„Die Zukunftsfähigkeit hängt auch von der Offenheit gegenüber Trends ab“

Frauke Heistermann: “Deutschland hat bei der Infrastruktur als auch bei den Prozessen Nachholbedarf”

Wie gut ist die Logistik für die Zukunft aufgestellt? Welche Lösungen hat sie, um die Herausforderungen Fachkräftemangel, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zu bewältigen? Frauke Heistermann, Sprecherin der Initiative „Die Wirtschaftsmacher“, über die Stärken und Potenziale der Branche.

m&w: Frau Heistermann, Logistikexperten beobachten die Entwicklungen in der Logistik und leiten daraus Tendenzen bzw. Trends ab, die das Potenzial haben, die Logistik in den kommenden Jahren maßgeblich zu verändern. Können Sie die aktuellen Megatrends skizzieren?

Frauke Heistermann: Zu den wichtigsten Zukunftstrends in der Logistik gehören heute insbesondere das Thema Nachhaltigkeit, die Herausforderungen des Fachkräftemangels sowie der Bereich der digitalen Transformation. Gerade bei Letzterem ist vieles von dem, was eher nach Zukunftsmusik klingt, technologisch gesehen heute bereits marktreif, es fehlt aber noch teilweise an der systematischen Umsetzung in der Praxis: zum Beispiel die Nutzung von Daten für die Analyse und Optimierung von Lieferketten, eine nachhaltigere Transportplanung. Es geht auch um 3D-Druck von Ersatzteilen, den Einsatz von Drohnen zum Beispiel bei der Inventur in Lägern. Kurzum: Logistiker haben umfassende Möglichkeiten und Chancen, wenn es darum geht, Abläufe digitaler und damit effizienter zu gestalten. Bereits heute ist der Wirtschaftsbereich damit deutlich digitaler als die meisten denken.

Zum Normalzustand wird auch zukünftig der Fachkräftemangel gehören, der inzwischen vollends bei uns angekommen ist und der sich bis 2033 noch weiter verschärfen wird, wenn voraussichtlich über sieben Millionen Menschen in Deutschland in Rente gehen. Als drittgrößter Wirtschaftsbereich nach Automobilwirtschaft und Handel, in dem derzeit über drei Millionen Menschen arbeiten, ist die Logistik natürlich stark betroffen. Glücklicherweise haben Logistik-Unternehmen die Zeichen der Zeit erkannt. Sie verstehen, dass sie vor allem um potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konkurrieren, als Arbeitgeber einen attraktiven Rahmen bieten und als Wirtschaftsbereich im Wettbewerb mit anderen Branchen für sich und die Vorzüge der Logistik werben müssen. Deshalb beteiligen sich inzwischen über 100 Unternehmen – vom Konzern bis zum kleineren Spediteur – an der Initiative Die Wirtschaftsmacher, die zum Ziel hat, Menschen für Jobs in der Logistik zu begeistern.

m&w: Welche Zukunftstrends zählen zu den wichtigsten Herausforderungen der Unternehmen aus der Logistikbranche, auf die sie aktuell vorbereiten müssen, um auch künftig ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten?

Frauke Heistermann: Ob ein Logistik-Unternehmen zukunftsfähig ist, hängt u.a. davon ob, wie offen es sich auf neue Trends einstellt oder auch wie flexibel es auf sich immer wieder verändernde Rahmenbedingungen – z.B. durch Krisen – einstellen kann. Die Digitalisierung bildet dabei eine wichtige Basis, ohne die ein Geschäftserfolg künftig nicht mehr denkbar sein wird. Die Unternehmen sind daher gut beraten, diese Herausforderungen aktiv anzugehen und nicht abzuwarten.

