Wissen ist an Leistungsfähigkeit, Intelligenz, Erfahrung und soziale Kompetenzen jedes Einzelnen gebunden. Was Jahrtausende Gültigkeit hatte, gerät nun ins Wanken und verliert an Bedeutung. Der Mensch erschafft zunehmend digitale Strukturen und damit eine künstliche Welt mit weitreichenden Veränderungen für Unternehmen und Gesellschaft.
Mit Sensoren ausgestattete Maschinen erfassen Daten und melden, wann sie gewartet werden müssen. Das ist schon lange keine Zukunftsmusik mehr. In der Bäckerei sind Algorithmen im Einsatz, die präzise genau errechnen, wie viele Backwaren produziert werden müssen, damit am Ende des Tages die Regale leer sind und nichts weggeworfen wird. „In unserer digitalen Welt schaffen wir uns selbst Koordinaten mit Messgeräten, Algorithmen und vermuteten Zusammenhängen oder Zusammenhängen, die sich aus großen intelligent ausgewerteten Datenmengen ergeben, die wir vorher nicht kannten“, sagt Dr. Klaus Rosenthal, Professor an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paderborn.
Ein digital geführtes Unternehmen braucht zwangsläufig neue Wissensstrukturen. Diese Entwicklung ist die eigentliche Challenge, auf die Unternehmen reagieren müssen
Die permanente Generierung von Daten durch das Internet und die sozialen Medien führe zu einer enormen Akkumulation von Wissen, das sich vom Menschen weg in eine Welt verlagere, die wir vermeintlich zu kennen glaubten. Das ist eine Entwicklung, die es in der Menschheitsgeschichte bisher noch nicht gegeben habe und die unzählige Veränderungen ins unserer Lebenswelt mit sich bringe.
Betroffen ist nicht nur jeder Einzelne, auch die Unternehmen werden von dieser Wucht erfasst. Auf deren Führungskräfte, die bisher Entscheidungen auf Basis der analogen und damit sinnlich erlebbaren Welt getroffen haben, kommen damit völlig neue Herausforderungen zu. Ein digital geführtes Unternehmen braucht zwangsläufig neue Wissensstrukturen, die dem alten Erfahrungswissen entgegentreten und dieses stufenweise ablösen. „Diese Entwicklung ist die eigentliche Challenge, auf die Unternehmen reagieren müssen“, sagt Professor Dr. Klaus Rosenthal. Für den Wissenschaftler ergeben sich für die Führungskraft völlig neue Aufgaben, in die er hineinwachsen müsse. „Führen heißt, mit diesen neuen Wissensstrukturen umzugehen und sehr heterogene Kompetenzteams mit kommunikativer Kompetenz zu führen“, so der Wissenschaftler.
In vielen großen Unternehmen ist es heute schon üblich, dass Spezialisten verschiedenster Disziplinen wie Ingenieure, Physiker, Mathematiker, Informatiker und Betriebswirte ihre Köpfe zusammenstecken, gemeinsam digitale Lösungen entwickeln und sich mit neuen Fragestellungen und Strukturen beschäftigen oder neue Algorithmen erarbeiten. Professor Rosenthal: „Der Manager ist hier in anderer Weise als bisher gefragt, weil diese verschiedensten Herausforderungen über seinen gelernten, angestammten Kompetenzhorizont hinausgehen. Das bedeutet, Querschnittswissen wird künftig noch wichtiger werden als heute. Und es kommt entscheidend darauf an, unterschiedliche Wissenshorizonte zusammenzubringen, um das enorme Datenaufkommen zu bewältigen, zu strukturieren und die Daten auszuwerten.“ Der Manager habe hier die entscheidende Aufgabe, Daten zu bewerten, und das auch im ökonomischen Sinne. Diese Art von Wissensstrukturierung werde immer wichtiger, sie trete als zu lösende Führungsaufgabe in den Vordergrund und müsse erst einmal erlernt werden.
Wissen wird der Produktivfaktor schlechthin
Die großen Wissensfirmen wie Google und Facebook machen es uns schon einige Jahre vor und setzen allein auf die Ressource Wissen. „Wir erkennen immer mehr, dass es nicht die Natur ist, die Werte produziert, sondern dass die Auseinandersetzung mit der Natur, der Umgang und die Nutzung von Ressourcen jetzt dominant vom Wissen abhängen. Wissen wird jetzt zum Wertgenerator“, so Dr. Rosenthal. Demenentsprechend müssen sich Führungsmethoden und Blickrichtungen ändern. Dazu ist es notwendig, sich ein Bild darüber zu machen, wohin man will und wie die Navigation im Dschungel des komplexen Wissens aussehen soll. Das ist mühsam, schnelle Antworten gibt es nicht.
Das denkende Bewerten bleibt eine wesentliche Schlüsselkompetenz des Managers, eine Aufgabe, die auch intelligente Maschinen ihm nicht abnehmen können. Von Vorteil sind möglichst viele Fach- und Querschnittskenntnisse aus anderen Disziplinen, um sich einen übergreifenden Horizont zu erarbeiten. „Den selbstfahrenden Manager wie das selbstfahrende Auto wird es nämlich nicht geben“, so Dr. Klaus Rosenthal.
Was eine Führungskraft heute mitbringen muss
Für den Paderborner Wissenschaftler muss sich bereits in der Ausbildung künftiger Führungskräfte etwas verändern. „Selbstverständlich gibt es auch hier kein Patentrezept, dass sich einfach aus der Tasche ziehen lässt“, so Rosenthal, der dem rein faktenbasierten Wissen eine Absage erteilt. „Führungskräfte müssen verstehen, was hinter den Prozessen geschieht und auch die hier zugrundliegenden Methoden besser kennen, nur so können sie sich qualifiziert den Fragestellungen nähern und diese dann auch beurteilen.“ Und da die Spezialisierung uneingeschränkt weitergehe, müsse es eine Person, nämlich die Führungskraft, geben, die das Spezialwissen fokussiert auf konkrete Fragestellungen zusammenfassen kann.
Flexibilität, Aufgeschlossenheit und die Fähigkeit, die Richtung vorzugeben, sind Eigenschaften, die eine Führungskraft mitbringen muss. „Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen ziellos experimentiert, ständig an seinen Zielen strickt. Selbstverständlich sind Irrtumsmöglichkeiten erlaubt und Wissen muss auch reversibel gedacht werden können. Aber es braucht eine klare Zielvorgabe. Gerade vor dem Hintergrund, dass sich analoge Horizonte mit klaren Kausalitäten immer mehr auflösen, wird es immer schwieriger, komplexe Zusammenhänge, die mit der Digitalisierung und den damit verbundenen Informationen einhergehen, zu erkennen. Hier ist der Manager gefragt, wissensorientiert zu handeln und Teams zu motivieren.