Verlässt der Unternehmer nach vielen Jahren seinen Betrieb und übergibt ihn an einen Nachfolger, dann sollte er sein Wissen nicht mit in den Ruhestand nehmen. Wie der Wissenstransfer gelingen kann.
Wissen ist Macht – das wusste schon der Philosoph Francis Bacon, der sich im Zeitalter der Aufklärung für den Erwerb von Bildung starkmachte, weil sie den Zugang zu Neuem ermögliche und Einfluss schaffe, schrieb der kluge Denker. Die Wichtigkeit von Wissen für die Gesellschaft und die Wirtschaft hat bis heute nichts von ihrer Bedeutung verloren.
Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen entstehen nur mit hohem Einsatz von Wissen. Es steht wie kaum etwas anderes für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Die betriebliche Wertschöpfung erfolgt durch die Schaffung von Wissenskapital. Wissensvorsprung kann entscheidend sein, um Mitbewerber einzuholen oder zu überflügeln. Auf der anderen Seite kann der Verlust von Wissen die Existenz von Unternehmen gefährden. Umso wichtiger ist es, sich ernsthaft über dessen Erwerb, Aufbau, Optimierung, Pflege und nicht zuletzt über die Weitergabe Gedanken zu machen.
„Wenn das Wissen um Produkte, Kunden, Mitarbeitende, Prozesse, Lieferanten und Netzwerke nicht übergeben wird, dann ist es nicht mehr im Betrieb verfügbar. Dann läuft es nicht mehr rund“, wie Wissensmanagerin Martina Koch erklärt.
Ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für die reibungslose Übergabe der Unternehmensführung sei der Wissenstransfer. Erschreckenderweise machten sich viele Übergebende darüber viel zu wenige Gedanken. „Wissensmanagement klingt groß und kompliziert, ist aber im Alltag einfach zu integrieren. Mit konkreten Tools und Maßnahmen lässt sich wichtiges Wissen identifizieren, teilen und sichern“, sagt die Expertin, die zahlreiche Unternehmen beim Aufbau eines Wissensmanagements und bei Übergabeprozessen begleitet hat und dabei mit verschiedenen Theorien arbeitet.
In der Praxis wird zwischen explizitem organisationalen und implizitem Wissen unterschieden. Zahlen, Daten und Fakten sind in der Regel bestens dokumentiert durch Meeting-Protokolle, Unternehmens- und Erklärvideos oder durch PowerPoint-Präsentationen. Dieses Wissen bleibt im Unternehmen, auch wenn der Inhaber seinen Betrieb verlassen hat. Anders sieht es jedoch mit dem impliziten Wissen aus, das an Personen gebunden ist.
„Hier geht es auch um das viel zitierte Bauchgefühl, über das der Verantwortliche verfügt, wenn er eine Entscheidung fällt. Aber auch Routinen und Erfahrungswissen gehören in diesen Bereich und sie funktionieren, ohne, dass man groß nachdenkt. Sie sind es meistens, die dafür sorgen, dass Prozesse gut laufen, obwohl niemand weiß, warum sie gut laufen“, so die spezialisierte Wissensmanagerin.
Das ist das sogenannte kritische Wissen im Übergabeprozess: „Warum damals eine bestimmte Entscheidung und vor welchem Hintergrund getroffen wurde, ist in der Regel nirgendwo nachzulesen.“
Es gibt nicht den einen Weg, um Wissen im Unternehmen zu erfassen und zu dokumentieren. Und Wissensmanagement ist nicht eine One-Size-fits-all-Lösung. „Die Frage ist, in welche Richtung soll es gehen? Ist es erforderlich, das Wissen eins zu eins weiterzugeben und soll alles dokumentiert werden? Erst danach entscheidet sich, welche Maßnahmen sinnvoll sind“, sagt Martina Koch, die die „Kaffeemaschine“ als ihr Lieblingswissensmanagementtool ausgemacht hat. An diesem Ort werde Wissen ausgetauscht, ohne dass man sich gerade Gedanken darüber mache. Fernab vom Arbeitsplatz spreche man über Erfolge oder Misserfolge und löse gemeinsam Probleme. Und selbstverständlich bietet der Markt natürlich auch längst digitale Tools wie Softwarelösungen, die über verschiedene Dokumenten- und Ablagestrukturen verfügen.
„Erfahrungsgemäß verfügen die meisten Mittelständler über ausreichend Tools für ihr Wissensmanagement. Es mangelt eher an konkreten Strukturen zur Ablage und Nutzung der Inhalte. Wie sind die Dokumente zu benennen, dass sie später auch wieder auffindbar sind? Sind über die regelmäßigen Meetings hinaus Strukturen erforderlich, um intern Kenntnisse weiterzugeben und wie wichtig ist die Initiierung von Lessons-Learned-Prozessen? Das sind eher die Fragestellungen, die einer Klärung bedürfen”, so Martina Koch.
