Psychologische Krisenbewältigung: „Nicht schweigen, sondern kommunizieren“

Katharina Lochner, Professorin für Wirtschaftspsychologie: „Es ist wichtig, sich mit jemandem auszutauschen, dem man ehrlich sagen kann, was einen gerade bewegt.“ (Foto: Sebastian Blesel)

Werden Menschen mit einer Situation konfrontiert, die sie selbst nicht bewältigen können, führt das oftmals zum Verlust des inneren Gleichgewichts. Katharina Lochner, Professorin für Wirtschaftspsychologie und Expertin für Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie an der University of Applied Sciences Europe (UE), über Druck und emotionale Belastung in Krisenzeiten und wie man sie bewältigen kann.

m&w: Frau Prof. Lochner, die aktuelle Pandemie versetzt uns alle in eine Ausnahmesituation, warum belastet die Corona-Krise die Menschen? 

Prof. Katharina Lochner: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zunächst einmal ist da die Unsicherheit. Wir wissen nicht, wie lange der Zustand so bleibt wie er ist. Wir wissen nicht, wie es hinterher mit der Wirtschaft weitergeht. Die meisten Menschen können nicht gut mit Unsicherheit umgehen, zumal sie hier auch noch in vielen Bereichen gleichzeitig auftritt – privat, beruflich, finanziell. Hinzu kommt das Kontaktverbot. Wir Menschen sind soziale Wesen. Persönliche Kontakte sind wichtig, und diese schließen auch körperliche Nähe ein. Aus der Forschung wissen wir, dass die ein wichtiger Faktor für unser Wohlbefinden ist. Außerdem sind für viele noch aktuelle Belastungen vorhanden. Sie arbeiten im Homeoffice und haben die Kinder zu Hause, damit können sie weder den Kindern noch der Arbeit gerecht werden. Oder sie haben pflegebedürftige Angehörige, die im Pflegeheim leben und die sie nicht besuchen dürfen, mit denen sie aber beispielsweise wegen Demenz vielleicht sogar noch nicht einmal telefonisch Kontakt halten können. Im engeren Kreis der Familie, also in dem Kreis der Menschen, mit denen man zusammenlebt, kann es zudem verstärkt zu Konflikten kommen, da man keine Möglichkeit hat, sich gegenseitig auszuweichen.

m&w: Aber nicht alle gehen damit gleich um….

Prof. Katharina Lochner: Es gibt natürlich Unterschiede, wie stark Menschen betroffen sind. Die einen haben vielleicht ihren Job verloren und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Die anderen haben die bereits erwähnten Mehrbelastungen. Andere dagegen mögen zumindest aktuell kaum betroffen sein, beispielsweise Menschen, die keine kleinen Kinder zu Hause haben und / oder deren Arbeit und damit deren Einkommen durch die Krise nicht geschmälert ist. Aber unabhängig davon gehen Menschen natürlich auch sehr verschieden mit derartigen Krisen um. Die einen haben trotz Kontaktverbots ein unterstützendes soziales Umfeld, mit dem sie Kontakt halten und sich austauschen können. Soziale Unterstützung ist umfangreicher Forschung zufolge ein wichtiger Faktor im Umgang mit Stress. Zudem können manche Menschen mit dem Alleinsein besser umgehen als andere, sie können sich ihre Tage strukturieren, haben genügend Aktivitäten, können mit sich selbst sein. Auf der anderen Seite sind dann da Menschen, die bereits vor der Krise psychisch labil waren, die nicht gut mit sich alleine sein können, die vielleicht kein soziales Umfeld haben, das sie unterstützt. Diese Menschen leiden besonders unter der aktuellen Situation.

m&w: Ist damit zu rechnen, dass zum Beispiel Depressionen oder andere Erkrankungen zunehmen werden?

Prof. Katharina Lochner: Ich denke schon. Durch soziale Isolation und Einsamkeit kann es vermehrt zu Depressionen kommen. Auch die psychische Belastung durch Stress und Ungewissheit kann zu einem Anstieg diverser psychischer Erkrankungen führen, gerade hier auch Depression und möglicherweise auch Angststörungen. Auch könnte ich mir vorstellen, dass es gerade bei Kindern, die zu Hause vermehrt körperliche und seelische Gewalt erfahren und die dem nicht durch Schule oder Kita ausweichen können, vermehrt zu Traumatisierungen und entsprechenden Folgeerscheinungen kommen kann.

m&w: Besonders Unternehmer sind jetzt einem großen Druck ausgesetzt. Auf der einen Seite erscheint die wirtschaftliche Situation für viele bedrohlich, dazu kommt die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eventuell zukünftig nicht weiter beschäftigt werden können. Wie ist mit dem Druck und der emotionalen Belastung am besten umzugehen?

Prof. Katharina Lochner: Auch hier ist die soziale Unterstützung als wichtiger Faktor zu nennen. Es sollte jemanden geben, mit dem man sich austauschen kann. Als Führungskraft ist das natürlich kein Mitarbeiter, aber vielleicht Führungskräfte auf der gleichen Ebene, der Mitgeschäftsführer, die Mitgeschäftsführerin, vielleicht ein Coach. Auch Familie und Freunde können zur Stabilisierung beitragen. Dennoch ist Ehrlichkeit und Transparenz gegenüber den Mitarbeitern wichtig. Man sollte die Lage weder beschönigen noch komplett zu allem schweigen, sondern kommunizieren, was los ist. Und aufzeigen, was man unternimmt, um die Firma und die Mitarbeiter zu unterstützen. So kann man dann auch deren Unterstützung einholen.

m&w: Angst, Panik, Erstarrung… viele reagieren nach diesem Muster, wenn sie überfordert sind. Was raten Sie Menschen in Krisensituationen und in Führungsverantwortung, wie sie mit schwierigen Entscheidungen bzw. Sorgen umgehen können?

Prof. Katharina Lochner: Zunächst einmal, das kommt aus der Forschung zur Achtsamkeit, anerkennen, dass diese Emotionen da sind, sie nicht wegschieben, sondern hinschauen. Schwierige Entscheidungen sollte man dann nicht aus der Emotion heraus treffen. Und auch hier ist es wichtig, sich mit jemandem auszutauschen, dem man ehrlich sagen kann, was einen gerade bewegt. Gemeinsam nach Lösungen suchen. Bei der Lösungsfindung kann man auch die Mitarbeiter mit einbeziehen. Wie bereits gesagt, wenn man ein Gefühl des Zusammenhalts erzeugt, dass alle gemeinsam versuchen das Problem zu lösen, dass alle Opfer bringen, kommen vielleicht Lösungen, auf die man alleine nicht gekommen wäre, weil man als Führungskraft an vielen Themen ja nicht so nahe dran ist wie die Mitarbeiter. Trotzdem kann es natürlich passieren, dass man beispielsweise Entlassungen kommunizieren muss. Auch darüber sollte dann offen, transparent und wertschätzend mit den Mitarbeitern gesprochen werden.

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