Serie: Wissens- und Technologietransfer – Komplexe Prozesse einfach gemacht
In unserer Serie berichtet Prof. Dr. Sebastian Vogt, Geschäftsführer des Technologietransfer- und Existenzgründungs-Center der Universität Paderborn (TecUP), über erfolgreiche Ausgründungen und den Nutzen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Ein gestörtes Kurzzeit- und dann Langzeitgedächtnis, zunehmende Orientierungslosigkeit und der schrittweise Verlust der lebenslang erworbenen Fähigkeiten: eine schreckliche Vorstellung und Tatsache, die besonders häufig Menschen im fortgeschrittenen Alter ab dem 65. Lebensjahr betrifft. Eine Demenzerkrankung ist ein schleichender, aber unaufhaltsamer Prozess – erste Anzeichen können Schlaflosigkeit, depressive Verstimmungen oder leichte Ermüdbarkeit sein. Es gibt weder Arzneimittel noch operative Möglichkeiten, um Demenz zu heilen. Umso wichtiger ist es, geeignete Therapien zu entwickeln und anzuwenden, um den Prozess zu entschleunigen und den Erkrankten bestmögliche Unterstützung zu bieten.
Das Startup Digimenz bietet Betroffenen in einer Tablet-App demenzgerechte Spiele, durch die sie Beschäftigung und mehr Lebensqualität gewinnen. Bei Anwendung der App werden verschiedene kognitive Bereiche trainiert, was den Abbau einzelner Fähigkeiten verlangsamen kann. Durch die Individualisierbarkeit der Anwendungen, die automatische Anpassung im Schwierigkeitsgrad und die Implementierung eines virtuellen Assistenten, hat die App einen therapeutischen Nutzen für Menschen mit Demenz. Zudem werden die generierten Spiel- und Nutzungsdaten gewinnbringend analysiert, um Angehörigen und Ärzten bessere Einblicke in den visualisierten Langzeitkrankheitsverlauf zu ermöglichen – für Angehörige bedeutet das mehr Transparenz und Verständnis für die Krankheit. Ärzte haben erstmals Zugriff auf kontinuierliche Krankheitsdaten, die unter Alltagsbedingungen erfasst wurden und die Behandlung unterstützen. Mit der Innovation von Digimenz könnte also langfristig eine optimierte Behandlung für Menschen mit Demenz gewährleistet werden, was einen Mehrwert für alle Anspruchsgruppen böte und nicht zuletzt das Gesundheitssystem entlaste.
Das interdisziplinäre Gründungsteam besteht aus Franziska Gottwald, Lia-Sophie Krüger und Niclas Stahl, alle Absolventen beziehungsweise Studierende der Universität Paderborn. Unterstützung erhält das Team durch das Gründungszentrum der Universität Paderborn, die garage33. Im zweiwöchigen Turnus nehmen die Gründenden unser Coaching wahr und bekommen ein kostenloses Büro im Technologiepark gestellt. Das Team nutzt unsere Angebotspalette aus Formaten wie dem Top Talent-Programm, dem Gründerinnen-Stammtisch oder auch Workshops zu Themen wie Public Relations, Social Media oder Lego Serious Play Vision. Prof. Dr. Dr. Reinsberger, Facharzt und Dozent für Neurologie, betreut das Team zudem medizinseitig.
Die innovative Geschäftsidee stößt auf viel positive Resonanz und zeigt, dass der Bedarf da ist. Nachdem das Team von August 2021 bis Februar 2022 durch das Gründerstipendium NRW vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes NRW gefördert wurde, erhält es seit Juli eine einjährige Förderung im EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Zuwendung in diesem Programm beträgt insgesamt über 130.000 Euro. Bei unserem alljährlich stattfindenden Ideenwettbewerb „Call for Ideas“ überzeugte das Team bereits 2020 die hochkarätige Jury und belegte den zweiten Platz, ebenso beim „IT4Anxiety Hackathon 2021”. Beim startklar Businessplan-Wettbewerb OWL 2022 kamen sie unter die Top 10- Finalteams.
Als Kooperationspartner steht dem Startup das St. Johannisstift Paderborn zur Seite. Hier führen die Gründenden regelmäßige Tests mit Demenzkranken durch, um ihre Entwicklung zu optimieren. Zudem sind erste Studien mit dem Sportmedizinischem Institut der Universität Paderborn und dem Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld in Planung. Durch die Studie mit dem Sportmedizinischem Institut sollen neue Funktionen zur Verbindung von motorischen und kognitiven Fähigkeiten integriert werden. Des Weiteren sucht das Team neue Pilotkunden und Interessenten über Social Media und über einen Newsletter sowie ihren Blog (www.digimenz.de).
Durch das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer sollen deren Anforderungen eingeholt und das sogenannte Minimum Viable Product (MVP), also ein minimal brauchbares Produkt, iterativ verbessert und angepasst werden. Die Gründung ist für Ende dieses Jahres geplant, ebenso der Launch der App sowie eine Crowdfunding- Kampagne, um weitere finanzielle Mittel zur Unterstützung in der App-Entwicklung zu akquirieren. Außerdem denkt das Team über eine Ansprache von Investoren für weitere finanzielle Unterstützung, über das EXIST Stipendium hinaus, nach.
Mittel- bis langfristig ist die Zertifizierung der App als Medizinprodukt und die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis vorgesehen. Somit könnte die App von Ärzten verschrieben und von Krankenkassen finanziert werden – ein wichtiger Meilenstein, um zukünftig möglicherweise noch mehr Menschen mit Demenz und ihren Pflegenden zu helfen. Durch eine effizientere Versorgung und eine bessere Unterstützung der Angehörigen, sowie wichtige Einblicke für behandelnde Ärzte kann das Gesundheitssystem entlastet werden. Kurzum: Digimenz hilft Pflegenden in Verbindung mit ihren Menschen mit Demenz zu bleiben und unterstützt diese durch wertvolle, individuelle Tipps und Vorschläge für gemeinsame Aktivitäten. Ein tolles und nachhaltiges Projekt.