Digitalisierung der Bildung
Dr. Emmanuel Siregar, Arbeitsdirektor der CLAAS KGaA mbH und Generalbevollmächtigter Personal der CLAAS Gruppe sowie Beisitzer im Präsidium des Bundesverband der Personalmanager (BPM), über die Chancen digitalen Lernens und was das für die Unternehmen bedeutet.
m&w: Herr Dr. Siregar, die Corona-Pandemie hat eindrucksvoll gezeigt, wo es hakt: Fehlende digitale Plattformen für Mitarbeiter, Schüler ohne Zugang zu Rechnern, Unklarheiten beim Lernstoff, größere soziale Ungleichheiten… Ist jetzt der Durchbruch auf dem Weg in die „Digitalisierung der Bildung“ geschafft?
Dr. Emmanuel Siregar: Die Corona-Pandemie hat das Verhältnis von Präsenz- und Distanzlernen auf den Kopf gestellt: Vor der Corona-Pandemie lag der Fokus darauf, digitale Medien und Lernkonzepte als Ergänzung für Präsenzformate zu etablieren. Mit der Corona-Pandemie wurde der Fokus schlagartig darauf verlagert, alle Inhalte und Formate des Lernens auf ihre Digitalisierungsfähigkeit zu prüfen und digital nutzbar zu machen – Präsenzformate sind nicht mehr möglich gewesen.
Durch die Verschiebung dieses Fokus wurde sichtbar, welche Herausforderungen wir heute, aber auch in den nächsten Jahren, meistern müssen. Es entstand, teilweise sehr einschneidend, ein Bewusstsein für die Digitalisierung. Dieses Bewusstsein ist ein initialer Durchbruch der „Digitalisierung der Bildung“. Um weitere Erfolge zu erreichen, muss jedoch konsequent an dem Veränderungsprozess weitergearbeitet werden.
Sinnvolle Digitalisierung bildet Mehrwert und Synergien an notwendigen Stellen und vereinfacht dadurch den Schul- und Arbeitsalltag. Wir haben in den vergangenen Monaten die Erfahrung gemacht, dass auch andere Bestandteile des Alltags, wie zum Beispiel das Netzwerken, nicht 1:1 digitalisierbar sind und kreativer Lösungen bedürfen.
m&w: Welche Anforderungen stellt denn die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt an die Arbeitnehmer bzw. an Menschen, die sich beruflich (weiter) qualifizieren?
Dr. Emmanuel Siregar: Digitalisierung ist mehr denn je integraler Bestandteil des Alltags. Dies bringt neue Anforderungen im schulischen und beruflichen Alltag mit sich: Durch eine digitale, dezentrale Arbeitsweise bekommt der Arbeitnehmer zunehmend Eigenverantwortung und muss mehr Eigeninitiative zeigen. Er muss bereit sein, Veränderungen hin zu digitalen Inhalten und Prozessen mitzutragen.
Viele Lehrkräfte, Mitarbeiter und Führungskräfte werden während der Corona-Pandemie ins kalte Wasser geworfen: Digitalisierung und neue Formen des Lernens auf Distanz finden sich nicht in den derzeitigen Lehrplänen wider. Hier gilt es, mit Weiterbildungskonzepten das Know-how in diesen Bereichen zu stärken.
Die Differenzierung zwischen beruflichen und privaten Themen muss zum Beispiel auch im Homeoffice möglich sein.
m&w: Wo liegen Ihrer Ansicht nach die besonderen Vorteile einer „Digitalisierung der Bildung“ und welche Zielgruppen können davon profitieren?
Dr. Emmanuel Siregar: Die Digitalisierung ermöglicht Lernenden, je nach Wissensstand, eine gezielte, differenzierte Förderung. Lernen könnte zudem, zum Ausbau der individuellen Interessen und Kompetenzen des Lernenden, maßgeschneidert ausgebaut werden. Viele Schulen und Unternehmen haben bereits gute Erfahrungen mit Serious Gaming Ansätzen gemacht. Diese können beispielsweise durch ein breit gefächertes und differenziertes Lernangebot, in Form von Inhalten, die nach Pflicht- und Interessensbereichen gegliedert sind, gefördert werden.
Lehrende bekommen auf Lernplattformen ein direktes, messbares Feedback: Welcher Lernende hat was wann gemacht und welche Themen sind außerdem interessant? Welche Inhalte wurden gut verstanden und wo gibt es Nachholbedarf?
Durch konsequentes Pflegen von Wissensdatenbanken und Lernplattformen kann Wissen gemeinsam aufgebaut werden. Dies führt dazu, dass viele Zielgruppen Zugriff darauf haben und Lösungen auch international nutzbar und skalierbar werden. Dies kann eine Verringerung der sozialen Ungleichheit und eine Förderung von vorher unerkannten Potentialen mit sich bringen.