Eine effektive Möglichkeit, um Wissen in kurzer Zeit weiterzugeben, ist die Expert Debriefing-Methode. Der moderierte Wissenstransfer vom Wissensgeber auf den Nachfolger hat das Ziel, explizites und implizites Wissen schnell zu identifizieren und festzulegen, welche Wissensthemen übergeben werden müssen. „Zeitlich aufwendiger ist die Klärung, wie man diese übergibt“, so Martina Koch. Nach Festlegung des Zeitrahmens erfolgt der Aufbau einer persönlichen Wissenslandkarte, die alle Aufgaben und Wissensgebiete, die zu den Rollen des Übergebenden gehören, aufzeigt. Aus der Wissenslandkarte wird ein Maßnahmenplan mit notwendigen Transfermaßnahmen abgeleitet. Das können zum Beispiel moderierte Übergabegespräche, Ansprechpartner- und Dokumentenverzeichnisse sein. Wichtig ist auch, das Netzwerk mit zu übergeben, weiß Martina Koch, weil es weitere Wissensträger enthalte und deshalb seien diese mit Namen und Kontaktdaten zu erfassen.
Ist der künftige Nachfolger bereits im Unternehmen, so kann er selbst seine Wissenslandkarte erstellen, um festzuhalten, welche Informationen ihm bereits vorliegen.
„Beide Landkarten lassen sich übereinanderlegen und so zeigt sich, wo es noch Lücken gibt, wo weiterer Informationsbedarf besteht und welche Form der Weitergabe sinnvoll ist“, sagt Koch.
Oftmals reicht ein Gespräch, manchmal kann ein Mentoring hilfreich sein, um den Prozess gemeinsam zu durchleben. Und in einigen Fällen reicht auch eine schriftliche Dokumentation. Implizites Wissen über Unternehmenskultur und Traditionen wird am besten im persönlichen Austausch übergeben.
Der Umgang mit Wissen und seine Übergabe ist auch von der Größe des Unternehmens abhängig und gilt nicht nur dann, wenn der Inhaber in den Ruhestand eintritt. Wissenserhalt und -übergabe ist ein Dauerthema, weil regelmäßig auch Beschäftigte das Unternehmen verlassen und so im schlimmsten Fall wertvolles Wissen mitnehmen. In kleineren Betrieben tauscht man sich eher direkt aus. In größeren, wo nicht mehr jeder mit jedem sprechen kann, ist es sinnvoll, Strukturen zu schaffen, um sich die Arbeit zu erleichtern, damit jeder zu jeder Zeit über die Informationen verfügt, die notwendig sind. „Die Sicherung von Wissen findet nur statt, wenn dieses abgelegt und dokumentiert wird. Und es muss nicht zwangsläufig verschriftlicht werden. Ebenso empfehlenswert ist es, Wissen in anderen Köpfen zu bewahren und es damit im Team zu halten. Das gelingt am besten im direkten Austausch“, so Martina Koch.
Eine familieninterne Übergabe gestaltet sich anders als eine externe
Ein Übergabeprozess innerhalb der Familie gestaltet sich in der Regel anders als eine externe Übernahme. Bei einem Außenstehenden ist es oftmals einfacher, weil die Kommunikation klarer ist und mögliche Probleme auch einfacher angesprochen werden. In der Familie herrschen oftmals unausgesprochene Glaubenssätze und Grundannahmen, jedes Mitglied weiß, was gemeint ist.
„Kinder kennen ihre Eltern und wissen, wie sie in bestimmten Situationen reagieren. Wenn die Tochter weiß, dass der Papa ins Dreieck springt, wenn sie das Thema anspricht, dann wird sie auch im Nachfolgeprozess nicht darauf eingehen. Bei Übergaben innerhalb der Familie erlebe ich manchmal, dass nicht alle Themen ehrlich auf den Tisch kommen“, so Martina Koch.
Und obwohl es für den neuen Nachfolger sehr wertvoll sein kann, wenn der Übergebende als Wissensträger auch weiterhin zur Verfügung steht und bereit ist, Wissen zu teilen, kann bei einer familieninternen Nachfolge auch Konfliktpotenzial lauern. „Inwieweit traut sich der junge Mensch, neue Wege zu gehen? Jung und Alt verfügen über unterschiedliche Hintergründe, – da stoßen State-of-the-Art-Informationen mit langjähriger Erfahrung aufeinander. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in so einer Situation sinnvoll ist, diese Konflikte erst zu lösen und sich dann dem Thema Wissensmanagement zu stellen.
Das Management von Wissen als festen Bestandteil im Unternehmen zu integrieren, ist für Martina Koch eine Frage der Unternehmenskultur. „Ich höre manchmal von Fällen, wo Spezialisten im stillen Kämmerlein sitzen und ihr Wissen nicht preisgeben, Dokumentationen verschlossen halten, die so niemandem zur Verfügung stehen. Diese Dinge zu thematisieren und bewusst zu machen, wozu Wissen geteilt wird, ist eine wichtige Aufgabe. Allen muss klar sein, dass der Zugang zum Wissen Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg und die Erreichung der Unternehmensziele ist. Genauso klar muss aber auch sein, dass Wissen immer an Menschen gebunden ist. Deshalb gilt es zu schauen, wer involviert ist und ob die Vorgänge zu den Beschäftigten passen.
Es sei meist nur ein Schräubchen mehr, das gedreht werden müsse, es brauche gar keine großen neuen Prozesse, weil Unternehmen sich in Meetings austauschen und Ergebnisse dokumentieren.
„Oftmals mangelt es nur an der Zuweisung von To-dos oder der Festlegung einer Timeline. Mitarbeitergespräche gehören heute zum Alltag, Wissensziele werden jedoch oft nicht definiert. Das zeigt, Unternehmen haben bereits viele funktionierende Prozesse, die müssen nur „noch“ um die Ressource Wissen anreichert werden und schon hat man ein strukturiertes, sinnvolles Wissensmanagement geschaffen.“