehenen Konsequenzen sind ebenfalls von Bedeutung.
m&w: Wie können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsperformance erfolgreich darstellen und dokumentieren?
Dr. Sebastian A. Tideman: Es ist wichtig, klare und messbare Ziele zu benennen und relevante Kennzahlen zu identifizieren. Gleichzeitig sollten Unternehmen eine transparente Kommunikation anstreben, die auch komplexe Aspekte, wie langfristige und indirekte Nutzen von Nachhaltigkeitsmaßnahmen, benennt. Eine glaubwürdige Kapitalmarktkommunikation sollte Herausforderungen, Ungewissheiten und Schwierigkeiten offenlegen. Nur so sind Investoren und weitere Stakeholder in der Lage, die Nachhaltigkeitsinvestitionen eines Unternehmens angemessen zu bewerten. Eine fundamentale Herausforderung besteht darin, relevante Nachhaltigkeitsmaßnahmen valide zu messen. Besonders multinationale Unternehmen mit komplexen Lieferkettenstrukturen stehen oft vor der Herausforderung, dass gewisse Daten, wie zum Beispiel zum Materialverbrauch und zu den Emissionen, für Zulieferer in den frühen Stufen des Wertschöpfungsprozesses nur rudimentär vorhanden sind und oft ohne hinreichende Kontrollmechanismen sind, was die Datenqualität und -validität fragwürdig macht.
Gleichzeitig besteht jedoch auch Druck seitens der Investoren, Nachhaltigkeitsinvestitionen zu erklären. Die Kosten, wie zum Beispiel für die Emissionsreduzierung oder die Installation bzw. Anschaffung nachhaltiger Produktionstechnik, sind oft leicht erkennbar, fallen kurzfristig an und sind mit einem unmittelbaren Abfluss von Kapital verbunden. Der Nutzen hingegen ist häufig vielfältig, indirekt, schwer zu quantifizieren und entfaltet sich erst mittel- und langfristig vollständig.
m&w: Einige Experten betonen, dass Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit künftig identisch sind. Teilen Sie diese Meinung und was bedeutet das für Investitionen in nachhaltige Maßnahmen?
Dr. Sebastian A. Tideman: Das Argument greift zu kurz. Zunächst einmal: Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit sind zunehmend eng miteinander verbunden, und mit weiterem Regulierungsdruck, staatlichen Vorschriften und Anreizen sowie Ansprüchen diverser Stakeholder (etwa von Kunden hinsichtlich nachhaltiger Produkte) dürfte dieser Trend anhalten. Es ist also durchaus absehbar, dass finanzielle und nicht-finanzielle Performance mehr und mehr voneinander abhängen und sich Nachhaltigkeit (aus einer rein monetären Perspektive) zunehmend lohnt.
Es bleiben jedoch auch Trade-offs bestehen: Kurzfristig kann es teurer sein, nachhaltige Maßnahmen umzusetzen, und in einigen Branchen gibt es möglicherweise keine Anreize für umweltfreundliche Produkte, sodass Nachhaltigkeitsinvestitionen letztendlich nicht profitabel sind, insbesondere wenn nicht-nachhaltige Produkte oder Produktionstechniken viel günstiger sind als nachhaltige. Unternehmen müssen also sorgfältig abwägen, welche Maßnahmen im besten Interesse ihres Geschäfts und der Gesellschaft sind, um sowohl kurzfristige als auch langfristige Ziele zu erreichen.
Global lassen sich weitere Herausforderungen feststellen. Insbesondere in den USA findet eine zunehmende Politisierung statt – manche Politiker, Kunden und weitere Stakeholder bestrafen Unternehmen (etwa durch Boykott), wenn diese sich zu sehr auf Nachhaltigkeit fokussieren. Das Resultat ist ein spannendes Phänomen: Einerseits veröffentlichen mehr und mehr Unternehmen in den USA Daten zu ihren CO2-Emissionen, gleichzeitig verzichten Manager oft öffentlich darauf, zu sehr zu Nachhaltigkeitsaspekten ihrer Unternehmen zu sprechen (sogenanntes „green-hushing”).