Im Übrigen werden sie dabei nicht allein gelassen. Es gibt staatliche Förderung, die Verbände unterstützen. Und auch Unternehmen wie Continental/VDO haben sich zum Ziel gesetzt, die Chancen der Digitalisierung aktiv anzugehen und Wissen für die digitale Transformation bereitzustellen und mit anderen zu teilen. So hat Continental/VDO etwa einen Expertenrat gegründet, in dem auch ich Mitglied bin. Dort sind Fachleute aus Forschung, Praxis und Institutionen versammelt, die sich mit der Digitalisierung des Transportsektors beschäftigen und insbesondere mit der Frage, wie kleine und mittelständische Transportunternehmen den Übergang zur digitalen Welt angehen und bewältigen können.

Mit der Digitalisierung und neuen Technologien ist auch eine Chance zur Lösung des Fachkräftemangels verbunden. So erleichtern zum Beispiel Robotics oder auch Exoskelette Menschen schwere körperliche Arbeit und machen sie produktiver. Intelligente Softwaretools erleichtern die Planung von Logistikprozessen, verkürzen Recherchen bei Problemfällen und schlagen aktiv Lösungen vor. Auch dies führt dazu, dass Logistiker und Logistikerinnen deutlich produktiver und effizienter arbeiten können. 

Eine weitere wichtige Aufgabe der Logistik ist es, diesem Fortschritt auch in der Außendarstellung gerecht zu werden: ganz konkret heißt das, durch eine aktivere Kommunikation mit der breiten Öffentlichkeit endlich mit altbackenen Vorurteilen aufzuräumen:  zum Beispiel Logistik sei Stauversuracher, Umweltverschmutzer oder immer mit harter körperlicher Arbeit verbunden. Sind gängige Vorurteile erst einmal widerlegt, wird der Wirtschaftsbereich auch eher als das gesehen, was er für Mitarbeitende ist: ein spannender, abwechslungsreicher und heute absolut fortschrittlicher Arbeitgeber mit vielfältigen Chancen und Karriere-Möglichkeiten.

m&w: Neben der Automatisierung und der Digitalisierung gehört auch die Entwicklung von Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstrategien zu den Herausforderungen der Branche. Wie könnten diese aussehen?

Frauke Heistermann: Ja, der Bereich Nachhaltigkeit gehört heute zu den dynamischsten Entwicklungsfeldern der Logistik. Natürlich ist die Logistik für einen Teil des CO2-Ausstoßes unserer Volkswirtschaft verantwortlich. Aber ohne CO2-Ausstoß funktioniert die Versorgung unserer Unternehmen und der Menschen nicht. Zudem besteht eine verzerrte Wahrnehmung: Auf den Güterverkehr beispielsweise entfallen nur etwa 5,6 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland. Durch den Einsatz von neuen grüne Antriebs-Technologien wie etwa LNG, Wasserstoff und Elektroantriebe, tragen Transportunternehmen zur Reduzierung von CO2 bei.
Auch beim Thema Bau steht die Logistik vor der kollektiven Kraftanstrengung, sich entsprechend zu transformieren und Maßnahmen zu ergreifen, um etwa möglichst ohne die Versiegelung von Neuflächen auszukommen und Biodiversität zu erhalten. In puncto Energie werden derzeit Ideen umgesetzt, die großen Dachflächen der Logistikhallen – also die teils je hundert Quadratmeter Dach- und Wandflächen – mit Photovoltaik auszustatten. Logistiklager werden so zu Kraftwerken, die einen Überschuss an Energie erzeugen und die umliegenden Kommunen mitversorgen können. Dabei müssen technische – aber teils auch bürokratische Hürden überwunden werden. Perspektivisch gesehen wird die Logistik so in Zukunft einen signifikanten Beitrag zur Energieversorgung leisten.
Ein Arbeitsfeld der sozialen Nachhaltigkeit ist der zeitgemäße Umgang mit der zunehmenden Diversität in der Arbeitswelt. So kann ein modernes Diversity Management dazu beitragen, Vielfalt als Chance zu verstehen, um Unternehmen kreativer und robuster aufzustellen. Wie weit die Logistik auch hier bereits ist, zeigen die Wirtschaftsmacher im Themenheft „Vielfalt ja bitte – so divers ist die Logistik“. Dieses steht aktuell zum Download auf unserer Seite bereit.

m&w: Welchen Einfluss üben die Zukunftstrends auf das Arbeitsumfeld bzw. die Arbeit in der Logistik aus?

