Das Who is Who der deutschen Tech-Szene traf sich auch in diesem Jahr wieder auf der 5. Hinterland of Things Conference in Bielefeld und nahm die brennendsten Themen, die Wachstumsunternehmen und etablierte Wirtschaft gleichermaßen herausfordern, ins Visier.
Auf der Hinterland of Things Conference diskutierten dazu unter anderem Meta Vize-Präsidentin Angelika Gifford, Deutsche-Bank-Tech-Chef Bernd Leukert oder auch bekannte Investoren wie Niklas Jansen, Robert Lacher oder Tim Schumacher mit den Gründerinnen und Gründern von Tech-Wachstumsunternehmen zu Zukunftstrends und -technologien. Themen wie Künstliche Intelligenz und Klimatechnologie boomen. Grund genug, über Zukunftsthemen und den Status-Quo der Tech-Szene zu sprechen. Ein kleiner Überblick.
„Generative AI wird jeden Aspekt unseres Unternehmens betreffen”
Künstliche Intelligenz (KI) war eines der am heißesten diskutierten Themen auf der Konferenz. Vor allem der jüngste Aufstieg von Generative AI prägte die Diskussionen auf und auch abseits der Bühnen. Vanessa Cann, Geschäftsführerin des KI-Bundesverbands: „Kundinnen und Kunden suchen derzeit nach europäischen Lösungen im Bereich Generative AI.” Grund dafür sei ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass die Daten an Konzerne in den USA wandern.
„Gigantisches Potenzial” urteilt André Christ, Gründer des Startups LeanIX: „Generative AI ist nun nicht mehr nur den großen Hyperscalers vorbehalten, das ist mein persönlicher i-phone-Moment.” Tech-Investor Philipp Klöckner bringt es auf den Punkt: „Die deutsche Wirtschaft wird nur halb so langsam wachsen, wenn wir KI nicht einsetzen(…)” Doch aktuell herrscht in Deutschland noch Zurückhaltung: Nur jedes sechste Unternehmen plant, KI zur Textgenerierung einzusetzen.”
„Wir müssen Innovationen vorantreiben, sonst bekommen wir ein Problem in Europa”, so das Fazit von Bernd Leukert, Technologie-Chef der Deutsche Bank: „Generative AI wird bald jeden Aspekt unseres Unternehmens, der Finanzindustrie und der gesamten deutschen Wirtschaft betreffen.” Nur wenn Wachstumsunternehmen, Mittelständler und DAX-Konzerne eng zusammenarbeiten, würde es ein positives Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte werden.
Philipp Klöckner stellte klar, AI sei kein Sprung vom Pferd zum Auto, sondern eher mit Elektrizität zu vergleichen: in viele Anwendungsfelder hinein, mit großer Aussicht auf hohe Effektivitätssteigerung. Und das alles ist erst der Anfang – da ist man sich einig. Die Innovationskurve verläuft stark exponentiell. Denn es stehen neue Technologien vor dem Durchbruch, die noch größere Chancen bieten und zu noch größeren Veränderungen führen werden. Das bejahte auch Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, als sie über die „größeren Lösungen” sprach, die Deep Tech für unsere Wirtschaft bereithält. Melvin Schwarz, Mitgründer des Startups VisionAI aus der Founders Foundation, das auf Wachstumskurs mit neuer Finanzierung ist, meinte: „Wir müssen schnell sein und unsere Produkte ausbauen. Dafür brauchen wir in Deutschland jetzt tiefe Taschen. Firmen, wie wir, brauchen das Kapital, um international mitspielen zu können.”
Dominik Gross, Geschäftsführer der Founders Foundation und Initiator der Konferenz: „Wir in Europa sind Vorreiter in der Grundlagenforschung. Wir müssen es jetzt schaffen, dieses Potenzial in die reale Wirtschaft zu transferieren. Dafür bauen wir aktiv Brücken zwischen dem Neuen und dem Alten, bereiten neuen Entwicklungen den Weg und vernetzen diese mit etablierten Unternehmen. Im Rahmen der 5. Hinterland of Things Conference sind wir hier einen großen Schritt vorangekommen.”
„Nachhaltigkeit wird Profitabilität nach sich ziehen“
Nachhaltige Innovation durch technische Lösungen – so lautet die Devise. „Wir müssen verstehen, dass Technologie einen noch größeren Lösungsbeitrag zum Thema Nachhaltigkeit liefern kann als aktuell. Daher hoffe ich, dass die Finanzmärkte folgen, damit Nachhaltigkeit und Profitabilität zusammen funktionieren”, appellierte Brigitte Mohn.
Gleichzeitig profitabel sein und Klima schützen? Geht! Unternehmen können und müssen profitabel und purpose-driven zur gleichen Zeit sein, um sich zukunftssicher aufzustellen. Julia Zhou, Co-Founderin von Tidal Impact mit Fokus auf Impact Invests glaubt daran, „dass Nachhaltigkeit das zukünftige Geschäftsmodell ist und Profite generieren wird (…). Unternehmen müssen den Faktor Impact in ihrem Geschäftsmodell etablieren und diese Philosophie leben.”