Die Digitalisierung soll die Wissensvermittlung unterstützen, vereinfachen und nicht komplizierter machen. Digitalisierung in der Bildung ermöglicht auch die Vermittlung von stets aktuellen Themen von weltweit anerkannten Experten.
m&w: Kritiker einer zunehmenden digitalen Ausrichtung der Bildungslandschaft bringen es auf den Punkt: „Pädagogik vor Technik”. Ist digitale Bildung der Schlüssel zum Erfolg?
Dr. Emmanuel Siregar: Man hat Digitalisierung richtiggemacht, wenn sie Lernende und Lehrende entlastet. Pädagogik soll in einer digitalisierten Bildungslandschaft nicht hinter die Technik gestellt werden. Vielmehr soll durch Technik gezieltere, individuellere und dadurch bessere Förderung des Einzelnen im Vordergrund stehen. Wenn jeder Zugang zu digitalen Medien hat, kann durch diese unterstützende Digitalisierung soziale Ungleichheiten verringert werden. In dieser Form kann sie ein wichtiger Erfolgsfaktor bei der Ausrichtung der Bildungslandschaft sein. Gerade bei jüngeren Generationen ist es wichtig, dass analoge Denkweisen, sowie die Vorstellungskraft und Kreativität gefördert werden. Das Lernen mit den Sinnen kann durch digitale Medien nicht ersetzt werden. Ebenso wird die Motorik nicht hinreichend durch das Wischen auf dem Tablet ausgeprägt. Technik ersetzt zudem nicht das direkte Kommunizieren untereinander und das gemeinsame Erarbeiten von Themen.
m&w: Werden die digitalen Bildungsangebote hinreichend angenommen?
Dr. Emmanuel Siregar: Lebenslanges Lernen und somit stetige Weiterbildung, wird von vielen in der Gesellschaft bereits gelebt. Dies gilt nicht nur im Unternehmenskontext, sondern auch immer mehr in privaten Bereichen.Bei CLAAS arbeiten wir eng mit Schulen zusammen, um ein attraktives Bildungsangebot für Schüler im Rahmen ihres Unterrichts zu gestalten. Digitalisierungsformate, wie das systemische Programmieren mit Make Block oder auch CAD Modellierung, der Einsatz von Cobots und 3D Druck werden den Schülern beigebracht. So können die Schüler kreative Ideen entwickeln, diese mit Hilfe eines CAD Programmes modellieren und mittels 3D Druck greifbar machen. In den Schulen werden die Prüfungen auf diese praxisbezogenen Elemente ausgerichtet und somit nicht nur theoretisches Wissen abgefragt. Unsere Mitarbeiter werden zu Trainern für Schüler und Lehrer und können ihr praktisches Wissen einbringen. Dieser Schulterschluss aus schulischer Bildung, gekoppelt mit neuen Technologien und dem Know-how von CLAAS führt dazu, dass Schüler und Lehrer die Angst vor der Digitalisierung in weiten Teilen ablegen und mit einem praxisbezogenen Mehrwert verknüpfen.
Im Bereich der überfachlichen Kompetenzen haben wir ca. 50 Prozent des Präsenzlernens kurzfristig auf virtuelle Formate umgestellt. Darüber hinaus wurden weitere digitale Angebote geschaffen. Dazu gehören zum Beispiel E-Learnings und ein Learning Blog rund um die Themen virtuelles Führen, Arbeiten im Homeoffice und Remote-Teamarbeit. Die Resonanz aus der Organisation ist überraschend positiv und sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende zeigen eine hohe Offenheit. Vorteile wie die leichtere Integrierbarkeit in den Arbeitsalltag, geringere Reiseaufwände sowie internationalere Ausrichtung der virtuellen Umsetzung führen dazu, dass digitale und virtuelle Angebote nicht länger als „Notfall-Lösung“ gesehen werden.
m&w: Was hält Menschen, die eigentlich den größten Bedarf an Weiterbildung haben, davon ab, konkrete Angebote zu nutzen? Wo sehen Sie die größten Hindernisse oder Berührungsängste?
Dr. Emmanuel Siregar: Es sind die alltäglichen Hindernisse, wie eine hohe Belastung bei der Arbeit und im Privaten, die Mitarbeiter daran hindern, konkrete Angebote zu nutzen. Aber auch einfache Hürden wie das Überangebot, wenig individualisierte Bildungsangebote oder auch sprachliche Barrieren. Sinnvoll eingesetzte Digitalisierung soll dabei helfen, Hindernisse abzubauen.
Die Erfolgsaussichten von digitalen Bildungsangeboten in Unternehmen hängen von unterschiedlichen Faktoren ab: Einerseits muss der Mitarbeiter ein offenes Mindset gegenüber dem Bildungsangebot haben. Dies hängt neben individuellen Präferenzen stark von der Lernkultur und dem Umgang der Führungskräfte mit digitalen Lernen ab. Andererseits müssen die Bildungsangebote unternehmenszentriert, aber auch zielgruppenspezifisch gestaltet sein. Die Verfügbarkeit und Transparenz des Bildungsangebotes sind zudem wichtige Schlüsselfaktoren, um eine hohe Nachfrage des Bildungsangebots zu generieren.