Frauke Heistermann: Vor allem das technische Potenzial des Wirtschaftsbereichs zum Beispiel im Bereich Materialflusssteuerung ist enorm und wird gleichzeitig von Branchenfremden meist unterschätzt. Mit ihren Möglichkeiten zur digitalen Steuerung von globalen Lieferketten und der Automatisierung z.B. des Handlings im Lager oder an Umschlagspunkten steht die moderne Logistik für spannende, anspruchsvolle Aufgaben und teilweise sehr hohe Qualifikationsniveaus. Und so sind auch die Zugänge zu den Berufen in der Logistik vielfältig und decken im Grunde alle Qualifikationsschienen ab. Neben Azubis, die sich für einen aus fast 200 Ausbildungsberufen entscheiden, finden ebenso Studierende, an mehr als 100 Hochschulen in Deutschland den für sie passenden Studienschwerpunkt und eine berufliche Heimat in der Logistik. Besonders schön finde ich auch zu beobachten, dass die Logistik zahlreiche Aufstiegschancen für motivierte Talente bietet, die mehr Verantwortung übernehmen wollen. Gleichzeitig haben auch Quereinsteiger die Möglichkeit, sich schnell einzuarbeiten und Fuß zu fassen. Logistik ist wohl die einzige Branche, die jedem, vom Ungelernten mit geringen Deutschkenntnissen bis zur Akademikerin und Spezialisten, eine Perspektive bietet.
Übrigens: Nur knapp die Hälfte der logistischen Leistungen, die in Deutschland erbracht werden, liegt in der gemeinhin sichtbaren Bewegung von Gütern durch Dienstleister zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Die andere Hälfte findet in der Planung, Steuerung und Umsetzung innerhalb von Unternehmen statt. Allein 80.000 überwiegend mittelständisch geprägte Unternehmen sind Teil des Logistikdienstleistungssektors, damit arbeiten rund dreimal so viele Menschen in der Logistik wie beispielsweise im Maschinenbau.

m&w: Wenn sich die Arbeit verändert, sind auch neue Qualifikationen für die Beschäftigten gefordert. Auf welche Kompetenzen kommt es künftig an?

Frauke Heistermann: Zunächst einmal lässt sich sagen, dass es ein Vorurteil ist, Logistik bestünde fast nur aus harter physischer Arbeit. Natürlich gibt es diese, aber sie macht nur einen geringeren Teil der Logistik aus und wird zunehmend durch ergonomische Ausstattungen unterstützt. Für die heutige Logistik braucht es zunehmend technische Qualifikationen, z.B. Mechatroniker oder IT-Experten und Expertinnen. Auch Supply Chain Managerinnen und Manager arbeiten heute in vielen Bereichen mit digitaler Unterstützung, wenn es darum geht, komplexe Transportketten zu planen oder Risiken vorherzusehen. In der Intralogistik spielt die kollaborative Robotik eine immer größere Rolle, ebenso wie die Automatisierung und -Leittechnik, die zur Überwachung und Steuerung der verschiedenen automatisierten Systeme in modernen Gebäuden zum Einsatz kommt. Je nach Aufgabengebiet sind also vor allem Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien zumindest aber eine gewisse Affinität hierzu gefragt. Der Unterschied zu anderen Branchen ist vielleicht: jeder hat die Chance, mit geringem Know-how einzusteigen und sich fortzubilden.

m&w: Stichwort Fachkräftemangel: Wie begeistert man Menschen für die Branche? Wird sich künftig auch die Zusammensetzung der Belegschaft verändern?