Gründerinnen und Gründer setzen auf das Profit-durch-Impact Modell. Gyri Reiersen, Co-Founderin und CPO des Wachstumsunternehmen Tanso, definiert den Begriff Nachhaltigkeit in den drei Säulen „ökonomisch, umweltschützend und sozial”. Sie geht davon aus, „dass Firmen, die jetzt nur auf Profit optimieren, in zehn Jahren die ökologischen Kosten dafür bezahlen müssen.”
Der Mittelstand schaut auf die Impact-Innovationen der Startups. Tanso-Gründerin Gyri Reiersen ermutigte Mittelstandsunternehmen „sich mit einem Startup zu verknüpfen, zusammenzuarbeiten, Feedback auszutauschen und auf Augenhöhe zu arbeiten.” Patrick Thelen, CEO & Co-Founder von Procorus, beschrieb den Netzwerkeffekt zwischen Startups und Mittelstand so: „Startups konzentrieren sich auf einen ganz bestimmten Usecase und traditionelle Unternehmen erhalten dadurch Zugang zu Innovationen.” Dominik Gross, Geschäftsführer der Founders Foundation und Initiator der Konferenz, stellte klar: „Mittelständische Unternehmen sind nicht nur aus Wettbewerbssicht unter Druck, sondern selbst tief überzeugt davon, klima-orientierter agieren zu müssen. Was fehlt, sind oftmals Wege und Lösungen. Eine Verknüpfung zu Climate Tech Startups ist der entscheidende Hebel, um die Nachhaltigkeits-PS auf die Straße zu bringen.“
Status Quo der Startup-Finanzierung: VCs setzen auf Rendite statt Wachstum
„In den letzten zwei Jahren gab es eine enorme Marktkorrektur, aber ich denke, sie war heilsam”, sagte Robert Lacher, Founding Partner von Visionaries Club, über den deutschen Startup-Markt. Das Gesamtbild ist eindeutig: VCs setzen verstärkt auf Profitabilität, statt Hyper-Wachstum. „Der Druck, profitabel zu sein, war nie höher in unserer Industrie”, so Lacher.
Deep Tech und Climate Tech boomen trotz Finanzierungsflaute. Die Gäste waren sich einig: Deep Tech- und Climate Tech-Startups sind vielversprechende B2B-Businesses, die einen Pfad zur Profitabilität und Skalierung vorlegen können. David Rosskamp, Managing Partner von Magnetic, erklärt, dass es für VCs aktuell attraktiver ist, in Sprunginnovationen zu investieren, als in Businesses, die durch ein Momentum wachsen wollen: „Wir versuchen Business-Modelle, die nur marginale Verbesserungen erzielen, zu meiden, denn sie haben nicht das disruptive Potenzial, das Innovation braucht”, so Rosskamp.
Trotzdem können technologische Wachstumsunternehmen in Deutschland stärker finanziert werden, vermutete der VC-Vertreter. „Die Herausforderung, die wir in der EU haben, ist: Kapital.” Es sei die treibende Kraft für Innovation. „Wir müssen bei dem, was wir tun, ein paar Nullen hinzufügen, um mit der globalen Welt mithalten zu können.”
Für Gründende heißt das, am Ball bleiben und sich vom angespannten Markt nicht einschüchtern lassen. Die Meta Europa-Chefin, Angelika Gifford, lässt sich von der Startup-Mentalität aus den USA inspirieren: „In Deutschland zu scheitern, ist nicht gern gesehen. In den USA scheitert man, steht auf und fängt von vorn an”, so Gifford.
War of Tech Talents: Keine Talente, keine Technologie
„Talente haben die Wahl, überall hinzugehen, wo sie wollen”, fasste Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt zusammen. Ihre Warnung bezieht sich dabei vor allem auf die deutsche Bürokratie, die vielen angehenden Gründerinnen und Gründern Steine in den Weg lege: „Viele werden dadurch immer unzufriedener und das ist gefährlich.”
Auch der zunehmende Fachkräftemangel ist ein allgegenwärtiges Thema. Bernd Leukert, Technologie-Vorstand der Deutschen Bank, sieht die Lösung in neuen Technologien: „Wir müssen auf Technologien setzen, um unsere demografischen Probleme zu lösen, sonst ist unser Wohlstand in Zukunft bedroht”, erklärte er. Vor allem im Deep Tech-Bereich sei der Mangel an Talenten ein großes Thema, so Markus Pflitsch, Gründer von Terra Quantum. Seine Lösung: Die „besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einzustellen, die ich kriegen konnte.”
Aber auch die strukturellen Voraussetzungen in Deutschland stünden dem Arbeitsmarkt im Weg, sagte Gülsah Wilke, Mitgründerin von 2hearts: „Menschen mit Migrationshintergrund haben oft keinen Zugang zu Fundraising und anderen Unterstützungen.” Dadurch gehe ein „riesiges, ungenutztes Potenzial” verloren. Dominik Gross: „Unsere nationale Wirtschaft muss das Leitbild zeichnen und als Leitfigur vorangehen. Das kann und wird nur mit Menschen möglich sein, die als Vorreiter in ihrem Feld Bewegungen in Gang setzen und aktiv technologischen Wandel in die Unternehmen bringen.“
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