Frauke Heistermann: In der Öffentlichkeit herrscht noch immer ein stereotypes Bild zur Logistik vor: Logistik ist LKW, Container, Lager. Hier müssen wir aktiver kommunizieren und aufklären. Zum Beispiel durch Interviews wie dieses hier.
Bei der Initiative „Die Wirtschaftsmacher“ spielt das Thema Employer-Branding eine große Rolle. Neben unseren Kampagnen in Social Media, die junge Menschen ansprechen sollen, streben wir eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Bildungsbereich an. Geplant sind Partnerschaften mit Schulen, Hochschulen sowie Arbeitsagenturen, die dabei helfen, an den relevanten Stellen Präsenz zu zeigen und die unerlässliche Relevanz von Logistik für unsere tägliche Versorgung aufzuzeigen. Auch auf Ausbildungs- und Fachmessen gilt es, Vorurteile zu entkräften und ein koordiniertes Zugehen der Logistik auf potentielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu ermöglichen.

m&w: Eine zukunftsorientierte Aufstellung verlangt nicht nur Kompetenz, Personal und Know-how, sondern auch finanzielle Investitionen. Wie können insbesondere kleinere Unternehmen der Logistikbranche hier mithalten?

Frauke Heistermann: Der Vorteil kleiner Unternehmen liegt darin, dass sie die genannten Trends schneller umsetzen könnten als etwa ein Konzern, weil ihre Entscheidungsstrukturen deutlich schlanker sind. Zudem benötigt digitale Transformation in erster Linie einen Kulturwandel in den Unternehmen: mehr Offenheit und Begeisterung für die Möglichkeiten neuer Technologien, mehr Kreativität, um neue Services zu implementieren und mehr Mut zum Testen von neuen Lösungen. Dies hat zunächst einmal nichts mit finanzieller Ausstattung zu tun.
Wer Digitalisierung richtig angeht, wird sehen, dass sich neue Investitionen zum Beispiel in digital unterstützte Prozesse oder Technologien schnell amortisieren, wenn sie vorab gut geplant und mit den Mitarbeitenden und Kunden abgestimmt sind.

m&w: Die Logistikbranche galt viele Jahre als Logistikweltmeister. Welche Rahmenbedingungen (Infrastruktur, Bürokratie etc.) müssen sich verbessern, damit die Zukunftstrends umzusetzen sind und die Logistiker im Ranking weiter vorne mitspielen?

Frauke Heistermann: Das ist richtig – und es ist schade, dass Singapur und Finnland im letzten Logistics-Performance-Index-Ranking der Weltbank an uns vorbeigezogen sind. Deutschland hat sowohl bei der Infrastruktur, bei Straßen, Brücken, Schiene etc. als auch bei den Prozessen (Verzollung, Verfahren, Kommunikation) Nachholbedarf. Wir brauchen mehr Investitionen in die Infrastruktur allem voran das Schienennetz. Und wir müssen dringend Entbürokratisieren – das ist vor allem ein Appell an die Politik und Gesetzgebung – um schneller und flexibler zu werden.
Dennoch: Deutschland nimmt eine führende Stellung in der globalen Logistik ein, verfügt ein hervorragendes Potenzial, sowohl im Mittelstand als auch bei Konzernen. Viele der bedeutendsten internationalen Logistikunternehmen sind deutsche.

KONTEXT
Frauke Heistermann ist Sprecherin der Wirtschaftsmacher und Vorsitzende des Rates für Technologie in der Landesregierung Rheinland-Pfalz sowie Mitglied in verschiedenen Aufsichts-, Beiräten und Kuratorien. Zuvor war sie Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Logistik e.V. und leitete als Chief Digitalization Officer bei Siemens Logistics die Erstellung und Umsetzung von Digitalisierungsstrategien. Als Mitgründerin der AXIT AG (heute Siemens Digital Logistics) baute sie eine globale Plattform zur Digitalisierung von Logistikprozessen auf und war unter anderem für die Produktstrategie und -entwicklung verantwortlich.

 

  • instagram
  • linkedin
  • facebook
-Anzeige-